bonjour tristesse – enrico lübbes kasimir und karoline am schauspiel leipzig

Ich dachte immer, auf dem Oktoberfest ist mehr los, lässt ein Zuschauer nach der Premiere verlauten. Und in der Tat, ausgelassene Feststimmung ist hier nicht angesagt. Schon die Bühne atmet aus jeder Ritze gelbliche Tristesse. Statt Jahrmarktsbuden und Kettenkarussell hat Hugo Gretler eine unwirtliche Fabrik-Pausen-Durchgangs-Halle gebaut und mit 80er-Ostklubhausmobiliar ausgestattet: Ein paar Tische und Stühle, ein Hau-den-Lukas als einzige Oktoberfest-Reminiszenz, an den Seiten Ausschank und Türen zum Pissoir, oben ein für dieses Setting merkwürdig futurisch anmutender Logen-Balkon, rechts hinterm Milchglasfenster donnern immer wieder Güterzüge? Die S-Bahn? Die Achterbahn? vorbei.

Kasimir und Karoline © Rolf Arnold
Industriecharme statt Volksfest  © Rolf Arnold

Eine beige-braun-bleierne Wirtschaftskrisen-Resignation ist das, aus der heraus die Festbesucher sehnsüchtig einem imaginären Zeppelin hinterherschauen, bis von Fortschrittsglauben und den Träumen von einer besseren Zukunft kein Zipfel mehr zu sehen ist. Hier hinein setzt Regisseur Enrico Lübbe das Horváthsche Personal: den selbstmitleidigen Neu-Arbeitslosen und sein Bürofräulein mit Hang zu Höherem, den altersgeilen Fabrikbesitzer und den kleinkriminellen Proll, den arroganten Richter und den geleckten Opportunisten.

Kasimir und Karoline © Rolf Arnold
Wie gemalt, der Abend. Leider auch in etwa so beweglich © Rolf Arnold

Der soeben abgebaute Kasimir begleitet verständlicherweise recht unlustig seine Karoline aufs Oktoberfest. Es kommt zum Streit, Karolinchen ist sauer und amüsiert sich lieber mit finanzkräftigen Herren, die ihr das Blaue vom Himmel versprechen. Das freut ebenso verständlicherweise den Kasimir nicht, der sich – jetzt-ist-scho-alles-egal-und-was-soll-man-auch-sonst-machen – mit seinem Kumpel Merklfranz auf krumme Dinger einlässt, bei denen letzterer hops genommen wird und seine Erna zurücklässt, die dann mit unserem Kasimir eine neue Zweckgemeinschaft zu schaffen sucht.

Jetzt werd ich aber elementar.

Ödön von Horváth lässt in Kasimir und Karoline das gesellschaftliche Oben und Unten nicht umsonst auf dem Oktoberfest aufeinandertreffen: Dort, wo alle gleich sind und doch wieder einige gleicher. Da, wo der Alkohol den Spießbürger meist so schön unschön enthemmt. Er tut das mit einer Sprache, die saftig ist, die eine unglaubliche Wucht und Musikalität hat. Eine Wucht, die auch einiges an Schau-Spiel vertragen hätte, ohne an Kraft einzubüßen, meint man.

Aber der Abend hat es so gar nicht mit Enthemmungen und Saft, maximal mit Säften, die unter der Fassade brodeln. Lübbe inszeniert einmal mehr eins zu eins am Buch und ganz auf das Wort konzentriert. Minimal, statisch ist das Spiel – man steht oder hockt nebeneinander, oft sind nur Gesicht und Hände (aber immer in Höhe der Hosennaht, bitte) beschäftigt. Wenzel Banneyer stattet seinen Kasimir mit genau zwei Haltungen und einer Unsicherheitsgeste aus. Daniela Keckeis erlaubt ihrer verhuschten Karoline allenfalls laue Emotionen. Das lässt einerseits eine klaustrophobische Stimmung entstehen, die direkt aus den Herzen der Figuren zu kommen scheint und die irgendwie auch noch nachwirkt, wenn der Abend vorbei ist. Andererseits will das nicht so recht zu Stoff und Sprache passen. Und vor allem: Es wird verdammt rasch fad.

Aber mehr ist nicht. Eine eigene Haltung, eine Idee, einen Kommentar zum Text sucht man vergebens. Sogar das eklige und – hoffentlich doch mittlerweile – überholte Frauenbild ist in den schwer erträglichen Originalfarben gemalt. Die Glasharfenmusik von Philipp Marguerre ist zwar von sehr eigenwilligem Klang und lässt sich – das wiederum ein schöner Einfall nach der Pause – auch auf halbleeren Weingläsern spielen – bleibt aber insgesamt doch Beiwerk.

Hereinspaziert! Hereinspaziert! Ein Skurilitätenkabinett tritt auf, die behaarteste Dame der Welt singt mit Jaques Offenbach von seligen Liebesnächten und bezaubernde, weißgeflügelte Ballettmäuschen führen einen putzigen Tanz vor. Das immerhin wäre nun durchaus geeignet, den sind-die-aber-herzig-Zuschauer-Blick böse zu hinterfragen. Allein, dafür fehlt es dann an der Boshaftigkeit und so bleibt’s harmlos und genauso befremdlich, wie die beiden Rutschen, die für eine kurze Szene aus den Bühnenwänden klappen und die beiden Damen vom Escortservice ausspucken.

Kasimir und Karoline © Rolf Arnold
In dem Merkl Franz seiner Erna braut sich was zusammen  © Rolf Arnold

Dabei gibt es Spieler, die einen interessieren, an denen man dran bleibt. Allen voran Sophie Hottinger, die dem Merkl Franz seiner Erna eine schöne Fragilität und Ambivalenz mitgibt. Bewunders- oder wohl doch eher bedauernswert leidensfähig erträgt sie stoisch ihren Macker (bei Felix Axel Preißler ein maximales Arschloch mit ebensolchem Durst), um dann, genauso berechnend wie alle anderen, die nächste sich bietende Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Oder treibt sie doch nur die innere Not? Der Ex-Berliner-Ensemble Spieler Roman Kaminski spielt den so jovial-arrogant wie zynisch-lüsternen Kapitalisten mit Prägnanz, Schärfe und einer guten Portion Trockenheit. Andreas Keller donnert seinen Gerichtsrat geradezu auf die Bühne.

Doch die Verhältnisse, die sind nicht so!?

Am Ende (zumindest fühlt es sich zunächst so an, als wäre es das) holt ein bis dato arg unterbeschäftigter Roman Kanonik mit lautem Gebrüll zu einem befreienden Hau-den-Lukas-Schlag aus. Was für ein starkes Schlussbild! Aber nix da, hier wird sich nicht befreit! Es geht noch weiter und weiter und am Ende wissen wir dann immer noch nicht: Ist jetzt der Mensch schlecht, oder sind es doch die Umständ‘, die Schuld san an dem ganzen Elend? Wir haben da aber so eine Vermutung.


» Kasimir und Karoline
Schauspiel Leipzig. Regie Enrico Lübbe. Bühne Hugo Gretler. Musik Philipp Marguerre. Kostüme Bianca Deigner. Mit: Wenzel Banneyer, Sophie Hottinger, Roman Kaminski, Roman Kanonik, Daniela Keckeis, Andreas Keller, Michael Pempelforth, Felix Axel Preißler, Marie Rathscheck, Annett Sawallisch, Susen Schneider, Ballettklassen der Musikschule Leipzig, Statisterie, Alexandr Sterlev

Wieder am 23. September und am 6. und 8. Oktober 2017

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert