es ist eben kompliziert mit der brüderlichkeit – alexander eisenach + camus in hannover

Vor ein paar Wochen haben wir Alexander Eisenach im Wilden Westen verlassen, jetzt treffen wir ihn im Moskau des Jahres 1905 wieder. Die Fragen und Widersprüche, die ihn umtreiben, hat er mitgenommen.

Geht es in der Frankfurter Inszenierung » Der kalte Hauch des Geldes darum, wie Gesellschaft und Markt (dys)funktionieren, stellt sich jetzt die Frage, welche Mittel erlaubt sind, hat man einmal beschlossen, dass die Welt geändert werden muss. Aber zündet die Lunte dort ein fröhlich-kluges Westernfeuerwerk, geht es auf der Cumberlandschen Bühne des Schauspiels Hannover reduzierter zu: Kein Video, kein detailreiches Bühnenbild, kaum Effekte. Stattdessen: volle Konzentration auf Spieler und Text.

Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz
Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz

Und der hat es in sich. Im Jahr 1905 stirbt Großfürst Sergei bei einen Anschlag. Anhand dieses realen Falles seziert Camus so wortreich wie handlungsarm den inneren Kreis der ausführenden – sagen wir mal im Neusprech: Terrorzelle – und die Frage, ob denn der Revolution jedes Mittel recht sein darf. Denn: ein erster Attentatsversuch scheitert, weil der Bombenwerfer Kaljajew seine Bombe nicht auf die ebenfalls in der Fürstenkutsche sitzenden Kinder werfen kann.

Fünf russische Terroristen treffen wir mitten in den Anschlagsvorbereitungen auf ziemlich leerer Bühne. Außer einer großen Glocke, die als eine Art revolutionäres Gedanken- und Klettergerüst fungiert, kommen nur ein paar Stühle, ein Bilderrahmen (in dem später fein poetisch der Traum von einem ganz anderen als dem revolutionären Leben verbannt wird), Licht und sparsam dosierter Bühnennebel zum Einsatz. Und anfangs eine Leinwand, hinter der wir die Machtkämpfe der Truppe als recht vergnügliches Schattenspiel lebendiger Scherenschnittfiguren erleben.

… das ist alles so ausgedacht, so abstrakt!

Es beginnt ein ziemlich theoretischer Disput. Ein Kampf zwischen dem Wort und der Gewalt, zwischen Moral und der-Zweck-heiligt-die-Mittel. Zwischen Revolution und Liebe. Zwischen Brüderlichkeit und Hass. In Personae vor allem: Zwischen dem Poeten und doch Attentäter Karaljew und dem Ganz-und-gar-Terroristen Fjodorow. Theorielastig, ja – aber nie langweilig, mit Witz und mit starken Bildern wie dem oben erwähnten Bilderrahmen, der eine Liebe hält, die es nicht geben darf. Oder dem Turnen unter der revolutionären Glocke – heute heißt das wohl Filterblase – in der in manchen Szenen das Licht der Erkenntnis den Klöppel gibt. Oder ist es das kalte Feuer der Utopie, an dem sich unsere Revolutionäre zu wärmen suchen?

Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz
Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz

Henning Hartmanns Karaljew kämpft ganz wunderbar und immer mit einem Tick Zweifel und Distanz um den eigenen Standpunkt. Schneller als man existentialistische Fönfrisur sagen kann sitzt er dann nach vollbrachter Tat im Stück im Knast, in der Inszenierung am Piano und vollbringt ein höchst geistreich-komisches Kabarett Kabinettstück zwischen Selbst-Reflektionen zu Rachmaninoff und nun auf immer unerreichbaren Richard-Clayderman-Harmonien mit großem wollen-wir-nochmal-sehen-Potential.

Ich will kein friedliches Leben

Jonas Steglich spielt seinen aus der Gefangenschaft zurückgekehrten und zu allem bereiten Stepan mit der Vehemenz von einem, dem das ganze ein Spiel ist, dieses Spiel aber das einzig Wahre. Beatrice Frey gibt ihrem Chefplaner Woinow in zwei großartigen Monologen zwar den Willen zur Tat, zugleich aber auch das Wissen, dazu niemals fähig zu sein. Und hernach der Witwe des Großfürsten bemerkenswerte Kraft und Größe. Sehr schlüssig auch die anderen Rollenwechsel im zweiten, dem Nach-der-Tat-Teil: Den sich sehr aus der Verantwortung nehmenden Revoluzzer-Gruppen-Chef (Wolf List) treffen wir als stimmgewaltigen Mithäftling wieder, der in Henkersdienstleistungen macht und der militante Stepan inkarniert wunderbar im leichtfüssig-manipulativen Polizeimeister Skuratow.

nie mehr werden wir Kinder sein

Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz
Die Gerechten © Karl-Bernd Karwasz

Die Schlüsselfigur des Abends jedoch – wir bitten die Herren um Vergebung – ist die Dora. Die steckt in einem geradezu klassisches Dilemma zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Revolution und Liebe, Bombenbauen und Brüderlichkeit und ist damit so etwas wie der rote Faden des Abends. Der Zerissenheit ihrer Figur, die sich selbst immer wieder von der Richtigkeit des Ganzen zu überzeugen versucht, kommt Lisa Natalie Arnold mit einer schwer zu beschreibenden Art lebenskluger Naivität bei, einem unbedingten glauben-wollen-und-dabei-doch-wissen, das sehr sehr eindringlich ist. Ihr gehören dann auch die anrührenden Schlussworte, die keinen so schnell loslassen und die das Bühnengeschehen verdammt nah in unserem Heute verorten.

… und da suchen die Menschen nach einem Sinn.

Ja, genau. Und beim nächsten Mal wieder. Und wieder. Und wieder.


» Die Gerechten
Schauspiel Hannover. Regie Alexander Eisenach. Bühne Daniel Wollenzin. Kostüme Claudia Irro. Musik Sven Michelson. Mit: Henning Hartmann , Lisa Natalie Arnold, Wolf List, Beatrice Frey und Jonas Steglich

Wieder am 5., 10. und 26. März 2017

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