die nummer mit dem hass – glanz & krawall mit einer hass-revue in den cammerspielen

Was ist das: der Hass? Ein normales Gefühl? Das Gegenteil von Liebe? Ein Zustand der "Anderen"? Ein weites Feld, fängt man erst einmal an, darüber nachzudenken. Was aber dringend nötig ist, denn wird nicht das (gemeinsame) Hassen gerade wieder salonfähig und geradezu inflationär? Assoziativ, klug, bedrohlich und dabei frappierend unterhaltsam geht dieses Nachdenken bei La Haine über die Cammerspiel-Bühne.

La Haine © Fine Bieler
Und euer Hass? Kara Schröder, Luise Lein und Katrin Kaspar in La Haine © Fine Bieler

Wenn wir auch (noch) nicht wissen, WAS der Hass ist, zumindest wo er verortet wird, ist beim ersten Blick auf die Bühne und trotz ♪ ♬ Bei Mir Bistu Shein und der herzlichen Begrüßung jedes einzelnen Zuschauers klar: Ganz unten im Keller der menschlichen Emotionen. Möglichst tief vergraben in der Menschenseele und doch immer präsent und allzeit bereit, schielt er durch seinen maroden Bretterverschlag.

Ein bisschen fühlt man sich in Dostojewskis Kellerloch versetzt (und tatsächlich fällt der Satz Ich bin ein böser Mensch). Wackelig ist er allemal, der Bretterboden, auf dem die Schauspielerinnen Kara Schröder und Katrin Kaspar und die Sängerin Luise Lein sich hier Revue-Nummer für Nummer mal vorsichtig, mal bestimmt umtanzen, manipulieren, sich zu Zweien gegen die Dritte verbünden, sich verraten und am Ende doch wieder gemeinsam singen. Der Hass selbst ist in diesem Bunde der unsichtbare Vierte: immer bedrohlich da, aber nie greifbar und dort, wo er steht, weiß man nicht, ob die Bretter auch tragen und wie tief der Abgrund darunter ist.

Dabei geht es im Souterrain des Hass-Caberét revuegemäß sehr kurzweilig und amüsant zu. Denn natürlich hat der Hass Lieder und wo tanzt es sich besser als auf dem Vulkan? Einer Lieblingstelle folgt ein Lieblingslied, dem was dumm ist, alt und hässlich die erstaunlich-erschreckende Übersetzung der so schön klingenden französischen Nationalhymne (die so ganz hymnenmäßig wider besseren Wissens immernoch Gänsehaut macht), schon sind wir am Bosporus, stimmen in Russland die Wacht am Rhein an und bekommen pointiert den Nationalismus anhand der Bildung eigener und fremder „Klumpen“ erklärt.

La Haine © Fine Bieler
Licht, Schatten, Töne, Stimmen: Was dem Kopf nebulös bleibt, landet direkt im Bauch. © Fine Bieler

Ja, die Assoziationen und Denkanstösse fliegen nur so durch die kleine Cammerspielbude. Und doch sind sie eher flüchtiger Natur. Man hätte an dieser Stelle dem zwar präzisen aber recht zurückgenommenen Spiel einen klareren, böseren, vielleicht auch einen körperlicheren Zugriff gewünscht. Ist nicht gerade der Hass ein Gefühl, dass sich mehr als nur vom Verstande aus tatsächlich be-greifen lassen muss? Glühender Hass. Leidenschaft. Ausbruch. Flamme. Brodeln. Lodern. So Sachen.

Das Regie-Setting, das hier eher einschränkt, geht an anderer Stelle uneingeschränkt auf: Wenn fühlbar wird, was letzten Endes nicht erklärt werden kann. In den kleinen Gesten, die zeigen, dass was passiert zwischen diesen drei Frauen da auf der Bühne. In der vierminutendreiunddreissig langen Nummer ohne Hass, die zur unterschwellig-eindrücklichen Zerreißprobe für die zum Schweigen verdammten Hass-Predigerinnen wird. Und vor allem im zweiten Teil, in dem Sound, Nebel, Licht, Schatten, toll gesungene Arien und düster-gesprochener Text zu einer so ergreifenden wie ungemütlichen Hass-Sinfonie verwoben werden. Stark.

La Haine © Fine Bieler
Versöhnliche Töne … La Haine © Fine Bieler

Verstehen wir nun den Hass, der so selbstverständlich wie lange nicht zum Repertoire des modernen Menschen gehört? Warum hassen die einen und die anderen nicht? Wir wissen’s immer noch nicht. Aber es war definitiv keine verschwendete Zeit, mit glanz&krawall  – so bildstark wie nebulös, schwarz und bunt und mit ungewöhnlichen, inspirierenden (An)Klängen in weichem Französisch und hartem Deutsch –  darüber nachzudenken. Und natürlich auf dem Vulkan zu tanzen.


» La Haine. Eine Hass-Revue.
Mit Katrin Kaspar, Luise Lein und Kara Schröder. Regie Marielle Sterra. Sound Martin Lutz. Dramaturgie Dennis Depta. Bühne Wiebke Bachmann. Kostüme Anna Søder. Eine Koproduktion von glanz&krawall, Cammerspiele Leipzig und Theaterdiscounter Berlin.

Vorstellungen in Berlin: 17. /18. / 20. und 21. Mai, jeweils 20 Uhr, im » Theaterdiscounter

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