Schwarze Augen, Maria | SIGNA am Deutschen Schauspielhaus Hamburg

düstere zukunftsversionen der schwarzäugigen: signa in hamburg

SIGNA laden wieder zur Performance - dieses Mal ins Haus Lebensbaum in Hamburg. Unser Autor Thomas Pannicke hat den eindrucksvollen Tag der offenen Tür besucht.

Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg wird derzeit gebaut. Deshalb lief der Beginn der Intendanz von Karin Beier etwas anders als ursprünglich geplant. Die neueste Performance von SIGNA wurde somit zur Eröffungsinszenierung. Seit Mitte November läuft Schwarze Augen, Maria in einer ehemaligen Schule am Rande des Stadtteils Eilbek.

An Konzept und Regie ist diesmal außer SIGNA auch Sebastian Sommerfeld beteiligt gewesen. Der ist für Leipziger kein Unbekannter. Im Herbst 2008 gehörte er mit zur Mannschaft der Skala und war dann im September 2009 an SIGNAs Leipziger Performance Germania Song dabei. Danach hat er – so hört man – zeitweise auch wieder in seinem Zweitberuf als Arzt gearbeitet. Dass ihm seine medizinischen Kenntnisse in den SIGNA-Arbeiten zugute kommen, konnte man bereits bei den Kölner Hundsprozessen erleben, nun ist er der Psychiater Dr. Marius Mittag und Leiter des Hauses Lebensbaum.

Die Story hinter den Schwarzen Augen Marias

Schwarze Augen, Maria (c) © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Schwarze Augen, Maria  © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Denn das ist die Grundidee der Schwarzen Augen: Das Haus Lebensbaum bietet betreutes Wohnen für eine illustre Gruppe von Menschen, denen eines gemeinsam ist – sie stehen alle irgendwie inVerbindung zu einem großen Verkehrsunfall, der 1993 stattgefunden hat. Auslöserin war eine Frau namens Maria Maria (gespielt von Signa Köstler), die an einer dissoziativen Fugue leidet und deshalb damals ohne erklärbaren Grund auf die Straße gerannt ist. Der Truckerfahrer John (Arthur Köstler) mußte ausweichen, um sie nicht zu überfahren, dabei kippte sein mit lebenden Schweinen beladenes Fahrzeug um. Da hinein fuhren dann noch weitere Fahrzeuge, insgesamt waren sechs Familien beteiligt. Und in all diesen Familien wurden nach dem Unfall Kinder mit schwarzen Augen geboren. Kinder, die, wie gleich zu Beginn betont wird, wie alle Bewohner des Hauses nicht behindert, sondern besonders sind. Die Besonderheit der Schwarzäugigen wird von Dr. Mittag als Teiresias-Syndrom bezeichnet.

Wie Teiresias die Zunkunft vorhersehen konnte, haben auch die schwarzäugigen Kinder eine düstere Zukunftsvision: eines Tages (und zwar wenn zehn schwarzäugige Kinder im Haus Lebensbaum versammelt sein werden) wird ein Sturm losbrechen, der sieben Tage lang die Erde verwüsten wird (der Zufall wollte es, dass ich kurz nach dem Sturm Xaver in Hamburg war, dieser dauerte aber nur zwei Tage). Nach diesem Sturm werden die Schwarzäugigen in alle Himmelsrichtungen zu einer großen Reise aufbrechen, die sieben Jahre dauern wird. Bis dahin aber werden sie im Haus Lebensbaum wohnen, das vor 10 Jahren eröffnet wurde und nun erstmals zu einem Tag der offenen Tür einlädt.

Schwarze Augen, Maria (c) © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Schwarze Augen, Maria © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Was passiert den Gästen des Tags der offenen Tür?

Den Besucher erwartet eine kurze Einführung durch die Insassen des Hauses und natürlich auch durch Dr. Mittag. In den dann folgenden vier Stunden darf man das Haus Lebensbaum auf eigene Faust erkunden. Man kann sich einen Termin bei Dr. Mittag geben lassen, um ihn zu den medizinischen Details zu befragen, man kann sich mit allen Insassen des Hauses unterhalten und sie in ihren Wohnungen besuchen. Dabei erfährt man die Einzelheiten, die oben bereits geschildert wurden, und natürlich noch viel mehr. Im Vergleich zu früheren SIGNA-Projekten wird man als Besucher relativ wenig herausgefordert, irgendwie scheint im Haus das Böse zu fehlen. Situationen wie in der Villa Salo oder im Club Inferno, wo man hilflos zusehen mußte, wie Menschen gequält wurden, gibt es hier nicht. Natürlich haben alle Bewohner ihre Eigenheiten und daraus ergibt sich auch ab und zu einmal ein lautes Wort. Im zweiten Teil des Abends wird der Tag der offenen Tür mit einer Party, deren Höhepunkt eine Theateraufführung durch die Kinder ist, beschlossen.

Trotzdem ist es ein verstörendes Erlebnis, wenn man sich auf seine Rolle als Besucher eines Tages der offenen Tür in einem Haus für betreutes Wohnen einlässt. Dann freut man sich mit, wenn eine der Schwarzäugigen voller Begeisterung berichtet, dass heute zwei Bärtige unter den Besuchern sind und gestern ein Gast eine Schachtel Konfekt mitgebracht hat. Da ist man gerührt, wenn ein anderer einem um den Hals fällt und betont, es wäre so schön, dass man da ist. Man wundert sich, wenn eine andere Schwarzäugige namens Mizzi Schwingungen einsammelt und einem demonstriert, wie sie dieses ins Stromnetz einspeist und man wird traurig, wenn man sieht, dass die Mutter eines Schwarzäugigen ihren Tag wohl damit verbringt, Unmengen an Flaschen billigen Bieres zu leeren. Oft geht es in den Gesprächen um den Kampf zwischen schwarzer Materie und dem wahren Licht. Wie immer bei SIGNA ist jeder Raum mit viel Liebe fürs Detail gestaltet, alles ist dominiert von Pastelltönen, an den Wänden kitschige Bilder, Stofftiere und religiöse Figuren finden sich zuhauf.

Schwarze Augen, Maria (c) © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Schwarze Augen, Maria © Erich Goldmann/Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Kritische Töne gibt es von Dr. Mittag zu hören, der die Leitung des Hauses praktisch ehrenamtlich übernommen hat. Sein Geld verdient er halbtags mit einer Stelle in einem Klinikum. Die Familien im Haus Lebensbaum scheint er zu lieben, kritisch äußert er sich zu Psychopharmaka und zu bestimmten organisatorischen Strukturen in der deutschen Psychiatrie. Hört man ihm aufmerksam zu, so kommt man schnell ins Grübeln über die Kategorien Gesundheit und Krankheit. Auf Spiegel online schreibt Tobias Becker, dass der Besucher, wenn er sich als Teilnehmer, als Besucher eines Tages der offenen Tür versteht, Dinge in einem ganz wörtlichen Sinn begreift und keine intellektuell abgehangenen Botschaften mitnimmt, sondern Erfahrungen. Dieser Einschätzung kann ich nur zustimmen.

Wieder vom 15. – 19. und vom 22. – 26. Januar / Deutsches Schauspielhaus Hamburg

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