landlust und -frust nach turgenjew – jetzt am schauspiel frankfurt, im mai in leipzig

1855 schrieb Iwan Turgenjew seine doppelbödig-tückische Liebeskomödie Ein Monat auf dem Lande, 160 Jahre später hat der britische Autor, Comedian und Regisseur Patrick Marber sie gekonnt geschärft, verdichtet und britisch-dezent aufs Tempo gedrückt. Drei Tage auf dem Land wird Enrico Lübbe im Mai in Leipzig inszenieren, wir waren in Andreas Kriegenburgs deutschsprachiger Erstaufführung am Schauspiel Frankfurt schon mal Landluft schnuppern.

Unter Beobachtung: Isaak Dentler als Arkadij © Birgit Hupfeld
Unter Beobachtung: Isaak Dentler als Arkadij © Birgit Hupfeld

Das russische Landgut ist bei Kriegenburg ein Ort irgendwo zwischen Kirschgarten-Feeling und brandenburgischer Provinz-Kommune für übersättigte Stadtflüchter. Eine Art Remise hat er auf die Bühne gestellt: Abblätternde Farbe, rostiges Tor und vollgerümpelt mit gerade nicht gebrauchtem Mobiliar. Drei Stunden lang wird hier begehrt, verführt, verraten, gesungen, gekifft und verzweifelt …

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate.

Liebesmüh und -weh angereichert mit Shakespearschen Sonetten, Songs von Somewhere Over the Rainbow bis Mad World und in romantisch-weißer und zeitloser heißer-Sommer-auf-dem-Land-Garderobe. Ein wunderbar träger Müßiggang eigentlich: Geplänkel, Gespräche, laue Nächte, gutes Essen, reichlich Trinken. Doch dass unter der landläufigen Harmonie die zerstörerischen Säfte des blinden Begehrens gären, ist ab der ersten Spielminute klar und wird umso deutlicher, je mehr die Figuren versuchen, Contenance und Leichtigkeit vorzuspiegeln.

And I find it kind of funny
I find it kind of sad‘
The dreams in which I’m dying
are the best I’ve ever had

Gutsherrin Natalja sieht die eigene Jugend schwinden und sich selbst schmerzlich an die Provinz vergeudet. Mit Hausfreund Rakitin unterhält sie eine außereheliche Hop-on-Hop-off-Beziehung, die ihr ihr Frausein gerade genug bestätigt, unter der er im Gegenzug allzu gern leidet. Da hat man sich halt so eingerichtet. Als sie sich aber Hals über Kopf jungen Hauslehrer des Sohnes verliebt, brechen sich in der nicht nur temperatürlich aufgeheizten Situation so einige Leidenschaften Bahn. Denn: Nicht nur Natalja ist dem jungenhaften Pädagogen verfallen.

Lass dir niemals in die Karten schauen! Niemals!

© Birgit Hupfeld
© Birgit Hupfeld

Was sich nun mit all den zugehörigen Geständnissen, Widerrufen, Verführungen und Intrigen entspinnt, ist sehr hübsch anzuschauen, oft komisch, bisweilen sogar ein bisschen böse. Eine schöne schwebend-hitzige Stimmung zaubern Kriegenburg und sein sommerfrisch aufgelegtes Ensemble da in den frühen März. Einzig die Natalja ist bei Franziska Junge nicht nur ziemlich jung, sondern auch von Anfang (zu) arg hysterisch-überdreht unterwegs. Ihr Ich-lieb-dich-ich-lieb-dich-nicht-Nervenbündel ist zwar großteils durchaus unterhaltsam -als auch emotionales Zentrum des Abends taugt es nicht.

Verena Bukal dagegen spielt mit ordinärer Was-schert’s-mich-Geste (gleich in der ersten Szene haut sie – Ich sterbe vor Hitze! – ihren Schlüpper auf den Kartenttisch) und staubtrockenem Humor ihre Hausdame Lizaweta in all ihrer Einsamkeit und Selbstbehauptung fast unmerklich ins Zentrum des Abends. Felix Rech gibt einen verführerisch-leidenden, melancholischen und trotzdem zupackenden Rakitin, wir hätten ihn ja sofort getröstet ;). Und Pointenschleuder Oliver Kraushaar als kuppelnder Landarzt Spigelski ist nicht nur in den Szenen mit dem ebenso herrlich unbeholfenen wie unbehosten Brautwerber Bolschinzow (Peter Schröder) ein Fest. Aber da besonders.

Nach den kurzweiligen Schauspielertheaterszenen des ersten Teils drosselt der Regisseur den Inszenierungsmotor: Alles wendet sich für alle zum Schlechten (und größtenteils ist man auch noch selbst schuld) und die Personage verfällt geradezu in Agonie. Durch die Fenster der Remise starren die weißgewandeten Insassen gartenwärts auf den einsamen, gehörnten Gatten. Und am Ende sitzen sie alle buchstäblich zwischen allen Stühlen: So viele davon man auch in den Garten schleppt und ausprobiert, dort wo man einmal sitzt, mag man nicht hocken bleiben, aber auch der nächste Stuhl will einfach nicht zum eigenen Hintern passen.

© Birgit Hupfeld
Bald steht der ganze Garten voller Sitzmöbel, sesshaft wird man dennoch nicht © Birgit Hupfeld

Wie viele Herzen hast du?
Drei? Gut. Die wirst du brauchen.

Ach, wie flüchtig ist alles Begehren, wie wankelmütig die Liebe und wie egozentrisch die Liebenden! Alles in allem nimmt der Abend das Liebes-Hin-und-Her charmant in die offenen Arme und durchaus selbstironisch aufs Korn. Britisch kokett mit sehr leisen Anklängen der abgründigeren, russischen Seele. Wir sind dann mal gespannt auf die landfrustlustige Seelenlage in Leipzig. » Premiere ist hier am 27. Mai auf der Hinterbühne.


» Drei Tage auf dem Land, Schauspiel Frankfurt
Patrick Marber nach Iwan Turgenjew. Regie Andreas Kriegenburg. Mit: Franziska Junge, Verena Bukal, Heidi Ecks, Felix Rech, Isaak Dentler, Oliver Kraushaar, Alexandra Lukas, Michael Benthin, Owen Peter Read, Peter Schröder, Carlos Praetorius, Elena Packhäuser, Quentin Ritts/Ben Schmitt

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