beckmann am herzschlagzeug – draussen vor der tür am staatstheater nürnberg

Draussen ist es kalt. Und doch herzenswarm: Sascha Hawemann hat Wolfgang Borcherts ureigenes Drama vom Soldaten, der nach Hause kommt und doch nicht nach Hause kommt, im Wortsinn geerdet und gleichzeitig zart abheben lassen; es überschrieben und fortgeschrieben und ihm einen wütenden Herzschlag aus donnernden Schlagzeugbeats verpasst.

© Marion Bührle
Beckmann³, der mit sich nicht mehr eins sein kann. © Marion Bührle

Finster ist es in diesem Nachkriegs-Irgendwo-in-Deutschland. Ein paar Spots verteilen diffuses Licht auf der komplett mit schwarzer Erde bedeckten Bühne (Wolf Gutjahr). Am linken Bühnenrand zupft der Musiker Xell auf der E-Gitarre die immer gleiche Melodie. Hinten stehen drei dunkle Gestalten. Endzeit, geht einem durch den Kopf. Auch: Blut und Boden. Die (verlorene) Heimaterde. Oder: Dreck fressen in der Fremde. Ehe es aber zu metaphorisch oder -physisch wird, kreuzt ein Schauspieler auf allen vieren und mit leuchtend weißem Pudelkopf die Szenerie und setzt damit gleich die (Hunde)Marke für einen Abend der Kontraste, der Facetten und des großen Bogens, der hier mit Borcherts Heimkehrerdrama ins Heute geschlagen wird.

Ein Mann kommt nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange.

Einer von Millionen nach dem Krieg. Und das Zuhause, das ist keins mehr und auch der Beckmann, der ist nicht mehr der Beckmann – im Krieg hat er mehr verloren als eine Kniescheibe und seinen Vornamen. Von dem, was war, will keiner mehr was wissen. Denn die Welt, die dreht sich weiter und man möge doch – bittschön – in ihr funktionieren. Auch wenn die Liebe längst einen Ersatz gefunden hat, der Oberst seine Verantwortung nicht zurücknehmen mag, man für die Bühne zu authentisch ist, die Eltern tot sind und einen sogar die Elbe angewidert wieder ausspuckt.

© Sascha Hawemann

Gleich drei Männer sind es hier, die an die Mikrophone an der Rampe treten und ihre Geschichte(n) erzählen. Die zwei Stunden lang leiden, schreien, sich einsauen, um sich schlagen, sich umklammern was das Zeug hält:

Der junge Beckmann, das Vorkriegs-Ich, mit dem sich Schauspieler Frederik Bott ans Schlagzeug setzt und dem Abend jenen lauten, wütenden Herzschlag einhämmert. Der eigentliche Beckmann, der in einem übergroßen schwarzen T-Shirt steckt, dass er so wenig ausfüllen kann, wie dieses unfassbare Nachkriegsleben (Kostüme: Hildegard Altmeyer). Ein hilfloser, blinder und nasskalter Fisch, der sucht und sucht und nicht findet oder nur kurz oder immer das Falsche. Ein Los-Lassen-Woller und Nicht-Weiter-Könner, den Julian Keck fast schon ein wenig zu sehr aufgehen lässt in der großen und großäugigen Verzweiflung.

Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond grinst noch
durch ein Loch
in der Gardine.

Last but absolut not least: Der Andere (Beckmann). Stefan Willi Wang spielt diesen „Antreiber“, den „Optimisten, der glaubt, der lacht, der liebt“ und „der immer da“ ist, als einen Getriebenen, in dem Wut und Trotz gleich neben dem Lebenshunger brodeln, und die Kaltschnäutzigkeit neben der Leidenschaft. Und dabei hält er sich und seine Figur kraftvoll und hochkonzentriert in der Ambivalenz zwischen Nähe und Distanz. Ein zerissener Nicht-Aufgeben-Könner unter Hochspannung. Toll macht der das.

© Marion Bührle
Blut, Schweiß und Tränen. Stefan Willi Wang als der andere Beckmann © Marion Bührle

Um diese Beckmänner kreisen die anderen Figuren – mal schillernd, mal trashig, mal tragisch, mal komisch, mal zart und berührend – und lassen in der bitteren Geschichte so melancholisch wie verlockend das Leben selbst aufleuchten.

Du siehst so wunderbar traurig aus.

Das Mädchen radelt ganz wunderbar traurig-schön und herausgeputzt wie eine Zirkusprinzessin Runde um Runde über die Bühne wie durch eine Manege, bevor sie ihren Kalten Fisch Beckmann an Land zieht und ihn mitnimmt. Svetlana Belesova spielt die ganze Schwere mit einer großen Leichtigkeit und entzündet für einen Moment lang das Licht, das dem Beckmann dann doch nicht ausreicht zum weiterleben wollen. Stefan Lorch lässt seine Elbe im Goldglitzerfummel sehr fein schnodderig an den Blankeneser Strand schwappen. Und Nicola Lembach findet als Kabarettdirektor einen teuflisch-perfiden Ton für den Pragmatismus des Es muss ja weitergehen.

Teuflisch menschlich: Nicola Kramer als Kabarettdirekteuse aka gründgens’scher Mephistopheles. © Marion Bührle

Ein bisschen Zirkus, ein bisschen Metal-Rock-Oper. Karikatur und Überzeichnung neben ganz feinen Setzungen. Und immer: viel viel Heart & Soul. Aber Sascha Hawemann macht noch mehr. Er schreibt -und das ist ein kluger, ein ganz wichtiger Gedanke an diesem Abend – diesem rein männlichen, deutschen Kriegsversehrtenjammerchor zwei starke, russische  Frauenstimmen ein, die vom Kriegsalltag im Lazarett und von einem unfassbaren Massaker erzählen. Letzteres als eine Art Vorsprechen fürs Nachkriegskabarett. Beziehungsweise vor Mephisto, dem Teufel selbst. Treffend. Böse.

Am Ende greifen alle Teile wunderbar ineinander für einen Abend, der roh ist wie ein blutiges Stück Fleisch (wie ein Zuschauer später bemerkte), aber auch fragil wie der Schaum aus Dreck und Luft auf der Elbe. Voller Tod und voller Liebe, voller Wut und voller Poesie und damit ganz bei nah Borchert. Und ebenso ganz im Heute: denn man muss das Mantra Russland! von 1946 nicht mal unbedingt um Kandahar! ergänzen, – so aktuell ist der Stoff, so heutig klingen auch Borcherts Worte.


» Draußen vor der Tür
Wolfgang Borchert. Regie Sascha Hawemann. Bühne Wolf Gutjahr. Kostüme Hildegard Altmeyer. Musik Xell. Mit Julian Keck, Stefan Willi Wang, Frederik Bott, Stefan Lorch, Nicola Lembach und Svetlana Belesova.

Next shows am 3./10./16./22./25./29. und 31. März 2018 , Staatstheater Nürnberg

 

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