zombies, die auf wölfe warten – gordon kämmerer mit wolfserwartungsland in der diskothek

Nein, dieses Land hier wartet auf gar nichts mehr. Außer vielleicht auf das Ende der Menschheit. Oder war das jetzt schon? Es sieht ganz danach aus in der Diskothek, in der eine erdhügelige und totenkopfgeschmückte Tagebaurestlandschaft die Bühne bedeckt. Ein interessanter Ansatz für eine posthumane Horrorshow - nur ist es in Florian Wackers Wolfserwartungsland dann doch 'nur' die eigene Vergangenheit, die als Raubtier zurückkehrt wie der Wolf in die Kulturlandschaft - längst ausgestorben geglaubt und doch so lebendig und gefährlich wie eh und je.

Wolfserwartungsland © Rolf Arnold
Wolfserwartungsland © Rolf Arnold

Der titelgebende Wolf hat gleich den ersten (und einzigen) Auftritt. Hinter einer breiten Fensterfront schreitet Florian Steffens in einer nur grandios zu nennenden, sexy Untier-Kostümierung (Kostüme: Josa Marx) eine Reihe von Monitoren ab, die in jüngerer Vergangenheit als futuristisch gegolten haben mögen. Darin morphende, virtuelle Körper, die grafische Vermessung von Schädeln, eine DNA-Helix: Läuft hier die Neuberechnung des Menschen in der posthumanen Zeit der Wölfe? Falls dem so ist, entzieht sich das jedoch bald dem Blick: Mr. Wolf lässt  zwei in Ketten gelegte (Bühnenarbeiter)-Sklaven die Fenster allesamt vernageln.

Hast du die alten Eichen da draußen schon mal gehört? Wie Knochen im Wind …

Übrig bleibt eine dunkle Bretterbude mit unebenem Erdboden, der zu weich ist, um Halt zu bieten. Aus diesem Erdreich graben sich zombiegleich blass mit rotumrandeten Augen die Figuren des Stückes: Der Wirt eines Provinzhotels, der ein bisschen Wölfe jagt, an die er eigentlich nicht glaubt, gern auch mal ein paar Katzen erschießt, ein bisschen auf Zuhälter macht und sich eingerichtet hat in der örtlichen, heimeligen Langweile. Juliette, sein Mädchen, das sich einst an diesen gottverlassenen Ort rettete, aber ganz woanders sein will. Der Jäger, der vornehmlich des Wolfes wegen kommt, aber etwas ganz anderes im Schilde führt. Der Spekulant, dem ein Wellnessparadies mit dem gewissen Etwas vorschwebt. Und der Jockel, der immer da ist, sitzt, trinkt und (lange) schweigt.

Du riechst so schön nach der Fremde.

Bruchstückhaft setzen sich im Laufe des Abends die Geschichten zusammen, eine Restunsicherheit bleibt immer: Die vom Jugendfreund und der gemeinsamen Geliebten, die sich schwanger vom Dach stürzte (oder gestoßen wird); die des Mädchens, das von einer Dachgeschosswohnung in der Stadt träumt und den wenigen Gästen gefällig sein muss. Oder will? Die vom Spekulanten (namens Wolf, nun ja …), der auf der Flucht vor seinen Gläubigern ist, nachdem er ein paar Fonds in den Sand gesetzt hat. Das ist dramaturgisch ganz clever gemacht und in feiner, anspielungsreicher Sprache umgesetzt. Nur kommt man dem Autor einfach nicht so richtig darauf, wohin er eigentlich will mit seinem Text voller Unbehaustheiten, Sehnsüchte und latenter Gewalt.

Wolfserwartungsland © Rolf Arnold
Der Jäger ist tot es lebe der Wolf – Wolfserwartungsland © Rolf Arnold

Der Wolf ist tot, es lebe der Wolf: Gordon Kämmerer macht aus der Vorlage ein so düster-bizarres, mordlustiges Panoptikum, einen Walking-Dead-Remix, in dem sich alle gegenseitig belauern. Wenzel Banneyer gibt einen famosen Wirt ab: traurig-resignierter Blick, eine fast beiläufige Gewaltbereitschaft und sogar ein chartreifes Liebeslied auf den Lippen. Marie Rathscheck lässt ihr so-ein-schönes Mädchen hübsch durchtrieben changieren zwischen verletzter Unschuld und abgebrühter Bitch, zwischen Sehnsucht und Mordgier. Die beiden werden umkreist von Michael Pempelforth als applegreen-behostem Weltbürger-Macho-Jäger und Anne Cathrin Buhtz als dampfplappernder Spekulantin mit hochfliegenden Plänen und einer Schwäche für die Wirtin.

Es kann alles besser werden, wenn du es willst.
Das ist eben das Problem.

Während alle schön aneinander vorbei reden, sagt einer lange gar nichts. Dirk Langes Jockel ist aber immer da und hat eine schöne, stumme, immer ein wenig distanziert-ironische Präsenz – und das ganz ohne Text. Die Schönheit selbst steckt hier oft im Detail und dazu im Hintergrund – in beiläufigen Gesten, in kurzen, anrührenden Momenten, die leicht zu verpassen sind. Denn vordergründig geht es recht unterhaltsam zu, mal schräg, gern mal auch ein bisschen albern. Da geistert der Wolf als Sehnsuchtstier durch Köpfe und mordlustige Phantasien, da gibt es immer(hin) ich-liebe-Bratkartoffeln und Kaffee zu aufgetautem Kuchen und auf des Jägers Kommando I’m the beast hüpfen alle in einer irrwitzigen Choreographie ziellos über den (Gottes)Acker.

Mehr kann ich im Augenblick nicht dazu sagen. // Das ist jetzt eine komische Situation.

Wolf, Mensch, Provinz, Wildnis, Zivilisation, richtiges und falsches Leben und Aneinandervorbei-Kommunikation – Letztlich bleibt das aber doch zu allgemein und ist mehr Zierrat für den am Ende sehr konventionellen Zwei-Männer-eine-Frau-Ausgangs-Konflikt mit zudem seltsam gestrig scheinenden Rollenbildern. So wie der Text nicht recht Fisch noch Fleisch ist, schwankt auch die Inszenierung etwas unentschlossen, aber grundsympathisch zwischen Kammerspiel und Horrorshow. Und trotz manchem verwundertem Kopfschütteln, macht das Zuschauen Spaß. Definitiv ein kurzweiliger Abend; mit einem schlauen, das Stück fortschreibenden Ende: Nachdem alles in Flammen aufgegangen ist, graben sich Juliette und – wer hätt’s gedacht – der Jockel wieder aus der Heimaterde, und alles beginnt von vorn. Eine endlose Wolfserwartungs-Schleife: Hörst du die alten Eichen da draußen …


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Von Florian Wacker. Regie und Bühne Gordon Kämmerer. Kostüme Josa Marx. Musik Friederike Bernhardt. Mit Wenzel Banneyer, Anne Cathrin Buhtz, Dirk Lange, Michael Pempelforth, Marie Rathscheck, Florian Steffens

Next show: 31. März 2018, Schauspiel Leipzig, Diskothek

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