sind wir nicht alle ein bisschen das volk?

Keine große Theaterkunst, aber packendes, aktuelles Theater, das Probleme offen auf die Bühne bringt. Mutig, ambitioniert, manchmal vielleicht etwas zu laut, aber draußen auf der Straße geht auch nicht leise zu - da muss man den Mut haben, auch auf der Bühne laut zu sein. Volker Lösch und der Dresdner Bürgerchor haben den Mut und Thomas Pannicke hat's für uns gesehen und empfiehlt genaues Zuhören.

Vor etwa 10 Jahren sorgte Volker Löschs Inszenierung der Hauptmannschen „Weber“ für Aufregung, war zeitweise sogar untersagt. Lösch brachte damals einen „Chor der Arbeitslosen“ auf die Bühne und dessen wütende Äußerungen gegen bundesdeutsche Zustände und speziell gegen die Fernsehmoderatorin Sabine Christiansen waren der Stein des Anstoßes. War das damals eine düstere Vision, die nun Wirklichkeit geworden ist? Man könnte es gerade in Dresden, bei den montäglichen Pegida-Veranstaltungen denken, bei denen u.a. auch gegen die „Lügenpresse“ gewettert wird.

In Dresden brennt's © Matthias-Horn
In Dresden brennt’s © Matthias-Horn

Wieder hat Volker Lösch in Dresden inszeniert, wieder steht ein Chor auf der Bühne. Mit Texten, die aus Gesprächen mit Dresdner Bürgern aber auch aus Reden auf Pegida-Kundgebungen stammen. „Graf Öderland / Wir sind das Volk“ heißt der Abend und gespielt wird auch, bis auf wenige gestrichene Szenen, Max Frischs Drama vom Staatsanwalt, der plötzlich scheinbar grundlos gegen die herrschende Ordnung rebelliert und als Graf Öderland mit der Axt in der Hand nach der Macht greift.

Und doch ist es nicht mehr Frischs Drama, das wir hier sehen, denn das wirklich Aktuelle, das Aufwühlende, das Erschreckende an dieser Inszenierung sind die Texte der Dresdner Bürger, der Pegida-Redner, aber auch die sehr persönlichen Äußerungen der Schauspieler, die immer wieder zwischen den Szenen auf die Vorderbühne und aus ihrer Rolle treten. Sicher, im Publikum sitzen viele, die man nicht agitieren muss, der häufige Szenenbeifall deutet darauf hin. Doch nicht nur die paar hundert Leute, die im Publikum sitzen, sind Dresden. Auf dem Gang durch die Innenstadt vor Beginn der Vorstellung ruft uns direkt auf dem Platz vor der Frauenkirche an diesem Sonntagnachmittag ein Mann zu, wir sollten doch morgen wiederkommen, da würde es wieder sehr schön werden, 10.000 bei Pegida. Man stellt sich die Frage, warum Pegida gerade hier so viel Zulauf findet.

Manchmal rutscht Löschs Inszenierung ins Kabarettistische ab, so bei Torsten Ranfts Merkel-Parodie. Doch man höre genau hin bei den Texten, die von verschiedenen Regierungspolitikern stammen. Im Programmheft heißt es dazu: „Politiker wie Angela Merkel und Sigmar Gabriel können Pegida nicht begreifen, weil sie ihre Politik nicht selbst in Frage stellen wollen. Die politische Strategie ist Ausgrenzung und Stigmatisierung statt kritischer Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Symptom Pegida und der eigenen neoliberalen Politik“.

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Genau da liegt das Problem: Der Neoliberalismus sieht im Menschen nur noch die Arbeitskraft und macht Wirtschaftswachstum und Aktienkurse zu den wichtigsten Dingen im Leben. So hat man es den Ostdeutschen seit 25 Jahren gepredigt. Und jetzt soll da plötzlich Platz sein für Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, für Solidarität, eines jener Schlagworte des Arbeiter-und-Bauern-Staates? Einfach ist es nicht, Antworten zu finden, vielfach herrscht Ratlosigkeit, die dazu verführt, einfachen Parolen zu glauben. Wie Lösch die aus der Ratlosigkeit aufsteigende Wut und die sich entwickelnde Gewalt spürbar macht, das geht unter die Haut, das macht die Inszenierung zu einem ungewöhnlichen Erlebnis.

Ob sie Max Frisch gefallen hätte? Irgendwo habe ich gelesen, er sei entsetzt gewesen, als man den Grafen Öderland mit Adolf Hitler verglichen hat. Deshalb hat er sich schwergetan mit dem Stück, mehrere Fassungen mit unterschiedlichen Enden geschrieben. In Dresden steht Graf Öderland am Ende als Pegida-Einpeitscher vor uns: „Wir sind gekommen, um zu bleiben, und geblieben, um zu siegen.“ Dann stehen Fackelträger auf der Bühne, die Rede ist von Bürgerkrieg.  Ist das wieder eine düstere Vision?


» Graf Öderland oder Wir sind das Volk
Staatsschauspiel Dresden. Regie: Volker Lösch. Mit: Ben Daniel Jöhnk, Antje Trautmann, Benjamin Pauquet, Lea Ruckpaul, Thomas Braungardt, Albrecht Goette, Annedore Bauer, Torsten Ranft, Alexandra Weis, Jannik Hinsch und dem Bürgerchor
Nächste Termine: 21. + 25. Februar, 9. + 29. März und 18. April

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