nordkurve #1
langer bericht von viel längerer nacht – die hamburger theaternacht 2015

Da hab ich mich gerade erst feucht-fröhlichst von meiner Leipziger Theaterheimat verabschiedet, die Umzugskisten sind kaum ausgepackt, da blinken mich in der neuen Wahlheimat schon die nächsten Plakate an: Die Hamburger Theaternacht 2015 ruft. Na, wenn das mal nicht nach einem netten Einstieg für die frisch beschlossene reihesiebenmitte-Korrespondenz, von der ich mich übrigens sehr geehrt fühle, klingt, theatrale Stadtrundfahrt inklusive.

DSC_0948So endet der Vorabend, den ich zur Planung vorgesehen habe, zunächst mal mit Komplettüberforderung, denn das Programm bietet, ich zitiere: „300 Programme, 42 Theater, 50 Busse – eine Nacht!“ – Besagte Programme geben vorrangig Einblicke in die kommenden Produktionen, abgerundet von Hinter-den-Kulissen-Aktionen, vergünstigtem Kartenerwerb, Lesungen und anderem lustigen Tralala. Da ist viel Verlockendes dabei, vor allem für einen Allround-Interessenten wie mich. Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen ist also eeeecht schwierig!

Egal – irgendwie bastle ich mir eine Route zusammen und so starte ich am samstäglichen Nachmittag mit dem Kinderprogramm im Hamburger Puppentheater. Da die Shuttle-Busse erst ab 18 Uhr fahren, bin ich jetzt noch mit der U-Bahn unterwegs und laufe, so als Frisch-Hamburgerin, erstmal in die falsche Richtung. Kurz nach knapp komm ich ins Foyer geschlittert, darf aber noch rein, denn „da sind wir nicht so“. Sehr gut. Ich werde mich trotzdem bessern.

Das Stück „für alle ab 4 Jahren“, welches wir hier in Gänze sehen dürfen, wird vom Eckerken Theater gespielt und heißt Der Urwald tickt nicht richtig. Ein bärtiger Mensch mit vielseitiger Stimme hantiert mit liebevoll gefertigten Puppen in ebenso liebevoll gefertigter Bühne zu exotischen Jungle-Jingles. Die Story: Äffchen Ricky bekommt von Tante Gertrud die alte Kuckucksuhr geschenkt, die es so gerne mag. In ihr lebt inzwischen aber die berlinernde Maus Clemens und der Kuckuck selbst ist gar nicht mehr all zu aktiv. Weil Ricky den Kuckuck aber so gern mag, begeben sich die beiden Zweck-Freunde nun auf Reparatur-Reise durch den Dschungel und am Schluss funktioniert die Uhr wieder – wenn auch irgendwie anders.
Das Zuschauen macht Lust auf mehr und Figurentheater fetzt sowieso. Im Anschluss ist Puppenbau angesagt – ich habe nur auch so viel Anderes vor – also ab in die U-Bahn Richtung HafenCity.

Die Musical-Hochburg Hamburg bietet natürlich auch in der Theaternacht jede Menge musical-isches an, und so geht es dschungelig weiter in der Elbarkaden Lounge. Hier zeigt das Theater Lichtermeer Szenen aus Das Dschungelbuch – das Musical für die ganze Familie, welches am 15. Oktober Premiere feiern wird. Wir erleben diese Szenen in sehr abgespeckter Form, zumindest hoffe ich das, denn die Darsteller singen ihre Lieder zu netter Musik aus der Konserve. Das lässt das Ganze ein wenig wie ein Einkaufscenter-Event wirken – leider!, denn davon abgesehen zeichnet sich doch eine hübsche Inszenierung mit sympathischen Darstellern ab. Mit musical-typischen Choreographien springen-tanzen-singen die über die Bühne, nach einer halben Stunde ist finito, es ertönt ein Werbejingle zur Premiere und mit der kleinen Zugabe („Ich bin ein Kind des Dschungels – hier bin ich Zuhaus!“) im Ohr spaziere ich Richtung Speersort, der diesjähirgen Theaternacht-Zentrale. Dort singt mir Peter Pan ein Lied vom Nimmerland (Peter Pan – das Nimmerlandsmusical, Theater Lichtermeer, ab Januar im Gruenspan) und versüßt mir das Warten auf meinen Bus in den goldenen Westen der Stadt.

 

Und während ich dann mit Buslinie 401 über die sich füllende Reeperbahn rattere, stelle ich mir vor, wie schön es wäre, auch im regulären ÖPNV die Haltestellen nach Theatern zu benennen. So ein Shuttle von Bühne zu Bühne macht schon was her!
An der Haltestelle „2te Heimat“ steige ich dann aus, denn hier befindet sich eben nicht nur der so benannte Theatersalon, sondern auch das Altonaer Theater, in dem ich mir Szenen aus Wie im Himmel anschauen möchte.
Das Altonaer Theater ist bekannt für seine Film- und Romanadaptionen und hat zum Beispiel auch Die Känguru-Chroniken oder Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand im Programm. Aus Wie im Himmel wird uns die Szene gezeigt, in der der weltbekannte Musiker im Ruhemodus seine erste Chorprobe anleitet. Dabei gibt es Verschränkungen mit anderen Handlungssträngen der Geschichte, davon abgesehen erscheint mir aber zumindest diese Szene als komplette 1:1-Übersetzung. Wenn man dahingehend nicht mehr erwartet, gibt es hier aber absolut nix zu meckern – die schauspielerischen und auch die gesangstechnischen Leistungen sind wunderbar und als das Ensemble am Schluss ganz engelsgleich Lean on me singt, bekomme ich schon eine kleine Gänsehaut. Vielleicht ist eben doch das Hautnah-Erlebnis das Besondere an diesen werknahen Adaptionen. Das gilt es dann demnächst wohl mal herauszufinden.

Nachdem ich meinen Abstecher ins monsun theater aus Zeitgründen streichen muss (hier wollte ich mir den Kulturaustausch anschauen: „Ein internationales Theaterprojekt mit dem monsun theater, dem Operndorf, Christoph Schlingensief und dem Jugendkulturzentrum KOOMBI in Burkina Faso“, wie mir das Programmheft verrät), bringt mich die altbekannte Buslinie 401 weiter durchs inzwischen verregnete Altona, an verschiedenen Spielstätten vorbei bis zum LICHTHOF Theater. Hier loten „Spezialisten des Alltags und Poeten der Zukunft das Feld zeitgenössischer Theaterkunst“ aus, „experimentierfreudig und risikoreich“.

Diesmal ist mein Zeitplan überperfekt, sodass ich schon einen Programmpunkt eher da bin – und mit mir viele Andere:  „KarlMaySelf: Mit dem Diktat des Echtseins duellieren sich Björn Meyer und der national bekannte Poetry Slammer und vielfach preisgekrönte Kabarettist Jasper Diedrichsen“ – ok, irgendwas mit Karl May und Prominenz, schauen wir mal. Geschaut wird aber ganz was anderes, denn die Prominenz ist am heutigen Tag kurzfristig durch Krankheit verhindert – ein bedauerndes „oooorrrr“ mäandert durchs Publikum.
Stattdessen stehen nun zwei junge Herren mit Wodka auf der Bühne. Wie uns erklärt wird, ist der eine von der Presseabteilung und der andere von der Technik, und beide verbindet – sie selbst wissen das auch erst seit heute Vormittag – die Liebe zum Improtheater. Nun agieren sie hier das erste Mal gemeinsam vor Publikum und sind ein bisschen aufgeregt. Dazu gibt’s aber gar keinen Grund, denn im Folgenden liefern die beiden ein sehr lustiges und erfrischendes Programm, unter anderem mit dem Regenwurmforscher John Grey („Mein Lieblingsbuch ist Aus 1 mach 2“), der in Gebärdensprache übersetzt wird, einer penetranten Mitbewohnerin unter der Dusche und zwei ungleichen Brüdern, die sich um Schuhe, Eltern und gelöschte Handynummern streiten – natürlich inspiriert vom Publikum. Respekt für dieses spontane und sehr gelungene Ersatzprogramm, was mir besonders gefällt, auch, weil es eben mal keine „Werbung“ ist, sondern einfach „nur was Schönes“ :-).

Gentrification © Jennifer Wjertzoch / Lichthof
Gentrifiction © Jennifer Wjertzoch / Lichthof

So, ins LICHTHOF bin ich aber eigentlich gekommen, um einen Einblick in GENTRIFICTION zu bekommen, eine Uraufführung, geschrieben von Lena Biresch, inszeniert von vormals Thalia-Regieassistent Helge Schmidt, Premiere am 15. Oktober. Spielen wird, neben David Kosel, Laura Uhlig und Maria Magdalena Wardzinska, der den Leipzigern zuletzt aus dem Dschungelbuch bekannte Robin Krakowski. „Physikalisch-philosophischen Astro-Klamauk verbindet Lena Biresch mit existenziellen Menschheitsthemen“ sagt mir das Programmheft und im folgenden Ausschnitt bekommt das Publikum vor allem Einblick in die philosophischen Astro-Klamauk-Gedanken der Figuren Hinz und Kunz. David Kosel und Laura Uhlig präsentieren uns eine sehr lebendige szenische Lesung mit energetischem Spiel, spannender Musik und vielversprechenden Regieansätzen. Regisseur Helge Schmidt verspricht uns „eine Tragikomödie mit reichlich Sprachwitz“. Die roten und weißen, heliumgefüllten und an Fäden am Boden befestigten Luftballons wackeln bestätigend im Hintergrund. Der Termin ist eingetragen – ich bin gespannt und freu mich drauf!

Inzwischen ist es 21 Uhr und ich seit mehr als 5 Stunden unterwegs – die befürchtete Reizüberflutung kündigt sich an. Da kommt es mir gelegen, dass ich jetzt fast eine Stunde mit dem Shuttlebus zum nächsten Ziel brauche. Mit meiner Lieblingslinie 401 fahre ich wieder zum Speersort, dessen Künstler sich zwar wacker halten, aber nur noch für ein paar Regenschirm-Hanseln spielen (drinnen ist’s eben doch a bissl schöner bei dem Wetter). Dort steige ich in Linie 405 um und düse zum Deutschen SchauSpielHaus am Hauptbahnhof.

Im Foyer wuseln viele Leute herum, deren Großteil wohl in den großen Saal zum Poetry Slam (Schauspieler aus dem Ensemble gegen Kampf der Künste) will. Wie ich danach über Instagram & Co erfahre, einer der beliebtesten Programmpunkte des Abends. Ich will aber lieber in den Marmorsaal zur Inforunde über die diesjährige Spielzeit-Eröffnungspremiere Reisende auf einem Bein von Herta Müller, inszeniert von Katie Mitchell. Dramaturgin Rita Thiele erzählt uns Biographisches, Künstlerisches und Inhaltliches zu dieser Produktion, in der es um eine junge Rumänin aus der deutschen Minderheit geht, die, gezeichnet vom Leben als politisch Verfolgte unter der Diktatur Ceausescus, nach Deutschland auswandert und im Westberlin der 80er Jahre nach Sicherheit und Schutz sucht. Dieses Vorhaben erweist sich allerdings nicht als einfach, denn hier wird sie als Spionin des Ostblocks verdächtigt und sieht sich mit den langwierigen und umständlichen Aufnahmeverfahren der Flüchtlingsbehörden konfrontiert – Das klingt doch irgendwie aktuell. Auch künstlerisch hört sich das Ganze sehr spannend an. Katie Mitchell lässt ihre Spieler an einem Film arbeiten, sodass der Zuschauer immer die Wahl hat zwischen Leinwand: Fertiger Film und Bühne: Making-Of. Inwieweit dieses Konzept inhaltlich passt, gilt es ab dem 18. September herauszufinden. Auch hier bin ich sehrrr gespannt.

Nach diesem In-put bin ich nun vollends ka-putt, streiche alle ursprünglich noch angedachten Rundfahrten und beschließe, im SchauSpielHaus zu bleiben. Die Türen im zweiten Rang stehen wohl versehentlich offen, sodass ich, gemeinsam mit ein paar anderen Gestrandeten, im leeren Saal „einfach mal so sitzen“ kann und am Rande den Umbau auf der großen Bühne beobachte, denn hier soll um 23 Uhr die Schauspielerband spielen. Das macht sie dann auch, ein bisschen später zwar, aber mein Zeitgefühl ist sowieso inzwischen eher fließend als präzise. Der Saal füllt sich auch zu später Stunde gut, nur bei uns hier oben bleibt noch viel Platz und ich ganz vorn an der Balustrade fühle mich wie die privilegierte Extrawurst: Sehr gut! Ich hab den ganzen Saal im Blick und gucke, was die Leute so machen.

die schauspielerband bei hallelujah

Die Schauspielerband unter der charmanten Leitung von Jörg Gollasch macht Riesenlaune und eine super Stimmung – nach wenigen Liedern hat das Publikum den Weg aus den Sitzreihen heraus gefunden und tanzt in den Gängen zu Hits wie Great Balls Of Fire, Sweet Dreams, Junimond, Tainted Love, Azzuro oder auch Imagine (im Reggae-Style), jeweils großartigst performt von Mitgliedern des Ensembles. Die unübertroffene Spitze dieser Sänger ist für mich an diesem Abend ein uns bekannter Leipziger Spieler: Jonas Hien singt-grölt-schreit uns Michael Jacksons Billie Jean und Billy Idols Rebel Yell und fegt-springt-tanzt gleich einem irren Kobold über die Bühne, dass es eine Freude ist, zuzuschauen. Insgesamt hat diese Schauspielerband die meiste Zeit wohl einfach großen Spaß dabei, mal so richtig schön Krach zu machen, wohlgemerkt: Sehr schönen Krach, lässt aber auch die Balladen nicht aus.

Kurz nach zwölf kommen alle Sänger per Polonaise auf die Bühne marschiert und singen ihrem Leader ein Geburtstagsständchen. Der ganze Saal stimmt daraufhin sehr christlich ein Viel Glück und viel Segen an und aus dem Off knallen Konfettikanonen. Nachdem vom Ensemble-Sänger Michael Weber bemerkt wurde, dass der Abend bereits Castorf-Ausmaße angenommen hat (nach Mitternacht und so), gibt’s noch eine Zugabe: Die volle Bandbesetzung singt Hallelujah, der Saal steigt ein. Ich so als Neu-Hamburgerin fühle mich fast ein bisschen angekommen, herrjeh! Also, liebe Schauspielerband, bitte mehr von euch! ;-)

Kurz vor 1 bin ich raus dem SchauSpielHaus, und gegenüber am Ohnsorg-Theater sehe ich schon die Leute zur Aftershow-Party anstehen – vielleicht in der Hoffnung auf ein „Getränk mit Theaterfreunden, Schauspielern und Intendanten“, wie es mein mich treu begleitendes Programmheft verspricht. Aber, Leute, ich bin echt kaputt und weiß auch gar nicht so genau, wann meine letzte Bahn fährt, also – ab ins Bett und schlafen! Die Promis treff ich dann ein anderes Mal und überhaupt – irgendwo hab ich gehört, das seien auch nur ganz normale Menschen.
Bis zum nächsten Mal bei der Nordkurve! – Es gibt echt viel zu tun in dieser Stadt, nicht nur zur Theaternacht.


Unsere frischgebackene Autorin franzjakk hat bis vor kurzem noch in Leipzig gelebt und die dortige Theaterwelt ergründet und bereichert. Aufgrund nötigem Tapetenwechsels und neuer Perspektiven wohnt sie nun aber in Hamburg und bleibt uns fortan über die Nordkurve verbunden. „Nicht nur über die Nordkurve, auch über jede Menge wärmste Gedanken und so!“ ruft sie, bevor sie mit ihrem Schiff den Lindenauer Hafen verlässt. „Und sag den Lesern, ich mach das hier zum ersten Mal, also sollen die mal nachsichtig mit mir sein!“ schallt es noch hinterher.

Was franzjakk neben Theatergeschichten schreiben noch so macht, könnt ihr auf ihrer Website erkunden: www.franzjakk.com

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