berlin alexanderplatz – hartmanns biberkopf-bilderbogen am dt

Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ gehört zu den bedeutenden Großstadtromanen der zwanziger Jahre, die damals revolutionär waren und bis heute ihre Leser begeistern können. Aber nicht nur die Leser – für Theaterfreunde gab es schon wiederholt Gelegenheit, die „Geschichte vom Franz Biberkopf“ auch auf der Bühne zu erleben. Seit letzter Woche hat nun auch das Deutsche Theater, nur zwei S-Bahn-Stationen vom Alexanderplatz entfernt, eine Bühnenfassung des Romans im Repertoire, Regie und Bühne: Sebastian Hartmann.

Berlin Alexanderplatz © Arno Declair
Berlin Alexanderplatz © Arno Declair

Im Roman wird die Geschichte und das Scheitern des Franz Biberkopf erzählt, der wegen Totschlags im Gefängnis war, nach seiner Entlassung anständig sein will, aber wieder auf die Bahn des Verbrechens gerät, nicht zuletzt deshalb, weil es ihm an Einsicht fehlt. Zugleich aber wird in eindrücklichen Bildern durch viele kleine Nebenhandlungen das Leben in der Großstadt geschildert. Durch zwei immer wieder auftauchende Leitmotive gelingt es Döblin, das Geschehen um Franz Biberkopf zur Passionsgeschichte werden zu lassen: Zum einen sind das die Schilderungen von Schlachthofszenen, zum anderen die Zitierung biblischer Erzählungen wie die von Hiob oder von Abraham und Isaak.

Auf diese Grundidee des Romans baut Sebastian Hartmanns Inszenierung auf. Gerade in seinen letzten Inszenierungen in Frankfurt/M. und Stuttgart hat man monumentale Bühnenbilder erleben können. Da kann die relativ kleine Bühne des DT nur bedingt mithalten, allerdings ist sie für diesen Abend ein wenig nach vorn gezogen und zu Beginn weit und leer. Bestimmende Bühnenelemente sind Neonröhren, die im Laufe des Abends mehrfach die Zuschauer grell und rücksichtslos blenden. Z.T. sind die Leuchten auf beweglichen Kulissen angebracht, aus denen sich die Bühne immer wieder neu formt.

Berlin Alexanderplatz © Arno Declair
Berlin Alexanderplatz © Arno Declair

Im ersten Teil des Abends dürfen zunächst die Schauspieler zeigen, was sie können. Die erste Szene gehört Nebenfiguren des Romans, ein alter Mann (Markwart Müller-Elmau) besucht seine Frau (Gabriele Heinz) auf dem Friedhof. Dann der erste Auftritt von Franz Biberkopf (Andreas Döhler), er besucht Minna (Katrin Wichmann), die Schwester der von ihm erschlagenen Ida, und kommt hier zu einem für beide Seiten eher pragmatischen Beischlaf. Und weiter geht es im Reigen der Gestalten, von denen jeder Schauspieler mehrere verkörpern darf. Biberkopf lässt sich von einem Juden (sehr schön von Edgar Eckert dargestellt) die Biographie eines Betrügers erzählen.

Dann kommt aber auch jenes Element zum Tragen, für das Hartmanns Theater bekannt ist – die grandiosen auf der Bühne entstehenden Bilder. Benjamin Lillie spricht oder besser schreit einen Text über den Schlachthof, wird dabei selbst zum Schlachtvieh, dem die Wände aus bedrohlich kaltem Licht immer näher auf die nackte Haut rücken. Die Szenen jagen dahin, untermalt von einer Videoanimation von Tilo Baumgärtel, die Schlachthofbilder mit surrealen Szenen kombiniert, in denen riesige Arme die Menschen greifen und aus ihren Wohnungen zerren, hilflos werden sie zum Spielball des Schicksals, so wie Hiob (Michael Gerber), dessen Geschichte auch erzählt wird.

Schon im ersten Drittel wird der Mord an Mieze dargestellt, jenes Ereignis, das eigentlich im Roman den dritten und schwersten Schlag gegen Franz Biberkopf darstellt. Katrin Wichmann als Mieze beeindruckt hier mit einem tollen Monolog, während Biberkopf fassungslos und anscheinend ohne zu begreifen im Hintergund der Bühne die Mordszene verfolgt.

Berlin Alexanderplatz © Arno Declair
Berlin Alexanderplatz © Arno Declair

Nach der ersten Pause wechselt die Stimmung, Hartmann baut nun einige komische Szenen ein, Christoph Franken spielt den Rouladen essenden Mann, ist dann der Zeitungsleser, der sich köstlich über jenen Ehemann amüsiert, der nach dem Selbstmord seiner Frau die Kinder ins Wasser wirft. Moritz Grove, sonst vor allem als Erzähler fungierend, gibt eine köstliche von Spejbl und Hurvinek inspirierte Szene. Dann geht es  wieder zu Franz Biberkopf zurück – jetzt von Felix Goeser dargestellt, Wiebke Mollenhauer ist nun seine Mieze. Aus dem Zusammenspiel von Schauspielern, Bühnenbild und Videoanimation entstehen immer wieder große, beeindruckende Bilder, so, wenn es um die Schlachtung des Stieres im Schlachthof geht.

Die Leidensgeschichte des Franz Biberkopf spiegelt sich in vielen Nebengestalten, in biblischen Mythen, in Schlachthofbildern und wird so zur Leidensgeschichte des Menschen. Das gipfelt in einem Altarbild: Benjamin Lillie nackt am Kreuz, umrahmt von anderen Figuren. Und was wird aus Biberkopf? Er begegnet dem Tod in Gestalt von Almut Zilcher, die mit ihm einen Todeswalzer tanzt, die mit aller Kraft der Sprache mit ihm ringt, ihm das Wort „Schande“ entlocken will. Sie spielt mit vollem Einsatz, was man ihr beim Schlussapplaus deutlich ansieht.

Den  haben sich nach über vier Stunden intensiven Spiels alle Schauspieler redlich vedient. Nach „Der Löwe im Winter“  und „Woyzeck“ ist dies die dritte Inszenierung und wohl die gelungenste von Sebastian Hartmann am DT.

» Berlin Alexanderplatz
Nach einem Roman von Alfred Döblin, Regie & Bühne Sebastian Hartmann, Licht & Video Voxi Bärenklau, Videoanimation Tilo Baumgärtel
Mit: Andreas Döhler, Edgar Eckert, Christoph Franken, Michael Gerber, Felix Goeser, Moritz Grove, Gabriele Heinz, Benjamin Lillie, Wiebke Mollenhauer, Markwart Müller-Elmau, Katrin Wichmann, Almut Zilcher

Nächste Chancen: 22. Mai (18 Uhr), 5. und 19. Juni (18 Uhr)

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