Clemens

open your fucking mind! oder: wo ist sie denn, die sogenannte provinz?

Am Donnerstag in der ZEIT, heute bei uns - und zwar exklusiv im Directors-Cut, um einige Zeilen länger und um ein paar Leipzig-Annotationen reicher: Ein Aufruf an die Provinz, das Theater, seine Lenker und vor allem an: sein Publikum. Von Clemens Meyer.

Dessau, Sonntagnachmittag. Eine Handvoll Leute steht auf dem Theatervorplatz und beobachtet die Vorbereitungen zum „Götz von Berlichingen“, der hier seit einigen Monaten für Furore sorgt. Das Dessauer Theater ist eins der schönsten des Landes. In Sichtweite des Bahnhofs gelegen, vor einem kleinen Park, in dem gerade eine Kanone in Stellung gebracht wird, dann der großzügige, dennoch strenge Theatervorplatz, hier atmet alles Bauhaus ein und Bauhaus aus.

… wo ist sie denn, die sogenannte Provinz?

Flammen schlagen rußend aus eisernen Tonnen, vom Dach des Theaters ertönt eine Rede, „Freiheit, Freiheit“ höre ich immer wieder, während sich ein Orchester in Barockkostümen an der Treppe in Stellung bringt, später kommt Juri Gagarin im DDR Kosmonauten-Anzug und singt mit Gitarre vom Sputnik, von den Sternen und vom Mond, auf dem er ja wohnt.

Götz von Berlichingen am Anhaltinischen Theater Dessau. © C. Heysel
Götz von Berlichingen am Anhaltinischen Theater Dessau. © C. Heysel

Ist das also die Provinz, denke ich, während ein Bus mit Delitzscher Nummer am Vorplatz hält, eine Rentnergruppe geht Richtung Theater, inzwischen donnert die berühmte Luxemburg-Rede übers Bauhaus-Idyll, die Tonnen blaken und rußen, die Kanone wird abgefeuert, „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden!“

Und später, immer noch draußen in einem lauen Frühlingsregen, während die Schauspieler die Gäste mit Handschlag begrüßen: „Bis zum Äußersten gehen! Anarchie und Action!“ Ein großes Banner mit einer geballten Faust hängt an der Fassade, der Chefdramaturg Andreas Hilger und der Intendant Andre Bücker, der bei diesem Götz!-Spektakel Regie führt, tragen T-Shirts mit dem Logo, mit der Götz!-Faust. „Ein deutsches Lied von der Freiheit.“

… nicht Götz hat mehr die EISERNE HAND, die EISERNE HAND greift und kappt und verknappt …

Nun ist dieses deutsche Lied von der Freiheit scheinbar zu einem Abgesang geworden, in Dessau, in Rostock und anderswo. Kürzungen, Spartenstreichungen, Bürgermeister die den Über-Intendanten spielen, Provinzen, in deren Verfall sich die Kunst, das Theater, gegen die Horden der Zombies stemmt, NPD, NSU, Harz4, Pegidahinterland, vorrückende Chrystallgrenze, Wolfen & McPomm… nicht Götz hat mehr die EISERNE HAND, die EISERNE HAND greift und kappt und verknappt, das es eine wahre Freude ist.

Und Juri Gagarin singt sein Lied von den Sternen, wie ein Geist steht er plötzlich im Dessauer Theaterrestaurant, und später, im gut gefüllten Saal des Landestheater Dessau frage ich mich, wohin der große Sputnik Theater denn nun hinfliegen wird, und ob es denn überhaupt ein Sputnik ist… Dessau, Volksbühne, Theater Rostock, Nordhausen, Schauspiel Leipzig, Schauspiel Stuttgart… wo ist sie denn, die sogenannte Provinz?

Machet die Türen hoch und die Tore weit, auf das Einmarschiere ein widerspenstiger Geist des Theaters!

Kürzlich sah ich an der Volksbühne das große Stück „Kaputt“ von Castorf. Fast leer das Haus. Obwohl doch in dieser dunklen Reise durch die Kriege so viele unserer Fragen wenn nicht beantwortet, so doch gestellt werden. Und in Stuttgart waren zur zweiten Aufführung von Sebastian Hartmanns (meiner Meinung nach genialen – aber ich bekenne, ich bin parteiisch – ) „Im Stein“ Adaption angeblich am Ende nur noch 80 Leute anwesend. Zu Radikal? Zu schmerzhaft?

Oder muss Kunst, Theater spalten, wehtun, auch mal Zuschauer vertreiben, Seh- und Konsumgewohnheiten auch mal radikal hinterfragen? Sie muss!, denke ich, als in Dessau im zweiten Teil dieses grandiosen Provinz!-Götz! genau das passiert. Zu Beginn des ersten Teils wurde noch rhythmisch mitgeklatscht, als der Opernchor des Landestheaters Volks-Lieder und Popsongs teils von der fürs Publikum gesperrten Empore, teils direkt im Saal intonierte. Die Türen waren übrigens alle durchgehend geöffnet, natürlich fürs Ensemble, das wie in einem Reigen rein-und rauseilte, aber auch, noch viel simpler, aber treffend! ( mit dem Ausrufungszeichen werde ich hier noch öfter arbeiten, ich habe es direkt dem Programmhefttitel entlehnt: GÖTZ!), OPEN THE FUCKING DOORS, OPEN YOUR FUCKIN MIND! Machet die Türen hoch und die Tore weit, auf das Einmarschiere ein widerspenstiger Geist des Theaters!

 Ja seid ihr denn alle nicht ganz dicht? Schmeißt das Geld doch gleich der NPD hin in McPomm ..

Und während im zweiten Teil die Apokalypse der Bauernkriege auf der Bühne wütet, Heiner Müller und Büchners Danton und Gudrun Ensslin und Nostradamus und Camus und Hölderlin in den Goethe-Götz eingeflochten, nein ge-cut-up-ed werden, glaube ich zu erkennen, dass man dieses sogenannte Provinz-Publikum (mal abgesehen davon, dass Dessau natürlich immer auch WELT! war) unterschätzt. Bringt den Hartmann Stein doch mal als Gastspiel nach Dessau, warum inszeniert Castorf nicht mal wieder auf dieser großen, einmaligen Bühne und schließt den Kreis nach Anklam, Zeit hat er ja bald … die Türen müssen doch offen sein, und selbst die Rentnergruppen aus Delitzsch applaudieren am Ende stehend. Hier würde sich doch sicher keiner echauffieren, wenn mal EIN SCHWEIN AUF DER BÜHNE ZERLEGT wird. In dieser ländlichen Umgebung kennt man noch die Vorgänge beim Schlachten, im Gegensatz zu Leipzig, wo Intendant Lübbe eine Performance der Gruppe Monstertruck unterband, weil dort ein SCHWEIN AUF DER BÜHNE ZERLEGT worden wäre. Und das ganze wäre ja nichtmal im großen Haus passiert, sondern auf einer Experimental-Plattform. Aber auf der großen Bühne des Schauspiel Leipzig hat sowieso die Provinz Einzug gefunden. Staubtrockene, mutlose Inszenierungen wie „Emilia Galotti“ oder „Zeiten des Aufruhrs“ (der Titel entbehrt nicht unfreiwilliger Komik) wechseln sich dort ab, mutige, kontroverse, den Zuschauer herausfordernde Stücke wie das tolle, dynamische „Und dann“ finden auf der Hinterbühne oder eine der Nebenbühnen statt.

Wo ist da eine Handschrift, eine Vision, ein Mut zu erkennen, (BIS ZUM ÄUSSERSTEN GEHEN, ANARCHIE UND ACTION!) quo vadis, Alfons Zitterbacke? Da flüchte ich doch lieber nach Dessau zum GÖTZ!

Aber auch da ist es ja nicht klar, wie es weitergeht. Intendant Bücker war eben kein Bücker und hört nun auf. „Schwer vermittelbar wäre er fürs Bundesland“, meinte der Dessauer OBM (OrtsBegehung mit Managern). Ich weiß nicht, ob das der selbe ist, der vor einigen Jahren sich mal furchtbar über ein Theaterprojekt echauffierte, dass die Verwicklung der Alt-Dessauer-Industriefürsten in die Massenvernichtung thematisierte.

OrtsBegehung mit Managern-Wahnsinn auch in Rostock. Latchinian raus, Latchinian rein… alle Türen auf und wieder zu, nur die im Theater und die zu den Fördermitteln bleiben erstmal DICHT. Ja seid ihr denn alle nicht ganz dicht? Schmeißt das Geld doch gleich der NPD hin in McPomm, begreift denn dieser Depp im Rathaus nicht, dass man sich am Ende selbst beschneidet, wenn man die Kunst beschneidet (und ich meine jetzt kein religiöses Vorhaut-ab).

Aber was ist sie überhaupt im Moment (oh Mori!), die Kunst, die Theater-Kunst. Wohin fliegst du, Sputnik? In Dessau schlich ein Bürger mit Einkaufsbeutel um die große Kanone im Stadtpark, die die Bühnearbeiter dort in Stellung gebracht hatten, und beäugte sie argwöhnisch aber interessiert. Ich hatte noch eine zweite Karte für den Götz einstecken, weil mein Begleiter plötzlich erkrankt ist (er hatte ein paar Tage zuvor die „Emilia Galotti“ in der Regie von Lübbe am Schauspiel Leipzig gesehen), und wollte sie ihm schenken, aber als ich zur großen Kanone eilte, war der Bürger bereits verschwunden.

Wozu den Konsens permanent suchen.

Vielleicht hätte es ihm auch gefallen, diese wilde Mischung aus Volkstheater, Ritterspielen, Musical und radikaler Verfremdung und Brechung, ist das eine Ästhetik, die auch in dieser SOGENANNTEN Provinz bestehen kann und müsste?!

(O-TON VOM OBM IN ROSTOCK UND DESSAU: Ästhetisch? Ä Stehtisch?)

Und was heißt denn überhaupt gefallen… Wozu den Konsens permanent suchen. Wozu den Zuschauer in die Seh-und Konsumgewohnheiten spielen? NEIN, die Konfrontation, gerne auch in Dosierungen, NEIN, Anarchie und Action, Fragen wagen und von Antworten träumen… Nicht nach Quoten schielen. Sich dem Bischoff und den Fürsten mit eiserner Faust stellen, wie der alte Götz. Aber auch seinen Wahn verfolgen auf der Bühne, auf den Bühnen, zwischen Lichtenhagen-Town und NSU-City, zwischen Tröglitz und IS-Rekrutierungsstelle…

„Mich ergeben? … sag’s ihm, er kann mich im Arsch lecken.“

„Steh auf, wenn du am Boden bist“, sang der Chor in Dessau nach einer der dunklen Götz-Metzeleien, „Steh auf, Steeeeh auf!“ Und nicht nur die Zombies des Krieges erhoben sich schwankend, auch einige der Zuschauer sprangen auf und sangen mit.

Mensch, dachte ich, das sind so kleine Momente, wo man denkt, dass doch noch alles in Ordnung ist. Ich wünsche mir, dass in Dessau in Zukunft wieder ähnlich reingehämmert wird wie im GÖTZ! Dass in Rostock Latchinian endlich machen und loslegen kann, dass in Leipzig wieder der Mut einkehrt und der Neu-Biedermeier endlich durch die sich öffnenden Türen geweht wird, dass die Zuschauer offen sind und schmerzbereit und nicht festgefahren, dass Heiner Müller in allen Provinzen erklingt, dass wir uns erGÖTZen ohne GÖTZEN, dass wir Frage-und Ausrufezeichen auf die Bühnen und von den Bühnen schleudern, Donnerkeile, dass wir die alten Meister mit den neuen Stimmen mischen, dass wir in die Provinzen ziehen, dass wir den OBM (Mehrzahl, you know) Feuer unterm Arsch machen, dass unsere Theater Visionen haben, dass, wo Zeiten des Aufruhrs drauf steht auch ein bisschen Aufruhr drin ist, dass wir auch die leisen Töne der sogenannten Bilderstürmer hören wollen… dass Stuttgart, wo Petras so große Arbeit macht, endlich auch mit Hartmanns Stein in einen Dialog tritt, dass in Dessau, Nordhausen, Senftenberg wieder die Talentschmieden glühen und funkensprühen, weil man den Leuten dort mehr zumuten kann, als man denkt, und weil’s da sonst ja auch nicht allzuviel gibt. In diesem Sinne: Venceremos!, oder wie der alte Götz bei Goethe sagt: „Mich ergeben? … sag’s ihm, er kann mich im Arsch lecken.“

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