allesamt gespenster! – philipp preuss lädt mit ibsen & schreber zur geisterstunde

Nebelschwaden wabern über die düstere Bühne, in ihnen verfängt sich spärliches Licht, aus Gemälden blicken ernst und stumm die Figuren herab, durch die Türen huschen Gestalten, über die Wände irrlichtern ihre Abbilder und Wiedergänger und vor dem Vorhang aus schwarzer Gaze ergeht sich ein junger Mann aus guten Hause seltsam klar in Wahnvorstellungen von belebten Strahlen, von zweierlei Gottheiten, von verirrten, in Singvögel gewunderte Seelen, von Zwangszuständen und vom eigenen Körper, der zu dem einer Frau mutiert.

Gespenster © Rolf Arnold
Gespenster © Rolf Arnold

Was Philipp Preuss hier durch den Kopf der Ibsenschen Osvald irrlichtern lässt, sind die Wahnideen bzw. die Denkwürdigkeiten des Daniel Paul Schreber. Der litt zeitlebens unter den „schwarzen“ Erziehungsmethoden seines Vaters. Mit allerlei sadistischen Gerätschaften versuchte der, die Körper und Seelen seiner Kinder in die vermeintlich „richtigen“, widernatürlichen Bahnen zu zwingen. Vielleicht in etwa so – um eine mögliche Parallele zwischen den beiden Texten zu ziehen – wie die gesellschaftlichen Konventionen die Ibsen’schen Figuren in ihre falschen Leben zwängen.

Die Sünden der Väter werden heimgesucht an ihren Kindern.

In beiden Fällen kommt nichts Gutes dabei heraus: Schreber Junior verbringt einen Großteil seines Erwachsenenlebens in Nervenheilanstalten, die Familie Alving wird von ihren Lebenslügen und Vertuschungen zerstört. Aus diesem Ringen von Natur(trieben) und Kultur(zwängen) machen Preuss und Ensemble am Schauspiel Leipzig ein atemloses, rauschhaftes Gespensterkarussell.

Gespenster © Rolf Arnold
© Rolf Arnold

Auf der (Dreh)Bühne von Ramallah Aubrecht stehen zwei hohe, holzgetäfelte Zimmerwände überkreuz und bilden so vier Räume, die alle ähnlich – ein Kamin, ein Gemälde, ein Klavier, eine Chaiselongue, ein kunstvoll arrangierter Blumenstrauß – aber eben doch nicht identisch sind. Denn die Natur greift mal mehr, mal weniger gierig nach der bürgerlichen Fassade: hier setzt feuchte Erde schwarz auf rot das Teppichmuster fort, dort tragen die Wände tragen Schrammen und da rankt sich gar totes Astgeflecht wandaufwärts in den Bühnenhimmel.

Relax,
it’s only a ghost

Den Ibsen’schen Personen sind die Schatten ihrer Vergangenheit in Persona an die Seite gestellt. Und damit nicht genug, die Familienmitglieder selbst vervielfachen sich: Gleich zwei Kammerherren Alving sind aus dem Totenreich zurückgekehrt und verfolgen den Sohn auf Schritt und Tritt, Anna Keils Frau Alving hat in Ellen Hellwig eine ältere Wiedergängerin, Osvald selbst ist gleich dreimal da.

Regine, Champagner!
Jawohl, gnädige Frau.

Im ersten, noch recht kammerspielartigen Teil stecken die Gespenster in den kleinen Gesten, schwingen im Timbre einer Stimme mit und an die von Schreber zur Triebabfuhr empfohlenen sportlichen Ertüchtigungen erinnern nur zwanghaft anmutende, gymnastische Verrenkungen der Spieler. Aber auch hier scheint es schon zu spuken – bald wiederholen, überschneiden, überschreiben sich ganze Szenen und Bilder, Stimmen kommen mal aus lebendigen Mündern, mal körperlos vom Band.

Das steigert sich mit Fortschreiten Abends im Zusammenspiel mit Drehbühneneinsatz und der phänomenalen Orchestrierung durch das Levitation String Ensembles zu einem furiosem Geistertanz: Einmal, zweimal, dreimal verlangt Osvald nach Likör gegen die unerträgliche Feuchtigkeit. Einzweidreimal beschwört die Mutter den Sohn und Regine holt auf Geheiß der gnädigen Frau so oft Champagner für den jungen Herrn, dass sich die beiden am Ende umringt von einer ganzen Batterie leerer Flaschen so perlweindurchnässt wie aussichtslos aneinanderklammern.

Gespenster © Rolf Arnold

Dann türmen sich Nebelschwaden im Bühnenhimmel zu bedrohlichen, orange beleuchteten Wolken: das Kinderasyl brennt, mit dem Frau Alving ein für alle mal und mit großer Geste einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen wollte. Anna Keil spielt diese Helene Alving ganz wunderbar – mit großer Selbstbeherrschung gefangen im Haltungbewahren, mit auf den Punkt gesetzten Ausbrüchen, in latenter Hysterie in der Beschwörung des nun endlich möglich scheinenden und doch unmöglichen freien Lebens. Julia Preuß verleiht ihrer Regine eine herrlich lakonische Attitüde und Felix Axel Preißler gibt dem jungen Osvald eine unendlich alte Seele, die sich bei vollem Bewusstsein und in erschreckender Klarheit in den Wahnsinn verabschiedet.

Denn jener Osvald, als Junge fortgegeben, um nicht in der von Lug und Trug vergifteten Atmosphäre des Elternhauses aufwachsen zu müssen, kehrt nach dem Tod des untreuen Vaters nach Hause zurück – an Körper und Geist zerfressen von genau jenen Gespenstern, die die Mutter doch unbedingt von ihm fernzuhalten suchte.

Nein, die Geister der Vergangenheit wird man nicht los, man schleppt sie ein Leben lang mit sich herum, genau wie die Erfahrungen einer Kindheit, in der einer jungen Seele Gewalt angetan wird. Dieses Wider die eigene Natur, die unterdrückten Gefühle, das falsche Leben sind – jenseits der psychologietreuen Familiendekonstruktion – das eigentliche Thema dieses atmosphärisch unglaublich dichten Abends.

© Rolf Arnold
© Rolf Arnold

Ob nun die Kombination Ibsens mit den Schreberschen Schriften dabei sehr erhellend ist, bleibt trotz großer Eindrücklichkeit zumindest zweifelhaft. Zumal sich ohne ein gewisses Hintergrundwissen vieles unverständlich bleibt. Fest steht aber, dass ohne den Schreberschen Anteil diesem Abend so berührende wie verstörende Szenen fehlen würden. Etwa die, in der die Figuren Ibsens zu den gewunderten Vögeln Schrebers werden – seltsam entstellt durch die Apparaturen des alten Schrebers und unruhig verfolgt von den auf einen raumfüllenden weißen Ballon projizierten Augen Osvalds, der sich somit gleichermaßen selbst beobachtet.

Relax
It’s only a ghost
Relax
Try to be it’s host
Just invite it in
Let its game begin
A soft embrace that you will feel within.

Regie und Ensemble umarmen ihre Geister und bitten zu einem Tanz der verlorenen Seelen – Ein Abend aus Licht und mehr noch aus Schatten, aus Bildern, Musik und irrlichternden Stimmen; intensiv, eindrücklich und dabei nicht ohne Komik. Eine fesselnde Geisterstunde mit traurig-schaurig-schönen Augenwinkern: Entspannt euch, das sind nur Geister, nichts davon is real! Und alles, natürlich. Angucken!


» Gespenster oder Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken
Henrik Ibsen / Daniel Paul Schreber. Regie Philipp Preuss. Bühne und Kostüme Ramallah Aubrecht. Musik Kornelius Heidebrecht. Live-Video Konny Keller. Licht Carsten Rüger.

Mit Ellen Hellwig, Anna Keil, Andreas Keller, Tilo Krügel, Markus Lerch, Denis Petkovic, Felix Axel Preißler und Julia Preuß und den Musikern Stefanie Bühler, Tara Horvat, Inara Jumabekova, Philipp Rohmer und Anne-Sarah Schmitt.

Nächste Geisterstunden am 5. und 22. April und am 4., 12. und 30. Mai 2018, Schauspiel Leipzig, Große Bühne

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