pepsi, wauzi, frauli … SIGNA kommt in wien auf den hund

Die Faßziehergasse im 7. Bezirk Wiens, nicht weit vom Museumsquartier gelegen, sieht nicht gerade nach einer luxuriösen Wohngegend aus. Die Eingangstür zum Haus Nr. 5A macht keinen einladenden Eindruck, nur das auf die Tür geklebte Bild von Hundewelpen läßt vermuten, daß der Besucher an der richtigen Stelle ist. Die neue Performance von SIGNA, „Wir Hunde“, wird hier im Rahmen der Wiener Festwochen gezeigt. Unser ausgewiesener SIGNA--Experte Thomas Pannicke hat in Wien SIGNAs "Hundsche" getroffen ...

SIGNA sucht sich oft etwas heruntergekommene, leerstehende Häuser aus, um sie in monatelanger Kleinarbeit mit viel Liebe zum Detail einzurichten, dabei entstehen beeindruckende Parallelwelten, in denen sich skurrile Geschichten abspielen. Die neueste Wiener Produktion heißt nicht deshalb „Wir Hunde“, weil eine der Schauspielerinnen den gesamten Abend über ein kleines Schoßhündchen auf dem Arm trägt. Die Hunde an diesem Abend sind eigentlich Menschen, oder, besser gesagt, Hunde in Menschengestalt, sogenannte Hundsche. Und es ist kein Theaterabend, den wir hier sehen, sondern ein Tag der offenen Tür des Vereins Canis humanus.

Sigbert Graf Trenck von Moor, der Gründer des Vereins, lädt anläßlich des 40jährigen Jubiläums der Gemeinschaft ein. Kaum  haben wir das Haus betreten, wird uns nach freundlicher Begrüßung gesagt, wir sollten doch gleich nach hinten durchgehen, Tamara bräuchte Hilfe. Auf dem Weg dorthin fallen schon die ersten Gestalten auf, die mit Halsband auf dem Boden sitzen oder sich auf allen Vieren fortbewegen. Bei Tamara landen wir dann in einer der Küchen, die man in SIGNAs Räumen oft findet, Orte, an denen es immer ein bißchen schmuddelig und heruntergekommen aussieht. Gürkchen müssen geschnitten werden und schon sind wir dabei, bei der Vorbereitung von belegten Broten, die dann zur Begrüßung gereicht werden, mitzuhelfen.

Der Abend beginnt im großen Saal des Hauses, wo sich nach und nach die Gäste einfinden, an Tischen plaziert und mit einem nach Fruchtaroma schmeckenden Getränk bewirtet werden. Auch hier kauern überall Menschen auf allen Vieren am Boden und nun erfährt man auch die Hintergründe. Der Verein Canis humanus kümmert sich um die sogenannten Hundsche, Hunde, die im Körper eines Menschen geboren werden. Natürlich ist es zunächst befremdlich, hier eine Gruppe von Menschen zu treffen, deren Bewegungen und Körperhaltungen denen von Hunden entsprechen. Und wenn dann eine der Hundsche an einem schnuppert und mit treuen Augen schaut, wird es fast schon ein bißchen unangenehm.

Aber diese Gefühle verlieren sich im Laufe des Abends schnell und man lernt, das Verhalten der Hundsche als ganz normal zu akzeptieren. Es werden kurze Begrüßungsreden gehalten, die Besucher werden in bestimmte Regeln des Hauses eingewiesen (z.B. daß man nicht klatschen darf, um die wegen der vielen Fremden im Haus sowieso schon nervösen Hundsche nicht weiter zu verunsichern), es wird gesungen, alles scheint harmonisch und friedlich. Dann der erste Schreck, plötzlich springt die Tür auf, ein Hundsch stürzt laut bellend herein, die anderen ziehen sich sogleich zurück und beginnen ängstlich zu winseln. Die menschlichen Bewohner des Hauses greifen schnell ein, der hereingestürmte Hundsch wird wieder an die Leine genommen und hinausgeführt. Die Begrüßunsgzeremonie findet ihr Ende, man könne sich nun frei im Haus bewegen und die Familien besuchen.

Die Gäste, die mit mir an einem Tisch sitzen, werden aber abgeholt, uns kommt die Ehre zu, zuerst den alten Grafen zu besuchen. Schwer krank liegt der auf seinem Diwan und begrüßt die Besucher, die sich zu ihm setzen, im Flüsterton. Und man erfährt, daß Mimi, seine Ehefrau, der erste Hundsch (oder sagt man Hündschin?) war, die er kennengelernt hat. Mimi kam bei einem gegen sie gericheteten Brandanschlag ums Leben. Besonders beliebt scheinen also die Hundsche und die Menschen, die sich um sie kümmern, nicht zu sein. Mehrfach wird auch um Ruhe im Haus gebeten, um die Nachbarn nicht zu stören. Hundsch Trixi erzählt mir kurz darauf auch von Angriffen von Menschen gegen Hundsche. Ganz offensichtlich ist es nicht nur das idyllische Zusammenleben von Hundsch, Herrli oder Frauli, das uns heute abend beschäftigen wird.
Sieben Familien wohnen im Haus und am Ende merkt man, daß der Abend eigentlich viel zu kurz ist, um sich mit allen zu unterhalten, um die gesamte Geschichte zu erfahren, die hinter dem Verein Canis humanus steckt. Bruchstückhaft klaubt man hie und da einzelne Informationen zusammen, hat aber zunächst erst einmal damit zu tun, sich alle Namen zu merken, sich einen Überblick im Haus zu verschaffen, um dann nach und nach an den Gesprächen in den einzelnen Familien teilzunehmen, reichlich 20 Hundsche sind es, die hier im Haus wohnen, zusammen mit etwa noch einmal so vielen Menschen, von denen einige, aber nicht alle, als Herrli oder Frauli fungieren.

Dem Besucher begegnen ganz unterschiedliche Hundsch-Charaktere. Da ist die alte erfahrene Wauzi, die sich verschmitzt mit den Besuchern unterhält und gern auch mal einen Schluck Alkohol trinkt, was zwar fast überall im Haus üblich zu sein scheint, nicht aber bei Wauzis Frauli. Da ist der etwas frech wirkende Pepsi, der sich in seinem eigenen Dreck gewälzt hat und von einem der Besucher unter der Dusche gereinigt werden muß. Da sind die jungen Hundsch-Damen Cookie, Sweety und Lady, die offensichtlich auch sexuelle Beziehungen zu ihrem Herrli pflegen und untereinander eifersüchtig sind. Da ist Chabo, dem ich zunächst sogar einen Schnaps spendieren darf, als ich ihm dann aber unerlaubterweise auch noch eine Waffel gebe, weil er darum bettelt, kann ich mir eine ausgiebige Strafpredigt anhören. Bello hingegen ist ganz traurig, weil er der Meinung ist, von seinem Herrli nicht mehr geliebt zu werden.

Mit Hilfe von Photos, Zeitungsausschnitten oder erzählten Geschichten bekommt der Besucher immer mehr Details präsentiert. Da wird z.B. ein Ort namens Warchau erwähnt, der in Brandenburg liegt, dort gehört dem Verein Canis humanus Land, das auch bewirtschaftet wird, es ist eine der Einnahmequellen des Vereins. Man kann später nachlesen, daß es den Ort Warchau wirklich gibt und daß die dortigen Rittergüter einer Familie von Britzke gehört haben. Und tatsächlich begegnet uns an diesem Abend Frau Marita Saborowski, eine geborene von Britzke. Und man hört viel von den Gefahren, denen die Hundsche ausgesetzt sind. Wie echte Hunde brauchen sie jemanden, der sich um sie kümmert, finden sie niemanden, verwahrlosen sie oft, verfallen dem Alkohol oder anderen Drogen. Andere werden mit der Diagnose Schizophrenie in psychiatrische Kliniken eingeliefert. Ihre Bereitschaft, sich einem Herrli (oder einer Frauli) unterzuordnen, kann dazu führen, daß sie ausgenutzt werden. So soll Nero einige Zeit in einem SM-Studio verbracht haben. Auch wenn sie den sicheren Hafen des Vereins Canis humanus gefunden haben, sind die Hundsche nicht sicher, können das Haus immer nur für kurze Zeit verlassen und nur dann, wenn sie „Mensch machen“ können, um draußen nicht aufzufallen.

Aber es gibt hier nicht nur die friedlichen Hundsche, die sich relativ frei im Haus bewegen. Strenge Regeln gelten für das Betreten eines Raumes, der Zwinger genannt wird. Hier sind die Hundsche untergebracht, die abgerichtet werden müssen. Beim Betreten des Raumes wird man zunächst mit einem Elektroschocker ausgestattet und in einen dunklen Seitenraum gewiesen. Die Wesen, die hier leben, behaupten von sich, Wölfe zu sein. Sie heißen Pascoal und Nina 13 und machen keinen Hehl aus ihrem Haß, den sie für die Menschen empfinden. Man ist hier rüden Beschimpfungen und sogar körperlichen Attacken ausgesetzt, zum äußersten Notfall mit Einsatz des Elektroschockers kommt es jedoch nicht. Daß der Haß der beiden auf die Menschen nicht ganz unbegründet ist, wird im weiteren Verlauf deutlich. Da soll dann nämlich durch das Zwingerpersonal die Erziehung am Beispiel von Pax demonstriert werden. Pax war jener Hund, der gleich zu Beginn die Eröffnung des Abends gestört hat. Er gehörte früher dem Grafen, als der aber einen Schlaganfall erlitt, kam Pax nicht mehr zur Familie zurück und landete schließlich im Zwinger. Er soll nun durch einen der Besucher gewaschen werden, zwei weitere Besucher, zu denen ich gehöre, sollen Pax dabei festhalten. Pax sitzt zunächst in einem kleinen Verschlag, er wird herausgezerrt, daß er Angst hat, ist ihm anzumerken. Er wird auf eine Eisenpritsche gelegt, währenddessen beschimpft Pascoal uns Besucher, weil wir uns an dieser quälenden Prozedur beteiligen. Dann eskaliert die Situation, Pax reißt sich los, fällt eine Wärterin an, wird mit Peitschenhieben gezüchtigt. Jetzt greifen die Wärter hart durch und Pax landet wieder im Käfig.

Die Zeit im Zwinger ist noch nicht vorbei, aber es wird jetzt ruhiger. Die Wärterinnen Jolanta und Zita erzählen von ihren Erfahrungen und man erfährt, daß Zita früher in einem Laufhaus gearbeitet hat und ebenfalls dort war Nina 13 tätig. Es scheint also schwierig zu sein, klare Trennlinien zwischen Menschen und Hundschen zu ziehen, das wird auch kurze Zeit später klar, als sich interessierte Zuschauer zur Gesprächsrunde „Sind Sie Hundsch?“ zusammenfinden. Tatsächlich meinen zwei jüngere Besucher, daß sie nach allem, was sie heute abend schon erlebt haben, nicht mehr sicher sind, ob sie nicht vielleicht auch Hundsche sind. Alles ist möglich, meint der eine.

Der Abend ist nun schon weit fortgeschritten und man muß sich beeilen, wenn man alle Bewohner des Hauses kennenlernen will. In der Familie Menckhaus trifft man z.B. auf Dorota, die aus Polen stammt und offensichtlich mit anderen Bewohnern des Hauses öfters Streit hat. Neben dem schon erwähnten Bello lebt hier Tapsi, die es im Gegensatz zu den meisten anderen Hundschen nicht mag, sich zu kleiden und deshalb halbnackt herumläuft. Bei Familie Saborowski erleben wir dann einen merkwürdigen Versuch, bei dem die Wirkung von Musik auf einen Hundsch getestet werden soll. Blockflöten werden verteilt, nur kann leider außer Gitti Imholz, geb. Saborowski, niemand Flöte spielen, so daß sich der Lärm sicher schrecklich anhört. Chabo scheint es trotdzem zu gefallen. Mit Musik geht es dann auch weiter, Dorota hat mit zwei Hundsch-Damen Musik zum Träumen und Trauern einstudiert, die zu später Stunde dargeboten wird, was damit endet, daß die Besucher in den Gesang einstimmen.

Schließlich lande ich noch bei Wieland Kalthof, der die Gelder des Vereins verwaltet und mit drei Hundedamen zusammenlebt. Hier endet der Tag der offenen Tür mit einer Zeremonie.  Die Besucher werden befragt, ob sie denn nun Freunde des Vereins Canis humanus sein wollen. Mehr oder weniger zögerlich stimmen die Gäste zu, denn natürlich weiß keiner, was denn von einem Freund des Vereins erwartet wird. Man soll auf einem Formular Telefonnummer und Adresse angeben sowie einen Termin, wann ein Hundsch zu einem Besuch vorbeischauen könnte. Wie man später hört, sind tatsächlich einige Besucher aus Wien dann angerufen und besucht worden. SIGNA hat auch früher schon gern Gelegenheiten genutzt, die Theatersitaution mit dem realen Leben in Kontakt zu bringen, leider ist Leipzig für solche Aktionen zu weit entfernt, so daß für uns die Begegnung mit den Hundschen an diesem Abend endet.

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