wer bin ich und wenn ja, wie viele?
philipp preuss‘ peer gynt am schauspiel leipzig

Wenn der Regisseur schon am Beginn des Abend frisch-frech mit dem Schlussapplaus spielt, muss er sich die Jubel-Lorbeeren hernach um so mehr verdienen. Und das tut er. Philipp Preuss' zweieinhalbstündiger Peer Gynt ist schaumgeborenes, schwarz-weiß-heiß-magisches Seelentheater. Hin und weg wir sind.

Beim fröhlichen Applaus-Ballspiel treffen wir also auf sechs schmucke Herren im schwarzen Anzug und weißen Hemden. Mit einer Geste lassen sie stürmischen Beifall aufbrausen, mit der nächsten fangen sie den Jubel wieder ein. Dann öffnet sich der (Bühnen)Himmel und lässt einen wahren Gletscher aus Schaum frei, derweil drei Damen aus dem Publikum heraus The Cures Lovesong anstimmen:

Whenever I’m alone with you
You make me feel like I am whole again

© Rolf Arnold
Mal rauskommen aus seiner Peer-Group? Unmöglich. © Rolf Arnold

Wow. Gänsehaut – Was für eine magische Bühnen-Idee! Und magisch geht es ja auch zu in Ibsens Psycho-Trip, tief in das düstere Phantasien, das die Seele des Peer Gynt ist.

Das Träume-sind-Schäume-Gebirge schafft zusammen mit Carsten Rügers sparsamer Licht-Regie alpschaumtraumhafte, schwarz-weisse Hammer-Bilder: eine Als-ob-Welt, die gerade noch ist und gleich ganz anders und ziemlich sicher bald gar nicht mehr und an die bzw. in der man sich nicht halten kann, weil sie jeden Widerstand verweigert, jede Form nur vortäuscht.

Komm Peer! Komm!

Das Schaumgebirge kreis(s)t, gebiert und verschluckt wieder: sechs Peer Gynts, die einander locken, sich suchen, finden und wieder verlieren. Die sich erkennen und erschrecken, weil sie sich doch (selbst) nicht kennen. Keine Aufdröselung ist das, nein, im Gegenteil: Das Herren-Ensemble schafft überaus gekonnt eine Vervielfachung dieser schillernden Figur. Ein Ganzes, das viel mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile.

Peer, der Ausgestoßene. Peer, der Unverstandene (Florian Steffens). Peer, der Kapitalist, der – eiskaltes Blut! – über Leichen geht (Timo Fakhravar). Peer, der potente Macker (Denis Petkovic). Peer im mittleren Alter allein auf der stürmischen See der Selbstzweifel (Andreas Keller). Peer, der mit so schwarzem Blick auf sich selber blickt, dass es einen friert. (Markus Lerch).

Peer! Du lügst!

Und immer wieder: Peer, der romantische Träumer. Der Phantast, der sich mit leuchtenden Augen eine ebensolche Zukunft aus Worten malt. Felix Axel Preißler gibt diesem Peer den Charme und das Augenzwinkern des Was-kostet-die-Welt-Abenteurers und zugleich brodelt da unterm Spiel der Ernst; unter der verrückten Laune des Augenblicks die böse Ahnung, dass diese Welt alles kosten wird.

© Rolf Arnold
Gugelhupf möchte die Aase so gern und ein großes Leben für Sohn Peer © Rolf Arnold

Der Felix-Peer ist es auch, der mit seiner Mutter Aase auf eine letzte furiose Phantasie-Schlittenfahrt geht. Das Theaterurgestein Dieter Jaßlauk spielt mit seinen über 80 Jahren die Mutter Gynt mit einer anrührenden Eigensinnigkeit, Würde und Komik. Wie aus dem Schellengeläut der Totenglockenklang wird – Verrückt, traurig, ergreifend, wunderbar.

… und weg ist das Ziel

Aber über die Toten können wir später klagen, jetzt will die Welt erobert sein! Reich will er werden, am besten Kaiser sein von der ganzen Welt. Und wenn die Trollprinzessin halt da auf dem Weg zur Sklavenhändler-Karriere liegt? Ja, bitte! Und dann will Peeropolis gegründet sein und vom Gynt-Tower aus regiert. Prophet wird Peer und zeitgeisteskranker Irrenhäusler, predigt den Profit, und dann ist’s doch wieder nur Schaum, den er sich in die Taschen stopft. Runde um Runde dreht sich das Schaumgebirge und gibt den Blick auf eine Stretchlimousine amerikanischer Bauart frei: Was dadrin abgeht, ist verkokster Kapitalisten-Trash und wohin dieser gespenstische Chauffeur die Karre lenkt, will man lieber nicht so genau wissen.

Du warst nun gedacht als ein blinkender Knopf / Auf der Weste der Welt

So wie alles gewonnen, ist am Ende alles zeronnen. Als siebenter, alter Peer kehrt Dieter Jaßlauk wieder. Und heim. Aber keine Solveig wartet hier, nur der Knopfgießer mit seinem Löffel, um den Ausschuss-Peer einzuschmelzen – auf dass Bess’res draus entstünde. Nur einen kurzen Aufschub gewinnt Peer und macht sich – Hü, Rappe! Spute Dich, Mähre! – noch einmal auf phantastische Schlittenfahrt zum Soria-Moria-Schloss, während stumme Gestalten im Schaume tonlos Akkordeon spielen. Hörst du sie tanzen?

© Rolf Arnold
Magische Zauberbilder aus den flüchtigen Elementen Schaum und Leben schafft Philipp Preuss © Rolf Arnold

(Zumindest im ersten Teil sparsam eingesetztes) bildstarkes Live-Video ergänzt das Spiel und schafft alpdrückende Bilder. Der Sound von Kornelius Heidebrecht gibt dem Abend einen feinen, ganz eigenen Drive – zusammen mit den drei Opernsängerinnen, die – als Solveig im Geiste – immer mal wieder hypnotisch-zart The Cure singend auftauchen, durchaus aber auch das Zeug zu Sirenen haben.

Ohne falsches Pathos ist diese irre Geschichte erzählt, aber mit Mut zur berührenden Geste und durchaus mit (manchmal liebenswert-albernen) Humor. Dabei nimmt der Regisseur seinen Peers nie ihr ganzes Geheimnis und uns nicht den Raum für eigene Gedankenwelten. Und zeigt so mit dieser vielfältigen, dunkel schillernden Peer-Seele auf unser Heute: unsere Begehren, unsere Gier, unsere Rücksichtslosigkeit, unseren Machthunger, unsere Verlorenheit. Aber auch auf unsere Kraft, zu träumen und neue Welten zu erschaffen – und sei es aus Schaum – und fest an sie zu glauben.


» Peer Gynt
Regie: Philipp Preuss. Musik: Kornelius Heidebrecht. Mit: Timo Fakhravar, Dieter Jaßlauk, Andreas Keller, Markus Lerch, Denis Petković, Felix Axel Preißler, Florian Steffens. Sängerinnen: Joanne D’Mello, Fanny Lustaud, Amanda Martikainen, Hiltrud Kuhlmann.

Wieder am: 4. und 25. Februar, 10. und 26. März, 9. April und 11. und 31. Mai

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