birgit unterweger über krieg und frieden

Kurz nach der Premiere von „Krieg und Frieden“  bei den Ruhrfestspielen haben wir uns mit Schauspielerin Birgit Unterweger auf einen Kaffee getroffen und sie über die Inszenierung, das Festspielpublikum, blaue Flecken und über die Erschöpfung nach sechs Stunden auf der Bühne ausgefragt.

Birgit, hier am Centraltheater sitzen in einer Premiere viele bekannte Gesichter, Kollegen und Freunde. Wie fühlt es sich an, eine Inszenierung das erste Mal auswärts, also ganz ohne Heimvorteil, zu spielen?

Ganz anders. Hier ist es ein Heimspiel und dort ist es ein Auswärtsspiel und das spürt man auch. Noch dazu haben wir die Endproben in einer Halle gemacht und nicht im Theater und wir wussten überhaupt nicht, was auf uns zu kommen wird. Wir haben dann dort zur Generalprobe zwölf Stunden lang durchprobiert, das war wahnsinnig anstrengend. Man musste das Ganze ja erstmal auf die Recklinghauser Bühne bringen. Und wir mussten uns auch neu zurechtfinden. In der Probenhalle war nach der Bühne sofort Schluss, da konnte man nicht so richtig nach draußen spielen. Und in Recklinghausen dieser Riesen-Zuschauerraum … Und dann ist es ja eine Premiere und eine Premiere ist immer etwas ganz Besonderes. Das war schon sehr aufregend! Wir waren sehr über die positiven Reaktionen erstaunt. Wir hatten damit gar nicht gerechnet. Dadurch, dass letztes Jahr „Paris, Texas“ nicht so ein Erfolg war und die Leute sehr irritiert waren. Für uns ist „Paris, Texas“ ja eine geradezu textgetreue Hartmann-Inszenierung gewesen.

Eine eher konventionelle Arbeit …

Ja, genau, Wir dachten uns damals: kein Problem, mit Heike Makatsch, die haben wir im Sack! Aber die Zuschauer sind reihenweise rausgegangen. Jetzt sind die Leute zwar auch rausgegangen, aber das war der Müdigkeit geschuldet. Aber dann, beim Premierenapplaus, sind die aufgestanden, haben gejubelt und das war schon ein schönes Gefühl: Zu merken, es hat funktioniert.

Hatte das Publikum also gar keine so skeptische Grundhaltung, wie ihr erwartet habt?

Es gab sicher viele, die skeptisch waren. Man muss sich auf den Abend – wie auf jede Hartmann-Inszenierung – einlassen, man muss das aushalten und dann, dann passiert mit einem etwas. Wenn man das nicht tut, dann kann man eigentlich gleich gehen. Wir spielen zum Beispiel alle keine durchgehenden Rollen und das haben die Leute erstaunlicherweise sehr schnell angenommen. Obwohl man sich ja so gerne mit einer Figur identifizieren möchte.

Das war aber nicht im Angebot …

Nein (lacht). Es wird auch von Teil zu Teil schwieriger. Es gab zwar keine lautstarken Reaktionen – was ich gut fand! – aber der Zuschauerraum wurde immer leerer in den Pausen. Im dritten Teil waren sie schon arg strapaziert und dann kommt noch so ein Film von Thilo Baumgärtel – den ich ganz großartig finde – und der dauert auch noch mal zehn Minuten. Dann ist doch noch einmal ein Schwung rausgegangen, der die letzte Viertelstunde nicht mehr ausgehalten hat.

Die Zuschauer wussten wohl auch nicht, dass es tatsächlich die letzte Viertelstunde war …

Eben. Wir haben dann ab der zweiten Vorstellung oben so ein Banner laufen lassen: „Noch 10, 9, 8 Minuten …“. Das fand ich super vom Bautz (dem Dramaturgen der Inszenierung).

Dann war am Ende also nur noch die Hälfte der Leute da?

Genau. Da haben wir gesagt: Ah, ja, da fühlen wir uns gleich wohl! Das ist unsere Größenordnung. Das waren dann Leipziger Verhältnisse. Es waren noch so um die 200. Aber die sind gestanden, die haben richtig gejubelt.

Gab es einen Austausch, Gespräche mit dem Publikum?

Wir wollten eigentlich, aber es war sinnlos nach der langen Vorstellung ein Publikumsgespräch zu machen, es wäre keiner mehr dageblieben. Deswegen gab es wenig Kontakt mit den Zuschauern, das muss man ehrlicherweise sagen. Es standen einige draußen für ein Autogramm von Heike Makatsch, die kamen auch zu uns und haben gesagt: „Also ganz toll. Man sieht ja gar keinen Unterschied.“ (lacht)

Vieles hat man in den Pausen einfach so mitgekriegt. Die Assistenten waren oft im Foyer und haben gehört, was die Leute reden: „Ja Wahnsinn, toll gespielt.“ oder „Ich verstehe zwar nichts, aber ich bin dran.“ und „Eine Geschichte wird einem ja jetzt nicht präsentiert, aber philosophische Gedanken“. Das fanden viele gut. Auch viele Theater haben sich gleich gemeldet und waren interessiert. Vielleicht gibt es ein Gastspiel!

Eine so lange und intensive Inszenierung und dann jeden Abend spielen – wie geht das?

Das war für Körper und Stimme echt grenzwertig. Der Abend geht halt sechs Stunden und wir sind alle ziemlich viel auf der Bühne. Wir hätten das nicht gedacht. Bei der Premiere ist man ja eh mit Adrenalin vollgepumpt und dann feierst du bis …

… zum Frühstück?

Ja, genau, dann sind wir gleich zum Frühstück gegangen. Aber dann merkst du schon: Oh, die Knochen, die Stimme – geht aber noch. Nach der dritten Vorstellung hatten fast alle von uns keine Stimme mehr. Ein paar haben sogar mit Mikroport spielen müssen. Wahnsinnig anstrengend. Ich war natürlich wieder blau von oben bis unten, sehr blau.

Man hat schon gemerkt: das ist kein Abend, den man en suite spielen sollte. Wirklich nicht. Man hat so wenig Erholungsphasen: Wenn sechs Uhr der Abend beginnt, bist du um vier im Theater und kommst um halb eins raus.

Wie motiviert man sich dann, am nächsten Abend wieder alles zu geben? Und am nächsten? Und am nächsten?

Es gab schon so ein paar Einbrüche … Bei der letzten Vorstellung war es dann wieder o.k.; da wusste man, man hat es gleich geschafft. Du bist dann ja in so einem komischen Rauschzustand. Der Körper teilt es sich ein, du weißt, du musst die fünf Vorstellungen irgendwie schaffen. Und dann, bei der fünften fragt man sich schon: „Nee, jetzt noch mal? Nein, jetzt nicht noch drei Stunden!“ In der Zeit spielst du ja eigentlich vier Stücke. Am Tag danach waren wir alle so was von erschöpft und kaputt, dann mussten wir uns eine Woche ausruhen. Die Wunden heilen.

Und ehe man nach so einem langen, intensiven Spiel emotional wieder unten ist, das dauert sicher – wie stellt man das überhaupt an?

Soll ich es dir sagen? (lacht): Mit Alkohol. Nein, also, zum Beispiel nach der zweiten Vorstellung: Da haben wir es uns schön gemacht. Wir sind alle zusammen zum Italiener gegangen – essen, trinken, zusammensitzen, lachen, Blödsinn machen und über die Vorstellung reden.

Tagsüber, da wollten wir alle sehr viel machen. Es gab einen Fitness-Raum und ein Schwimmbad im Hotel. Am Ende waren wir kurz frühstücken und sind wieder auf die Zimmer verschwunden. Das Festspielhaus liegt ja auf dem Grünen Hügel. Und daneben ist ein Tierpark, da kann man schön spazieren gehen. Das fand ich ganz angenehm, eine halbe Stunde vor der Maske ein bisschen zu spazieren, den Text noch mal durchgehen und drüber nachdenken. So in die Stadt, na ja, da ist nicht viel …

Recklinghausen ist ja ziemlich klein mit knapp 120.000 Einwohnern.

Ja, es ist sehr klein, aber es sind doch einige Mädels von uns shoppen gegangen. Susanne Böwe meinte, in so kleinen Städten gibt es immer super italienische Boutiquen. Und sie hat welche gefunden. Das haben die Frauen gemacht. Die Jungs wollten, glaub ich, Fußball spielen. Aber: gar nichts! Nur schön ausruhen …

Das Schöne war, in unserem Hotel gab es eine Bar mit Kaminzimmer in der wir die ganze Nacht sein konnten. Die hatten 24 Stunden offen und da haben sich auch andere Produktionen getroffen. Das war sehr nett, der Austausch mit den anderen Kollegen in einer Riesenrunde. Und es gab wirklich einen kleinen Kamin, der brannte.

Im Rückblick: Was war dein schönstes Festspielerlebnis? Und gab es auch merkwürdige Vorkommnisse?

Das Schönste war wirklich die Premiere, wie die Leute gestanden sind und ich bei meinen Kollegen diese Erleichterung in den Gesichtern gesehen habe: Dass es funktioniert hat, dass die Leute es angenommen haben. Wir haben ja eher erwartet, dass sie uns verreißen, so wie bei „Paris, Texas“. Und dann beim Applaus, als alle auf der Bühne waren! Zusammen mit den Musikern, die übrigens ganz toll waren, die drei von Apparat. Die hatten ja mit Theater überhaupt nichts am Hut und haben sich immer mehr reingefunden, haben wunderbare Musik gemacht und waren sehr sensibel mit uns. Großartig. Also wenn alle auf der Bühne stehen: Dann siehst du diesen Riesenstab, man verbeugt sich und du weißt, es hat sich gelohnt. Das war der schönste Moment. Und merkwürdig? Ja, was war merkwürdig? Dass immer ein Hahn gekräht hat.

Aus dem Tierpark? Ich dachte, da gäbe es eher so Rehe …

Nee, nee. Einen Hahn und Schafe und einen Pfau, Der war schlimm, der Pfau. Irrsinnig laut. Die Lotz-Leute (Die zweite Koproduktion: Zerschossene Träume) haben ja im Zelt gespielt, die haben das voll abgekriegt. Da wurde dann natürlich damit gespielt. (grinst) Wahrscheinlich können die es jetzt ohne Pfau gar nicht mehr spielen.

Werden wir denn in Leipzig denselben „Krieg und Frieden“ zu sehen bekommen oder soll viel geändert werden?

Was ich gehört habe, will Sebastian wirklich noch etwas ändern. Vielleicht ist das aber auch nur ein Gerücht. Wir werden sehen. (Lacht) Vielleicht packt er noch ein paar Texte rein und macht es noch ein wenig länger – weil die Leipziger das ja gewohnt sind, die kann man mehr beanspruchen. Jetzt sind ja erstmal die Ferien dazwischen. Und dann guckt man. Am 20. September. Wahrscheinlich werdet ihr sagen: Na ja, sooo toll ist es ja nun auch nicht. Nein, im Ernst , ich bin sehr gespannt, wie es die Leute in Leipzig finden.

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