so macht das denken feige aus uns allen – haußmanns hamlet am be

Nach dem die schon gebuchte Aufführung vorletztes Frühjahr Robert-Wilson-Proben zum Opfer fiel, hat es Thomas Pannicke jetzt endlich in Leander Haußmanns Hamlet am Berliner Ensemble geschafft und fand sich in Splatter-Szenen statt -Filmen, aber auch in schönen Details wieder.

Es sind schon ein paar Jahre vergangen, seit Leander Haußmann ein vielversprechender Jungregisseur im deutschen Theaterbetrieb war. Ich habe in Weimar Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal eine Inszenierung von ihm gesehen, ein „Sommernachtstraum“, an den ich mich noch heute gern erinnere. Dann wurde er Intendant in Bochum und sorgte mit seinen Hausregisseuren Dimiter Gottscheff und Jürgen Kruse für Furore. Haußmanns Vertrag wurde nach fünf Jahren nicht verlängert, es folgten noch einige Inszenierungen an anderen Häusern, u.a. am Berliner Ensemble, dann aber eine längere Theaterpause.

Seit ein paar Jahren arbeitet er wieder am Theater, vornehmlich am BE, soweit man hört, will er sich aber mit dem Ende der Intendanz von Claus Peymann vorerst vom Theater zurückziehen. Hier hat er sich den Hamlet vorgenommen, Premiere war bereits im November 2013. Nachdem eine geplante Vorstellung bei den Shakespeare-Tagen im April 2015 kurzfristig abgesagt wurde, da der Hauptdarsteller zuvor mehrere Abende lang bei Robert Wilson für eine Faust-Inszenierung geprobt hatte, hatte ich nun Gelegenheit, diesen Hamlet zu sehen.

Berliner Ensemble © Lucie Jansch
Haußmanns HAMLET am Berliner Ensemble © Lucie Jansch

Zu Beginn betreten zwei Musiker mit Engelsflügeln die Bühne. Es ist das Duo „Apples in Space“, das den ganzen Abend über präsent sein wird und ihn mit Gesang, Gitarre und Akkordeon stimmungsvoll untermalt. Dann auch gleich Auftritt Hamlet mit seinem berühmten Monolog, den er teils auf deutsch, teils auf englisch deklamiert. Nach einer pantomimische Szene, in der einem Narren der Kopf abgeschlagen wird und Gertrud das fließende Blut in einem Weinkelch auffängt, dann genug des Vorspiels.

Es geht da weiter, wo es bei Shakespeare beginnt, erster Auftritt des Geistes. Die anfangs noch leere Bühne ist mittlerweile mit etlichen Wänden gefüllt, die auf der reichlich zum Einsatz kommenden Drehbühne ein verwinkeltes Schloß Helsingör mit vielen kleinen und großen Räumen entstehen lassen. Den Hamlet spielt Christopher Nell als jungen Mann, dem die Geschehnisse etwas über den Kopf wachsen. Der Geist des Vaters begegnet ihm nicht in einer stürmischen Nacht im Freien, sondern als er es sich gerade mit Ophelia gemütlich gemacht hat. Hier und auch sonst nimmt Haußmann alles nicht allzu ernst. Da wird immer wieder ein schnoddriger Satz in den Schlegel-Text eingebaut oder Rosenkranz und Güldenstern zücken mal eben eine Pistole, um Hamlet zur Räson zu bringen.

Der Sein-oder-Nichtsein-Monolog fehlt an der Stelle, wo er eigentlich kommen müsste, wird aber auf unerwartete Weise nachgeholt. Bekanntlich wird das Drama nach dem Mord an Polonius zu einem wahren Krimi mit etlichen Toten. Der Leipziger Theaterfreund erinnert sich sicher an das Ende von Thomas Dannemanns Inszenierung aus dem Jahr 2014: ein Splatterfilm, der das Publikum ziemlich überraschte. Überraschung auch in Berlin, aber nicht durch einen Film. Hamlet beginnt live, die Leiche des Polonius nach allen Regeln des Metzgerhandwerks auszuweiden. Blut spritzt, Gedärme und Herz kommen zum Vorschein und schließlich auch das Hirn des Oberkämmerers. Und in dieser blutigen Szene spricht Hamlet noch einmal den großen Monolog.

Einer Dame in den vorderen Reihen wird es da zu bunt oder besser zu blutig. Sie steht auf und verlässt den Saal. Hamlet ruft ihr, problemlos im Shakespeare-Text bleibend, hinterher: „So macht das Denken Feige aus uns allen.“ Auch wenn diese Szene letztlich so weit übertrieben ist, dass man sie nicht ganz ernst nehmen kann, trägt sie doch dazu bei, dass es kein zu gefälliger Abend wird.

Berliner Ensemble © Lucie Jansch
Seit 38 Jahren nicht nur Totengräber: Martin Seifert in Leander Haußmanns HAMLET am BE © Lucie Janisch

Erwähnt sei noch ein schönes Detail aus der Totengräberszene. Dort berichtet bei Skakespeare der Erste Totengräber, dass er seinen Beruf hier seit 30 Jahren ausübt. Martin Seifert sagt in dieser Rolle „Ich bin hier seit 38 Jahren Totengräber…“ und tatsächlich, Seifert ist seit 1978 am BE engagiert. Man hofft natürlich nicht, dass er wirklich ein Totengräber ist, sondern dass es im BE auch nach der 18jährigen Intendanz von Claus Peymann weitergeht und vielleicht sogar ein frischer Wind Einzug halten wird – wenn auch wahrscheinlich ohne Leander Haußmann.


» Hamlet
Regie: Leander Haußmann Mit: Anna Graenzer, Traute Hoess; Boris Jacoby, Roman Kaminski, Peter Luppa, Peter Miklusz, Christopher Nell, Joachim Nimtz, Luca Schaub, Martin Seifert, Norbert Stöß, Felix Tittel, Georgios Tsivanoglou
Musik: „apples in space“

Premiere am 23. November 2013 im Berliner Ensemble.

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