„es ist nicht das, wonach es aussieht“ – sebi hartmann geht in stuttgart auf sabinerinnen

Sebastian Hartmann hat am Schauspiel Stuttgart schon zwei starke, aber auch anstrengende und lange Abende gemacht - viele Fans hat er damit im Ländle nicht gewonnen. Jetzt kommt er mit einer Komödie zurück und mit der Ansage, sich mit dem Zuschauern und dem Zuschauen auseinandersetzen zu wollen. Das wiederum geht äußerst lustvoll und unterhaltsam vor sich - "Der Raub der Sabinerinnen" beginnt als herrlicher Spaß und endet in einer sehr ernsthaften Liebeserklärung ans Theatermachen.

Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach
Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach

Der Schwank von Paul und Franz von Schönthan eignet sich vortrefflich, um auf dem Theater über das Theater nachzudenken. Und ist die allerschönste Vorlage für ein spielwütiges Ensemble, das zur Hochform aufläuft beim Komödiemachen und Seitehiebe-Verteilen auf so manche und beileibe nicht nur Stuttgarter Publi-kümmernisse. Seitenhiebe? Vorschlaghammer trifft es eher und mit dem geht’s los auf Schau-Spielmittel, auf Sehgewohnheiten und auf die Erwartungshaltungen derer „da unten“ an die „da oben“ und umgekehrt, die allzu oft wie Scheuklappen funktionieren.

Da haben wir den honorablen Studienrat Gollwitz, der in jugendlichem Pathos eine Römertragödie verfasst hat. Heute steht der arme Mann arg unter der Fuchtel seiner Frau und liest aus dem „Raub der Sabinerinnen“, so der Titel, allenfalls dem Hausmädchen vor. Ein solches Stück aber hat dem Wandertheaterdirektor Striese gerade gefehlt – was dem Studienrat schmeichelt, was aber die Gattin auf keinen Fall wissen darf. Es folgen Enthüllungen, überraschende Wendungen und Verwechslungen …

Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach
Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach

Bei Sebastian Hartmann ist das viel mehr als nur ein Schenkelklopfer-Schwank: Das ist Groteske, herrlichstes Knallchargentheater. Das ganze Ensemble ist uffjedreht bis Anschlag: Peter René Lüdickes Gollwitz gewohnt zappelig und mit einer Mimik, die einem Buster-Keaton-Stummfilm Ehre machen würde. Holger Stockhaus ist einmal mehr Comedian-Profi par Excellence und hat offensichtlich seine Zeit in Leipzig genutzt, um den Sachsen aufs Maul zu schauen.  Sandra Gerling mimt die pubertierende Studienratstochter Paula grandios zwischen Teenie-Nerd und Anfällen emotionaler Epilepsie und Manolo Bertling-ing-ing tritt hauptsächlich als urkomisches Echo auf.

Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach
Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach

Theatermittel – Sprichst Du etwa B e i s e i t e?? – bekommen ihr Fett weg, die Schauspieler sowieso: Du weißt aber schon, dass sich so’n Mittel mit der Zeit aufbraucht?. Und die Zuschauer: Du musst aaalles gaaanz geeenau erklääären, daamit es aaalle hier veersteeheen köönneeen … Daneben ist noch Zeit fürs Dialekt-Verlegen, Szenen-Verwechseln, jede Menge Wort-Witze und reichlich Anspielungen auf frühere Inszenierungen und andere Theaterprovinzstädte … Und während sich der Abend Runde um Runde höchstunterhaltsam im Kreise dreht und man sich schon etwas furchtsam fragt, ob es das diesemal vielleicht doch schon war, kommt abrupt die Kehrtwende:

Haben wir noch Text? Fragen sie die Souffleuse. Aber auch die hat keinen mehr.

Die Schauspieler verstummen. Sie wissen auch nicht mehr, was sie nun wollen sollen, obwohl Birgit Unterweger im schönsten Österreichisch Hamlet-Omlets, Lear-Schmarrn und sogar Hitlergulasch feilbietet. Was für ein Schmierentheater!, urteilt die Linzerin und Holger Stockhaus darf sich eine kleine Weile verteidigen. Sehr leise tut er das, eindringlich und ehrlich, ganz ohne Komödie, bevor die Figuren stumm wie Puppen von den Bühnentechnikern auf den Thespiskarren verladen werden – ein grandioses Bild.

Was folgt, das ist das eigentliche Wow! des Abends und nicht weniger als ein kleiner Gottesdienst vor dem, was Theater eigentlich ist und kann: Jenseits vom – frei nach Thomas Brasch – idealisierten Hort bürgerlicher Selbstversicherung und ohne Nützlichkeitskalkül aus dem NICHTS eine andere Welt zu erschaffen.

Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach
Der Raub der Sabinerinnen @ Conny Mirbach

Denn einmal verräumt stehen sie nicht mehr vor dem roten Vorhang, sondern mitten auf der Bühne und geben Tragödie: stumm, nur getragen vom eigenen Spiel, ein wenig Licht und reichlich Nebel und zart begleitet von Hanna Plaß‘ Gesang:

Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh‘ in einem stillen Gebiet!
Ich leb‘ allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!

Eine Zauberwelt, ein Schattenreich, so voller Kraft und ebenso bedroht: Hartmann lässt die drei riesigen Säulen der Bühnenkulisse sich unendlich langsam und unaufhaltsam auf Spiel und Spieler senken. Erst der Schlussapplaus „rettet“ das Ensemble und die gerade noch einmal Davongekommenen singen mit Hans Moser:

Wenn der Herrgott nicht will, nutzt es gar nix, Schrei net rum, bleib schön stumm, sag es war nix ..

Aber das hier, das war was!


» Der Raub der Sabinerinnen
Schauspiel Stuttgart. Regie Sebastian Hartmann. Mit Manolo Bertling, Sandra Gerling, Manuel Harder, Manja Kuhl, Peter René Lüdicke, Hanna Plaß, Birgit Unterweger, Abak Safaei-Rad und Holger Stockhaus

Next shows: 26.11. und 9., 12., 20. und 30.12.2016

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert