gespiegelte sehnsucht im federkleid – mario schröder geht dem schwanensee auf den grund

Die Vorberichte machten die einen neugierig, die anderen skeptisch. Von einem neuen, - Achtung: Reizwort! - modernen Schwanensee war da die Rede. Dabei erfindet Mario Schröder das wohl berühmteste aller Ballette gar nicht neu, er fügt ihm allerdings sowohl inhaltlich als auch bühnenästhetisch eine Ebene hinzu. Durchaus beeindruckend für uns Ballett-Anfänger.

Schwanensee © Ida Zenna
Schwanensee © Ida Zenna

Das Ende vorweg? Kann man denken, denn die beiden Schwäne auf dem halbtransparenten, stuckverzierten Bühnenprospekt sind schon tot, ihr Schwanengesang wohl lang verklungen. Mit den Hälsen nach unten hängen sie da wie die erlegten Rebhühner diverser Jagdgemälde. Dahinter tanzt die Prinzessin (eine androgyne und dennoch weibliche, so zarte wie entschlossene Erscheinung: Uriania Lobo Garcia) ihre ersten Schritte: allein, melancholisch aber auch trotzig, sehnsüchtig und überaus kraftvoll.

Inhaltlich schön frisch und auch ein bisschen frech hat Mario Schröder den Prinzen kurzerhand zur im goldenen Käfig eingesperrten Prinzessin gemacht, die sich fortträumt von der erstarrten Hofgesellschaft – das Ballett rudert hier hübsch überzeichnet bald nur mehr mit den Armen, den Damen sind wortwörtlich Klötze in Form schwerer Plateauschuhe ans zarte Tänzerbein gebunden –  und den übergriffigen Eltern, die sie wie eine menschliche Gliederpuppe mal hierhin, mal dorthin, mal in diese, dann in die nächste Pose ziehen.

Schwanensee © Ida Zenna
Schwanensee © Ida Zenna

Dann lösen sich aus den Schlosswänden langsam weiße Federn und schweben nach oben. Tränengleich rinnen Regentropfen über den Stuck und leiten so über in die magische Schwanensee-Welt, in die die Prinzessin bald eintaucht und die durch einen beweglichen, bühnenbreiten Spiegel aus verschiedenen Winkeln auch in der Draufsicht zu sehen ist. Und der ist hier kein stilles Wasser – Licht und Video zaubern Wellengang, Strudel, ja sogar Gischt auf den Boden unter die Tänzer. Aus tiefsten Grunde scheint dann und wann ein tränengefülltes Auge zur Oberfläche zu blicken – man meint gar, die Wimpern zu erkennen.

Schein und Sein, Begehren, Lust, Gewalt, Gier, Traurigkeit, Sehnsucht – all das scheint aus Tschaikowskys herrlicher Musik direkt in diesen See geflossen zu sein und all das vereint auch kongenial der Tanz der drei Solistinnen. Neben Lobo Garcia sind das Anna Jo als weiße, und Laura Costa Chaud als schwarze Schwänin. Lockend umtanzen, umgarnen sie sich, entziehen sich wieder. Ganz körperlich geht es zwischen den drei Frauen zu, dann wieder schwebend, fast transzendent. Umkreist, aufgefangen, zurückgeworfen werden sie wieder und wieder vom klug-unisex und so gar nicht klassisch-verspielt kostümierten Ballett. Durch den Spiegel entstehen immer neue, kaleidoskopartige Wunderbilder, die zusammen mit Musik und Tanz zu einem Wow! verschmelzen, das einen in den Zuschauersessel drückt. Und die erzählen können – von Vereinzelung und Gemeinschaft, von der Lust am Untergang und von der Sehnsucht nach dem kurzen Aufgehen im Anderen.

Schwanensee © Ida Zenna
Schwanensee © Ida Zenna

Diese ertanzte Ambivalenz kann die auf „Normalität“ bedachte Gesellschaft natürlich nicht aushalten, der schwarzen Schwänin muss es an den Kragen gehen. Und so kehrt die Protagonistin am Ende der Welt den Rücken und geht allein und ruhig-entschlossen auf die magische Seite, in ihr eigenes Spiegelbild hinein.

Ein traurig-schöner, ein zeitlos-universeller Abend. Pur und klar und ganz bei sich. mit Witz und Esprit und so bildgewaltig wie wohltuend uneindeutig. Und ganz einfach wunderschön anzuschauen und anzuhören. Standing Ovations und langer Applaus bei der Premiere. Sehr verdient.


» Schwanensee
Choreographie: Mario Schröder. Bühne Paul Zoller. Kostüme Aleksandar Noshpal. Mit Uriania Lobo Garcia, Anna Jo, Laura Costa Chaud, Lou Thabart, Fang Yi Liu, Marcos Vinicius Da Silva, dem Leipziger Ballett und dem Leipziger Gewandhausorchester unter Leitung von Giedre Šlekyte.

Nächste Vorstellungen: 14. und 19. Juni, sowie am 15., 16., 23. und 30. September 2018

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