verzweifelte russen, wilde kerle und junge deutsche – ein theaterwochenende in hannover

Eine Theaterfahrt, ein tolles, inspirierendes Haus und gleich drei Inszenierungen mit Leipziger Bekannten: Ein Wiedersehen mit Sarah Franke, Jonas Steglich, Sina Martens und Sascha Hawemann am Schauspiel Hannover.

© Isabel Machado Rios und Katrin Ribbe
Sina Martens, Jonas Steglich und Sarah Franke am Schauspiel Hannover © Isabel Machado Rios und Katrin Ribbe

Wenn man einen Menschen wirklich liebt, liebt man ihn doch so wie er ist und nicht so wie man sich wünscht, dass er sein sollte

Ein neuer Hawemann am Schauspiel Hannover: Nach Tschechows „Drei Schwestern“ nun Tolstoi, „Anna Karenina“ mit Sarah Franke in der Hauptrolle. Und Hawemann findet einmal mehr wunderbare Bilder für den größten Liebesroman at all. Gleich am Anfang wird hinter einem Gazevorhang Schlitt- bzw. Rollschuh gelaufen. Die Bühne, auf die Alexander Wolf eine schräge Fläche gestellt hat, ist mit wenigen Requisiten mal Eisbahn, dann Bahnhof, später Ballsaal und wird mit ein paar Umbauten auf der Szene zu Lewins und Kittys neuem Heim.

Hawemann interessieren die Lebensentwürfe der allesamt zwiespältigen, in sich selbst und den Erwartungen der anderen gefangenen Figuren hinter der Lovestory, die die Darsteller – allen voran Sarah Franke als strenge, verzweifelte, schöne Anna; Lisa Marie Arnold als verwöhnte und doch bezaubernde Kitty und Andreas Lange als herrlich kraftmeierender Stepan – in vielen emotionalen Szenen auf den Punkt spielen.

Eindeutig Gut und Böse, richtige oder falsche Entscheidungen gibt es hier nicht. Über der Szene liegt meist sprichwörtlich der Nebel einer beinah magischen Uneindeutigkeit. Der Musiker Xell, der schon bei Hawemanns Balkanrevue Das Pulverfass am Centraltheater mit am Start war, begleitet das Geschehen an diversen Instrumenten ebenso gekonnt uneindeutig wie klug zurückhaltend.

Und dennoch hält dieses Bühnengeschehen insgesamt seltsam auf Distanz. Es packt einen nicht mit derselben existentiellen Not und greifbaren Melancholie, mit den Brüchen, die einen „Hamlet Vers. 6“ oder auch die „Drei Schwestern“ ausgemacht haben.

Am Ende bleiben neben vielen schönen Bildern vor allem zwei Szenen haften: Die, in der Lewin (Rainer Frank) seiner Kitty mit ein paar Kreidestrichen ein ganzes neues, gemeinsames Leben malt und Annas Schlussszene, in der ihre glücklichen Kindheitserinnerungen als pralle Äpfel über die Bühne rollen und sie mit letzter Kraft versucht, wenigstens noch ein paar davon zu erhaschen.


» Anna Karenina
Wieder am 20.12. und am 15., 17., 22. und 25. Januar 2015


 

Ich mach hier die Löcher in die Bäume.

Ist man schon mal vor Ort, muss natürlich auch die Weihnachtsinszenierung! Zumal Ex-Leipziger Jonas Steglich hier in die Hauptrolle schlüpft: In die des Max „Bei den wilden Kerlen“ nach dem (Kinder)buch von Maurice Sendak.

Und hey, ganz groß!
Absolut jenseits der heile-Welt-Weihnachtsmärchen, die sich wie Zuckerguss landauf landab über Schauspielbühnen und Nachwuchspublikum ergießen, sind hier die Kerle noch wirklich wild und die Rezensentin und die jungen Zuschauer haben mehr als einmal tatsächlich Angst um Max, den Jonas Steglich spielt: energiegeladen und übermütig, wütend und tobend und gleich darauf wieder einsam und Nähe suchend. Und dabei in keine der Fallen tappt, die nur zu zahlreich warten, wenn ein erwachsener Schauspieler den neunjährigen Jungen gibt.

Zerstörungswut, Enttäuschung, Wildheit, Einsamkeit aber auch ein Riesenspaß. Zärtlichkeit, Freundschaft, und  Vertrauen abseits jeglicher Political Correctness – auf der Insel der Wilden Kerle geht es zu wie in Max selbst. Die bewegliche Bühne und die phantasievollen Masken bringen wunderbar düsteren Zauber und eine ordentliche Portion Theatermagie.

Regisseurin Heike M. Goetze bleibt ganz nah an der Buchvorlage, in der Max aus seiner verwirrenden und frustrierenden Kinder-Wirklichkeit in eine wilde Fantasiewelt flüchtet. Ihre Inszenierung entfernt sich damit auch erfreulich weit von der – ebenfalls tollen, aber doch arg harmoniesüchtigen – Kinoversion Spike Jonzes. Vielleicht gerät das Familienstück dadurch einen Tick zu düster, das junge Publikum zumindest hat es an diesem Nachmittag nicht gestört, das war von der ersten bis zur letzen Minute mit angehaltenem Atem dabei.


» Bei den Wilden Kerlen
Noch bis zum 26. Dezember 2014 im Schauspielhaus Hannover


 

Irgendwann ist der Mist auch mal vorbei!

Das ist natürlich ein frommer Wunsch, schon mal angesichts befremdlicher Pegida-Demonstrationen und abstruser CSU-Vorstöße und vor allem auch, wenn man in einem Stück von Dirk Laucke sitzt. Hier ist nichts vorbei – nicht die Nazi-Altlasten auf den Schultern der nunmehr dritten Generation, nicht die Wut und nicht die neue, alte Ablehnung alles Fremden und damit sind wir mittendrin in der Premiere von Zu jung zu alt zu deutsch in der Cumberlandschen Galerie am letzten Sonntag Abend.

„Zu jung, um an Verbrechen der NS-Zeit teilgenommen haben zu können, zu alt, um davon unbeschwert losgekommen zu sein, zu deutsch, um sich nicht ständig dazu ins Verhältnis setzen zu müssen.“  Laucke versammelt hier fünf Figuren, mehr Prototypen denn Menschen aus Fleisch und Blut. Da ist der ewig wütende der-Gesellschaft-den-Spiegel-Vorhalter und der harmoniesüchtige Spießer. Da ist Lydia – gespielt von Sina Martens – die Frau zwischen den beiden, auf deren Schultern die Vergangenheit des Opas bei der Waffen-SS lastet. Da ist das Prekariat in Gestalt von Gitte, die in der Blutbank putzt und ein neues Leben in Lisssabon träumt und da ist die jüdische Zuwanderin, die ohne Papiere aber mit Familie ein Leben in Deutschland will.

Dieser schablonenhaften Vorlage hauchen die Darsteller in der Regie von Nick Hartnagel ein erstaunliches Maß an Leben und Spielfreude ein. Die Bühnenschräge lässt sie immer wieder in Richtung Publikum rutschen, nach ihren Szenen müssen sie sich den halbwegs sicheren Stand an der Rückwand erst wieder erklimmen. Und trotz der glatten Fläche bleibt immer etwas haften, nichts geht spurlos vorrüber.

In den besten Szenen wird aus dem „Was habe ich denn mit damals zu tun?“ ein „Was tue ich heute gegen die Ungerechtigkeiten?“. Aber ob das Publikum ernstlich darüber nachdenkt, wo es doch noch überlegt, ob man über Nazi- und Holocaustwitze mittlerweile wieder lachen darf? In der offensichtlich unterschiedlichen Beantwortung dieser Frage liegt letzlich nicht der geringste Erkenntnisgewinn dieses Abends.

Im starken Schlussbild zeigt Karolina Horster als Immigrantin Sascha augenfällig, dass keiner seine Rolle einfach abstreifen kann, vor allem nicht jene, die einem als ungewollte Haut von anderen übergestülpt wird.


» Zu jung, zu alt, zu deutsch
Cumberlandsche Galerie des Schauspiel Hannover. Wieder am 14. und 30. Dezember

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