zusammen auf zu neuen ufern – ein ungewöhnlicher holländer auf der bühne der oper halle

Im September 2016 eröffnete die Oper Halle die Spielzeit mit einer Premiere des „Fliegenden Holländers“ in der Raumbühne Heterotopia. Auch zum Ende der Spielzeit ist die Raumbühne wieder zu erleben. Dazwischen liegt eine Saison, in der es viel Gesprächsstoff gab. Das neue Leitungsteam um Florian Lutz hat der Oper viel Frische und Aktualität verpasst und damit selbst einen Opernmuffel wie mich schon mehrfach nach Halle gelockt. Auch zum „Holländer“ habe ich es nun endlich geschafft. Hier also ein verspäteter, dafür aber begeisterter Bericht.

Alle auf die Bühne © Falk Wenzel / Sebastian Hannak
Alle auf die Bühne © Falk Wenzel / Sebastian Hannak

Passend zum seemännischen Thema gibt es keinen normalen Einlass, sondern ein „Boarding“ auf unterschiedlichen Decks. Ein Teil der Zuschauer wird über einen Seiteneingang direkt auf die Bühne geführt. Zunächst bekommt man aber von der nichts zu sehen, weil einem vor Betreten des Bühnenraums eine Maske aufgesetzt wird. Angeblich, um die Aufmerksamkeit ganz auf das Hören der nun folgenden Ouvertüre zu lenken. Doch diesen musikalischen Genuss hätte man auch, wenn man wie ein kleiner Teil des Publikums ganz konventionell im 2. Rang Platz genommen hätte. Dort könnte man gelassen im Sessel sitzen und die Augen selbstbestimmt schließen.

Doch ich betrete die Bühne mit verbundenen Augen, tappe blind drauflos und hoffe, nicht zu stolpern oder mit anderen Besuchern zusammenprallen. So steht man etwas verunsichert irgendwo im Bühnenraum und harrt der Dinge, die kommen mögen. Die kommen auch: mit dem Verklingen der letzten Töne der Ouvertüre dürfen die Masken abgelegt werden. Jetzt geht es darum, sich einen Platz zu suchen, man kann das Parkett aufsuchen oder auf der Bühne bleiben, wo mehrere Tribünen Platz bieten. Erfahrene Besucher wissen offensichtlich schon, wohin sie wollen, ich sichere mir einen Platz auf der nächstgelegenen Tribüne und lege die dort bereitliegende Kleidung an: eine neongelbe Warnweste und einen Schutzhelm. Während man damit noch beschäftigt ist, betreten schon Kapitän Daland und der Steuermann die Bühne, die Matrosen sind sowieso schon da und mit der Arbeitskleidung wird man zum Teil von Dalands Mannschaft. Wobei es nicht nur die Aufschrift „Solar Valley“ auf den Westen ist, die kaum an die Seefahrt erinnert: Ein Schiff ist weit und breit nicht zu sehen und Kapitän und Steuermann treten uns im Business-Outfit entgegen. Der Steuermann versucht dann auch gleich, die Mannschaft mit Leibesübungen und coolen Sprüchen zu motivieren und für den Arbeitsalltag fit zu machen. Dass uns hier ein Holländer in der schönen neuen Finanzwelt des Kapitals präsentiert wird, ist unverkennbar. Videoleinwänden zeigen Nachrichten-Schnipsel mit Akteuren der gegenwärtigen Finanzkrisen.

© Falk Wenzel / Sebastian Hannak
© Falk Wenzel / Sebastian Hannak

Nach der leichten Überforderung am Anfang ist nun Gelegenheit, sich etwas umzusehen. Da gibt es ein mehrstöckiges Gerüst, auf dem später der Chor der norwegischen Mädchen agieren wird; da steht ein nicht mehr ganz neues Auto, dessen Kennzeichen mit ER-IK beginnt und da gibt es einen durch Stacheldraht begrenzten Raum, in dem sich Menschen aufhalten, die Flüchtlinge aus muslimischen Staaten sein könnten. Dann betritt der Fliegende Holländer den Raum, lässig gekleidet mit Jeans, T-Shirt, Turnschuhen. Auch er ein Akteur der Wirtschaftswelt von heute. Kein Seefahrer mit unermesslichen Schätzen im Frachtraum, sondern ein milliardenschwerer Unternehmer, der sein Geld mit maßgeschneiderter Werbung in sozialen Medien verdient. Einen ausgiebigen Essay zu dieser Figureninterpretation bietet die Opernzeitung, wo man lesen kann, dass Menschen wie Mark Zuckerberg 99% ihres Vermögens für gute Zwecke spenden wollen. Klingt zunächst ganz gut, aber bei aller Spendenbereitschaft beruht doch der Reichtum dieser „Philanthrokapitalisten“ auf einem System, dass zwangsläufig die potentiellen Empfänger der Spenden hervorbringt. Und dieses System in Frage zu stellen, käme wohl den Zuckerbergs und Co. dieser Welt nicht in den Sinn.

Doch zurück zur Oper. Der Holländer ist ein zwar steinreicher, aber volksnaher Unternehmer – auf Schritt und Tritt verfolgt von einer Kamera, um ständig medienwirksam präsent zu sein, wenn er mit einem Bolzenschneider das Schloss am Stacheldrahtzaun des Flüchtlingscamps öffnet oder an die Flüchtlinge Smartphones verteilt und sich mit einem Flüchtlingsmädchen ablichten lässt. Und während er seinen Reichtum einsetzt, um Kapitän Daland davon zu überzeugen, dass er ein guter Schwiegersohn sein könnte, wird an die Flüchtlinge Essen verteilt.

Bei Wagner warten die Frauen am Spinnrad sitzend auf die Heimkehr der Matrosen, hier sind sie zu einer Gruppe von Blondinen im einheitlichen „Schürzenlook“ geworden, die sich einer Vielzahl von Beschäftigungen hingeben, die der Hausfrau von heute zur Verfügung stehen. Nur Senta nimmt da nicht teil, sondern träumt vom Holländer. Wenig begeistert davon ist Erik, ihr Verflossener, der bis zum Hals tätowiert, mit Bomberjacke und Pelzquaste am Autoschlüssel daherkommt. Doch damit und mit seinem Auto kann er Senta nicht mehr beeindrucken.

© Falk Wenzel / Sebastian Hannak
© Falk Wenzel / Sebastian Hannak

Zu Beginn des dritten Aufzuges gibt es Freibier für die Mannschaft Dalands, also für alle, die die Solar-Valley-Westen tragen. Übermütig neckend versuchen Mädchen und Matrosen nun, die Leute im Flüchtlingscamp zur Teilnahme an der Party motivieren. Zunächst begegnet man ihnen mit Schweigen, doch die Lage eskaliert zusehends: Als die Matrosen die Flüchtlinge verhöhnen und mit Brot bewerfen, brechen jene schließlich aus dem Camp aus. Es kommt zum Handgemenge, an dessen Ende die Frauen, die Matrosen und die Flüchtlinge reglos am Boden liegen.

Während der Holländer Senta und Erik beobachtet und zunehmend um Sentas Treue fürchtet, erheben sich Matrosen, Frauen und Flüchtlinge und erlösen sich gegenseitig aus ihren Rollen: Blonde Perücken, Arbeitswesten und Schutzdecken werden abgelegt. Das alles wird zu einer rituellen Erlösungszeremonie, die auch auf die Zuschauer übergreift, die sich nun der Helme und Westen entledigen können. Befreit von diesen Dingen kann man dann dem Finale der Oper lauschen.

Viel Beifall für diesen ungewöhnlichen Abend, der wohl jedem Zuschauer im Gedächtnis bleiben wird. Beim anschließenden Publikumsgespräch äußert sich ein Opernfreund, der extra aus Berlin angereist ist. Dort hätte man drei Opernhäuser, aber einen solchen Holländer habe er noch nie gesehen. Wer sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen will: Die Raumbühne Heterotopia der Oper Halle kann man im September wieder betreten.


» Der fliegende Holländer
Oper Halle, Raumbühne Heterotopia
Regie: Florian Lutz. Musikalische Leitung: Josep Caballé-Domenech/Christopher Sprenger

Nächste Chance: Freitag, 29. September 2017, 19.30 Uhr

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