Das hatte offenbar auch Puck (Marcus Horn) gehört, der hier im Clownskostüm mit roter Nase auftritt. Die Shakespearianer werden begrüßt, aber Puck macht sich auch ein wenig lustig über sie. Wahrscheinlich hat es ich in Weimarer Theaterkreisen herumgesprochen, daß es in der Shakespeare-Gesellschaft viele Literaturwissenschaftler gibt und nach Theateraufführungen regelmäßig Unzufriedenheit über den zu freien Umgang mit dem Text geäußert wird.
Nach diesem Abend übrigens nicht, da gibt ein Shakesperianer zu, daß er positiv überrascht war, denn den Sommernachtstraum hätte er schon so oft gesehen, da habe er nichts Neues erwartet. Eine andere Stimme betont, dass der Sommernachtstraum doch so oft gespielt werde, den sollte man mal 20 Jahre in die Schublade legen und nicht spielen. Und das sagt ein Mitglied der Shakespeare-Gesellschaft! Natürlich, würde jeder Regisseur streng vom Blatt inszenieren, wäre nicht erst der zwanzigste, sondern schon der dritte oder vierte Sommernachtstraum langweilig. Theater ist aber doch oftmals lebendiger als die Literaturwissenschaft und in diesem Shakespeare-Text steckt so viel, daß sich jeder Regisseur seinen eigenen Sommernachtstraum zurechtbasteln kann und den Zuschauern immer wieder neue Aspekte und Gedanken zeigt.
Die Weimarer Inszenierung beginnt mit einer Probensituation. Geprobt wird natürlich der Sommernachtstraum und die Idee dabei ist, dass die Konflikte zwischen den Figuren hier schon zwischen den Schauspielern bestehen. Die Helena-Darstellerin (Isabel Tetzner) liebt den Demetrius-Darsteller (Jonas Schlagowsky), der von ihr nichts wissen will und darauf achtet, dass sie bei der Leseprobe nicht neben ihm sitzt. Der Theseus-Darsteller (Max Landgrebe) ist mit der Hippolyta-Darstellerin (Dascha Trautwein) verheiratet und macht ihr wiederholt klar, wer in der Ehe das Sagen hat, zur Not auch mit Gewalt. Der Oberon-Darsteller (Sebastian Kowski) wirkt etwas melancholisch, als die Titania-Darstellerin (Nadja Robiné) verspätet zur Probe erscheint und ihn links liegen lässt.
Nachdem Lysander (Nahuel Häfliger) und Hermia (Simone Müller) ihre Flucht in den Wald verabredet haben, treten die Handwerker auf, passend zur Probensituation sind es Bühnenarbeiter. Der Athener Wald ist reduziert auf einen Baumstumpf, die Atmosphäre des nächtlichen Zauberwaldes entsteht durch Nebel, ein paar herabhängende Stoffbahnen und durch eine vielköpfige Schar von z.T. gruselig aussehenden Elfen.
Es ist herrlich anzusehen, mit wie vielen Ideen hier Shakespeares Worte auf die Bühne gebracht werden. Da wird eine Elfe beauftragt, einen Kauz zu schießen, offensichtlich geht der Pfeil fehl, denn auf der Bühne erscheint kein sterbender Kauz, sondern ein sterbender Schwan. Titania genehmigt sich vor ihrem Schlummer noch einen Joint, der die Gestalt einer riesigen Plasteblume hat. „Mister Bombastic raucht Blume aus Plastik“ singen die Elfen dazu. So geht es weiter durchs Stück, ein wunderbarer Einfall jagt den nächsten. Nichts kommt zu kurz.
Für den Humor sind vor allem die Handwerker zuständig. Eine Szene hat wohl schon wiederholt für Empörung gesorgt und auch an diesem Abend verlassen zwei ältere Damen den Saal: Es geht um die Frage, wie man den Mond für die Theateraufführung in den Saal bekommt. Nichts leichter als das, meint Zettel (Krunoslav Šebrek), und entblößt seinen Hintern. Neben einer nicht zu verhehlenden Ähnlichkeit ist das auch werktreu, denn bei Shakespeare heißt Zettel Bottom, was man mit Gesäß übersetzen kann.
Nun ist der Sommernachtstraum beileibe keine romantische Liebeskomödie. Die – auch sexuell geprägte – Gewalt des Stück kommt in den Szenen mit den durch den Wald irrenden Liebespaaren zum Ausdruck. Da müssen vor allem die Frauen einiges einstecken. Ob der inzwischen zum Esel verwandelte Zettel mit einem halbmeterlangen Penis die beiden älteren Damen von vorhin auch zum Verlassen des Saals gebracht hätte, lässt sich dann nicht mehr überprüfen. Die Handwerker, die ihren Hauptdarsteller Zettel vermissen, treffen sich derweil und philosophieren über das Theater. Wie schön wäre es doch, wenn allabendlich die Leute in vollen Theatersälen säßen. Da hätte niemand mehr Zeit, um zu Hause Frau und Kinder zu prügeln, und – so spinnen sie den Gedanken weiter – es hätte niemand mehr Zeit, um Kriege zu führen.
Die Magie des Theaters zeigt dieser Abend besonders schön in einer Szene, die ich „Zettels Traum“ nennen würde. Oberon (Saxophon), Lysander (Gitarre) und Puck (Schlagzeug) spielen zum Tanz auf. Im fliegenden Wechsel treten die Schauspieler, die an diesem Abend fast alle Doppelrollen spielen, mal als Elfen, mal als Handwerker oder Athener Bürger auf. Da werden sogar Zuschauer aus der ersten Reihe hinzugeholt oder ein „richtiger“ Bühnenarbeiter. Im Hintergrund sieht man die Kostümabteilung, die an diesem Abend und speziell in dieser Szene alle Hände voll zu tun hat. Die Szene läuft fast ohne Worte, so wie auch Zettel seinen Traum ja nicht in Worte fassen kann. Nach diesem Höhepunkt des Stückes setzen die Handwerker mit „Pyramus und Thisbe“ noch einen drauf – jubelnder Beifall im Publikum.
» Ein Sommernachtstraum
Regie Jan Neumann. Bühne Oliver Helf. Kostüme Nini von Selzam. Mit Dascha Trautwein, Max Landgrebe, Simone Müller, Nahuel Häfliger, Isabel Tetzner, Jonas Schlagowsky, Nadja Robiné, Sebastian Kowski, Marcus Horn, Thomas Kramer, Krunoslav Šebrek, Julius Kuhn, Anna Windmüller, Bastian Heidenreich und
Christoph Heckel.
Wieder am 27. Mai und 15. Juni 2018, Deutsches Nationaltheater Weimar