Reisende auf einem Bein | Deutsches Schauspielhaus Hamburg

tatörtliche bastelstunde

Das Deutsche SchauSpielHaus Hamburg eröffnet seine Spielzeit mit „Reisende auf einem Bein“ von Herta Müller. Der Hamburger Hauptbahnhof ist eine Welt für sich. Lärm, drängelnde Gerüche, Menschen-Gewusel, geschäftiges Treiben, mittendrin eine Vielzahl an Obdachlosen und dieser Tage noch viel mehr Flüchtlinge, Ehrenämtler, Hilfszelte. Wenn man sich da durch geschoben und es bis zum Deutschen SchauSpielHaus geschafft hat, hat man eigentlich schon genug erlebt und gesehen.

Neben den Haupttüren des Schauspiels befindet sich der Eingang zur kleinen Spielstätte. Auch hier sind seit einigen Tagen Flüchtlinge untergekommen und Mitarbeiter des Hauses schieben Nachtschichten. Das finde ich stark und gleichzeitig frage ich mich, wie ja so viele Menschen gerade, was hier eigentlich los ist, in der Welt, und warum solch eine Unterkunft plötzlich notwendig wird.

Reisende auf einem Bein © Stephen Cummiskey
Bleibt draußen: die Welt © Stephen Cummiskey

Man möchte meinen, das hat jetzt alles wenig mit der Stückbesprechung zu tun, die ich schreiben will. Ich sage – dohoch, hat es! „Reisende auf einem Bein“, nach dem Roman von Herta Müller, blinkert die Digitalanzeige über den Theatertüren und wer sich im Vorfeld mit dem Inhalt dieser Produktion auseinander gesetzt hat, der weiß, dass es hier irgendwie um Flucht und Ankommen, um Heimat und Fremde geht.

Nun sitze ich im Eldorado der Hochkultur, um mich herum glitzern betuchte Menschen, und angesichts besagten Themas erhoffe ich mir Geistesblitze und Antworten auf brennende Fragen. Oder Trost oder – who knows! Das, was Theater eben manchmal so alles kann und was Theater so nötig macht. Das, was man danach in die Stadt und ins tägliche Leben mitnehmen kann.

Also, Katie Mitchell inszeniert – bekannt für ihre multimedialen Arbeiten. Im verschachtelten Bühnenbild von Alex Eales herrscht schon vor Stückbeginn einigermaßen hektisches Treiben – Techniker laufen umher, Kameras werden positioniert. Unterschiedliche Sets sind geschaffen worden, überall sind verschiebbare Wände und irgendwo weiter hinten sehe ich eine Straßenfassade durchschimmern. Darüber hängt groß eine Leinwand. Ich bin neugierig.

Julia Wieninger spielt Irene, eine der deutschen Minderheit angehörende Rumänin in den 80er Jahren. Unter der Diktatur Nicolae Ceausescus ist sie ständigen Verhören durch die Securitate ausgeliefert, wird bedroht, genötigt, verängstigt. Nachdem ihr die Ausreise in die BRD genehmigt wurde, strandet sie in Berlin und versucht hier, ein neues Leben zu beginnen. Doch findet sie keine Ruhe – auch hier Bespitzelung durch die Securitate, Misstrauen des BND, Verrat durch die eigenen Freunde.

Schauspieler, technische Abteilung und Ankleider wuseln diese reichlich anderthalb Stunden beständig von Filmset zu Filmset. Was sich daraus ergibt, sehen wir als Schwarz-weiß-Film, ergänzt durch farbige Albtraumsequenzen und live zusammengeschnippelt oben auf der Leinwand. Die Worte der Spieler werden durch hektisch herumgetragene Mikrofone verstärkt.

Es ist faszinierend, wie das alles funktioniert und organisiert ist. Sowas muss akribischst geprobt werden. Während Irene im Büro der Aufnahmebehörde sitzt, wird die U-Bahn-Station gebaut, später ist sie beim Verhör und die Telefonzelle für die nächste Szene wird hereingeschoben. Oder der Photoautomat. Oder der Postkasten. Alles Original Berlin. Manchmal führen die Spieler die Kamera, dann huschen sie zur nächsten Szene, um kurz danach irgendein anderes Bühnenelement zu bedienen. Wie das alles funktioniert, ist definitv der Knaller – schade nur, wenn darüber der Inhalt in den Hintergrund rückt.

Die Romanvorlage beschäftigt sich in sehr poetischer, sinnlicher Sprache vor allem mit dem Ankommen in fremder Stadt. Mit den Eindrücken auf der Straße, mit Prostituierten, mit Bettlern, mit einsamen Menschen. Mit der Erkenntnis, dass das Land, in das man sich rettet, nicht das Paradies sein muss. In die Bühnenfassung hingegen wurden Teile des Romans „Herztier“ eingefügt, der ebenso aus Herta Müllers Feder stammt und sich vorrangig mit dem Terror der Securitate beschäftigt.

Daraus ergibt sich nun als Gesamteindruck ein dicker Psychothriller: Verfolgung, Beobachtung, Misstrauen, Paranoia. Ein spannender Krimi, permanent befeuert durch die tatörtlich anmutende Musik von Paul Clark.

Das macht schon alles irgendwie Spaß, ist gut gespielt und bewegt auch zeitweise mal, aber es bleibt eben nicht viel mehr übrig, als eine sonntägliche Tatortstimmung, nur dass ich die jetzt eben schon freitags habe. Das so präsente Geheimdienstthema nimmt für mich dem Stück die Aktualität. Rumänische Geschichte ist wirklich wahnsinnig spannend und Herta Müller kann all das sehr eindringlich in Worte fassen, aber das Potenzial des ja eigentlich titelgebenden Romans wird aus meiner Sicht leider verschenkt.

Während des Guckens wünsche ich mir eine Erklärung für diesen Film. Ich will wild interpretieren, warum wann welche Wände fahren, warum die Spieler sich mal gehetzt und mal ganz ruhig bewegen oder warum der rumänische Geheimdienst zu Beginn rechts, später aber links sitzt. Aber ich komme für mich zu dem Schluss, dass all das schlicht logistische Gründe hat. Mehr als Film machen findet hier irgendwie nicht statt. Da wünsche ich mir ein bisschen mehr Theater, ein bisschen mehr Geheimnis.

Der langanhaltende Applaus gilt an diesem Abend berechtigterweise vorrangig der Technik- und Video-Abteilung. Auch im Hinausgehen reden viele Zuschauer von der Faszination dieser organisatorischen Leistung. Und irgendwann, nach dem zweiten Bier in der Kantine höre ich dann auch mal: „Ja, der Inhalt war schon auch spannend.“

Hier feiert sich das Theater mit seinen Möglichkeiten. Das macht ja auch großen Spaß, aber zum Hauptbahnhof und in die Stadt trage ich am späten Abend nur meinen Alkoholpegel. Das ist mir für dieses Thema irgendwie zu wenig.

Hängen bleibt lediglich der Satz: „In meinem Land habe ich verstanden, was die Leute kaputt macht, ich kannte die Gründe. Hier weiß ich, es gibt Gründe, aber ich sehe sie nicht.“

Aber den kannte ich schon aus dem Buch.


 

Unsere frischgebackene Autorin franzjakk hat bis vor kurzem noch in Leipzig gelebt und die dortige Theaterwelt ergründet und bereichert. Aufgrund nötigem Tapetenwechsels und neuer Perspektiven wohnt sie nun aber in Hamburg und bleibt uns fortan über die Nordkurve verbunden. „Nicht nur über die Nordkurve, auch über jede Menge wärmste Gedanken und so!“ ruft sie, bevor sie mit ihrem Schiff den Lindenauer Hafen verlässt. „Und sag den Lesern, ich mach das hier zum ersten Mal, also sollen die mal nachsichtig mit mir sein!“ schallt es noch hinterher.

Was franzjakk neben Theatergeschichten schreiben noch so macht, könnt ihr auf ihrer Website erkunden: www.franzjakk.com

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