Nichtverlängerung & Premiere | Oper Halle

allen leuten recht getan … ein gespräch mit r7-autor thomas pannicke zum aus für intendanten florian lutz

Der Vertrag mit Opernintendanten Florian Lutz an der Oper Halle wird nicht verlängert. Das hat der Aufsichtsrat der Theater, Opern und Orchester GmbH Halle (TOOH) am letzten Freitagnachmittag entschieden. Unser Autor Thomas Pannicke war zuletzt ziemlich oft in der Nachbarstadt in der Oper. Und das, obwohl er eigentlich gar nicht wirklich musiktheater-affin ist. Was ihn angelockt hat, wollten wir von ihm wissen und was er zur aktuellen Entscheidung sagt. Und eine Opernpremiere gab es auch noch.

Ariadne auf Naxos an der Hallenser Oper © Anna Kolata
Ariadne auf Naxos an der Hallenser Oper © Anna Kolata

Thomas, als reihesiebenmitte-‚Opernexperte‘ – wie schätzt du ein, was gerade in Halle passiert?

Als vor zweieinhalb Jahren Florian Lutz Intendant der Oper Halle wurde, erinnerte mich manches an den Start des Leipziger Centraltheaters unter Sebastian Hartmann. Da hatten Verantwortliche der Stadt sich ein Herz gefasst und wollten eines ihrer Theater einer Rundumerneuerung unterziehen. Frischer Wind sollte wehen, neue Inszenierungsstile auf der Bühne zu sehen sein, neue Zuschauergruppen angelockt werden. In beiden Städten holte man deshalb junge Regisseure auf die Intendantenposten, die sich mit ihren Inszenierungen bereits einen Namen gemacht hatten. Wie damals Hartmann machte auch Lutz genau das, wofür er geholt wurde – neues auf- und anregendes Theater, Inszenierungen, die in der Stadt zum Gesprächsstoff wurden und zum Diskutieren aufforderten.

Die Hallenser Oper geriet überregional ins Blickfeld, für die Raumbühne Heterotopia gab es den Theaterpreis „Der Faust“. Aber es gab auch internen Streit in Halles Theater GmbH. Da gibt es nämlich den Geschäftsführer Stefan Rosinski, Theaterfreunden aufgrund seiner Zeit an der Volksbühne und am Volkstheater Rostock nicht unbekannt. Die Einzelheiten kann man an vielen Stellen nachlesen, am vergangenen Freitag wurde nun bekannt, dass die Erneuerung der Oper Halle ebenso nach fünf Jahren ihr Ende finden wird wie damals das Centraltheater. Da haben die Verantwortlichen ganz offensichtlich Angst vor der eigenen Courage bekommen. Theater, das sich einmischt, das aktuelle Themen auf der Bühne verhandelt – das will man dann anscheinend doch nicht.

Du warst jetzt oft an der Oper Halle, obwohl du eigentlich kein erklärter Opernfan bist. Was hat dich ins Musiktheater gelockt? 

Aufmerksam geworden bin ich auf den Neustart an der Oper Halle auf verschiedene Weise. Ich hatte irgendwo gehört oder gelesen, dass ein neues Leitungsteam die Oper übernimmt. Florian Lutz kannte ich zwar nicht, aber Michael von zur Mühlen, der an der Oper Leipzig einst mit einem „Fliegenden Holländer“ für einen Skandal gesorgt hatte. Dann hatte man in Halle eine Plakatkampagne gestartet, wo unter dem Slogan „Alles brennt“ mit opernuntypischen Photos für die Oper geworben wurde. Da ich dort regelmäßig auf dem Bahnhof umsteige, fielen mir die Plakate ins Auge. Und schließlich war eine der Veranstaltungen, mit denen die Oper startete, ein Gesprächsabend mit Clemens Meyer zum Thema „Ich werde eine Oper bauen“. Mein Interesse war geweckt, trotzdem hat es einige Wochen gedauert, bis ich mir die erste Oper angeschaut habe. Das war dann » Mahagonny

Bunter Kampf jeder gegen jeden: Mahagonny in Halle © Falk Wenzel
Bunter Kampf jeder gegen jeden: Mahagonny in Halle © Falk Wenzel

Und, hat es sich gelohnt?

Ich war so begeistert, dass ich mehr sehen wollte. Das waren dann vor allem die Inszenierungen in der Raumbühne Heterotopia, » Der fliegende Holländer“ und Sacrifice. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt. In der Raumbühne gab es ja die Möglichkeit, auf der Bühne und damit direkt im Geschehen zu sitzen. Sacrifice war eine Uraufführung, in der es um junge Frauen ging, die zum IS gegangen waren. Auch beim Holländer spielte die Flüchtlingsproblematik eine Rolle. Da spürte man, dass Oper viel mehr sein kann als nur verstaubtes Musikmuseum. Außer dem Geschehen auf der großen Bühne gab es dann auch eine Reihe unter dem Titel „Kunstwerk der Zukunft“, in der verschiedene Künstler Abende gestalteten, die nichts mit Oper im herkömmlichen Sinne zu tun hatten. Und ich könnte jetzt noch einige Inszenierungen aufzählen, die ich seitdem gesehen habe und die beeindruckend waren.

Ein Vorwurf ist ja, Lutz würde am Publikum vorbei spielen – Was für einen Eindruck hattest du denn von den Zuschauern bei deinen Besuchen? 

Ich habe natürlich keinen Vergleich, wie es früher an der Oper Halle aussah. Auf nachtkritik.de wurden kürzlich Zahlen veröffentlicht: In der letzten Spielzeit vor Florian Lutz 70.000 Besucher, in der 1. Spielzeit unter Lutz 60.000, in der 2. 63.000 und in der 3. lag die Zahl schon Anfang Februar bei 57.000. Sieht so aus, als ob da ein Publikum heranwächst. Ich war in der 1. Spielzeit zu einer Art Zuschauerkonferenz. Da war das Publikum bunt gemischt, alt und jung beteiligten sich an der Diskussion. Natürlich gab es auch kritische Worte, aber auch immer wieder Zustimmung zum neuen künstlerischen Kurs. In den Vorstellungen, die ich gesehen habe, war das ähnlich – man spürt Zustimmung und Ablehnung. So soll es doch auch sein – man geht ins Theater, um sich mit Dingen auseinanderzusetzen, nicht um sich berieseln zu lassen. Und immer wieder höre ich, dass noch nie so viel über die Oper diskutiert wurde. Die Zuschauer sind bunt gemischt, da gibt es Gesichter verschiedener Altersgruppen, die ich schon in mehreren Vorstellungen gesehen habe und auf den Rückfahrten nach Leipzig kommt es auch immer wieder vor, dass man Menschen sieht, die auch in der Oper Halle waren. Neulich saß ein Herr neben mir, der extra aus Bielefeld angereist war, um zu sehen, was sich dort tut. Natürlich wird es auch konservative Opernfreunde geben, die nicht mehr hingehen. Die können doch nach Leipzig kommen. Allen Menschen recht getan, ist eben auch für Florian Lutz unmöglich.

Kann man die Situation in Halle mit der damals am Centraltheater Leipzig vergleichen? 

Vergleichen kann man alles. Ich glaube, auch die Presse (Mitteldeutsche Zeitung) hat, ähnlich wie die LVZ damals, keine sehr rühmliche Rolle gespielt. Einen Unterschied sehe ich darin, dass sich ein Schauspielintendant seine Schauspieler selbst sucht. Beim Centraltheater war es so, dass sich nach den ersten Spielzeiten ein harter Kern gefunden hatte, der das Konzept getragen hat. In der Oper hat man offensichtlich viel mehr mit Künstlern zu tun, die schon vorher dort gearbeitet haben und nicht unbedingt hinter einem neuen Intedanten stehen. Vom Orchestervorstand gab es ja eine eindeutige Stellungnahme gegen Florian Lutz. Und ich habe auch Gerüchte gehört, dass Solisten und Chor nicht immer über die Einfälle der Regie begeistert sind. Ein zweiter Unterschied liegt in der Konstruktion des Theaters in Halle. Da gibt es eine GmbH, unter deren Dach die Theater der Stadt vereinigt sind. Und deren Geschäftsführer ist Stefan Rosinski, mit dem sowohl Lutz als auch Matthias Brenner vom neuen theater nur schwer zurechtkommen.

Fidelio an der Oper Halle © Detlef Kurth
Fidelio an der Oper Halle © Detlef Kurth

Florian Lutz hat diese Schwierigkeiten in seiner » Fidelio-Inszenierung sogar schon auf die Bühne gebracht. Rosinski ist ja zuvor auch schon in Berlin und Rostock aufgefallen. Florian Lutz hatte sogar angekündigt, dass er unter einem Geschäftsführer Rosinski seinen Vertrag nicht verlängern würde. Nun ist er gar nicht in die Verlegenheit gekommen, darüber nachdenken zu müssen.

Um aber nochmal auf die in meinen Augen entscheidende Gemeinsamkeit zu kommen: Sowohl im CT als auch an der Oper Halle begriff und begreift man Theater nicht als ein Museum, in dem (Musik)-Dramen möglichst „werkgetreu“ gezeigt werden sollen, sondern als Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit der Kunst. Ein schönes Beispiel ist die Arbeit „L’Africaine“, in der in vier Stufen aus der Oper von Meyerbeer etwas Neues entsteht.

Am vergangenen Freitag wurde aber nicht nur diese Entscheidung bekanntgegeben, es gab auch eine Opernpremiere …

Richtig, bei all diesem Streit hinter den Kulissen sollte man die eigentliche Hauptsache nicht vergessen – das Geschehen auf der Bühne. Denn während der Aufsichtsrat der Theater GmbH die Nichtverlängerung für Florian Lutz beschloss, feierte Ariadne auf Naxos von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal Premiere. Regie führte Paul-Georg Dittrich, der als „Shootingstar der Opernregie“ gefeiert wird.

Nimmt die Inszenierung Bezug auf die aktuellen Querelen?

Das Werk beginnt mit einem Vorspiel. Im Haus eines reichen Mannes soll eine Oper uraufgeführt werden, zusätzlich soll aber auch eine Commedia-dell’arte-Truppe ein heiteres Nachspiel zur Aufführung bringen. Schon das missfällt dem jungen Komponisten, doch dann heißt es sogar, beide Stücke sollen gleichzeitig gezeigt werden, damit pünktlich Schluss ist, denn der eigentliche Höhepunkt des Abends ist ein großes Feuerwerk. Das Entsetzen des Komponisten wird noch größer, aber u.a. der Gedanke an die bereits erhaltene Gage lassen ihn schließlich zustimmen.

Wer bezahlt, bestimmt auch die Musik. Einige der Protagonisten des Vorspiels tragen in Halle T-Shirts mit den Namen einiger Bühnen – die Semperoper Dresden ist dabei, das Landestheater Linz, die Theater Trier und Hagen und auch die Oper Halle. Die Namen deuten darauf hin, dass es heute im deutschsprachigen Raum (noch) ein dichtes Netz von Theatern gibt, die von der öffentlichen Hand finanziert werden. Also bestimmt auch die öffentliche Hand, was gespielt wird und natürlich auch, wer dort Intendant sein und inszenieren darf. Nur – wer ist die öffentliche Hand? Das sind Gelder aus Steuern, die jeder bezahlt – nicht nur die verschreckten Abonnenten oder die Aufsichtsratsmitglieder. Auf der Bühne wird dann mit ein paar Videosequenzen angedeutet, dass es nicht nur die finanzielle Seite ist, die die Freiheit der Kunst bedroht. Da wird an Bulgakow und dessen Probleme mit Stalin erinnert oder an den McCarthy-Ausschuss, vor dem sich Bertolt Brecht, Charles Chaplin und Orson Welles zu verantworten hatten. Und als aktuelle Beispiele werden Ai Wei Wei und Kirill Serebrennikow genannt.

Ariadne auf Naxos an der Hallenser Oper © Anna Kolata
Ariadne auf Naxos an der Hallenser Oper © Anna Kolata

Es gab viel Beifall an diesem Premierenabend, auch für die Regie, ich habe zumindest keinen Buh-Ruf gehört. Allen, die Oper für eine etwas verstaubte Kunstform halten, sei empfohlen, in den nächsten zweieinhalb Jahre des öfteren die Oper Halle aufzusuchen, um sich eines Besseren belehren zu lassen.

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