Väter und Söhne | Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin

dann wollen wir erstmal einen plan machen – in hawemanns väter und söhne sucht die alte welt nach ihrem verlorenen ort

Auf dem bühnenbreiten Podest im Hintergrund sitzen die Spieler vor gestapelten Koffern wie in der Wartehalle des Lebens. Vorn bringt der alte Diener die Lichterketten links und rechts vom Bühnenportal ein letztes Mal zum Leuchten. Den Rest der Bühne taucht da schon die neue Zeit in grelles Licht, die die heimkehrenden Söhne in die Welt der Väter mitbringen.

Väter und Söhne © Silke Winkler
Im Wartesaal der Geschichte. Väter und Söhne © Silke Winkler

Iwan Turgenev erzählt in seinem Roman von einer Welt zwischen den Zeiten. Das Alte hat den Kampf gegen das Neue, obschon verloren, noch nicht ganz aufgeben. Für unumstößlich Gehaltenes verliert seine Gültigkeit. Was kommt, weiß keiner und dass es besser wird, darf heute noch mehr angezweifelt werden als anno 1862. Ein sehr passendes Stück zur Zeit also, dessen sich Sascha Hawemann, der Meister des Dazwischen, am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin angenommen hat.

Besitzverhältnisse, Glaube, Moral – alles hat seinen festen Platz, seinen Ort verloren. Dabei steht am Anfang eine Heimkehr. Arkadij kehrt von der Universität zurück, seinen Freund und Meister Bazarow im Schlepptau. Die beiden hängen dem radikalen Nihilismus an. Einer Weltanschauung, die an nichts glaubt und alles infrage stellt und stoßen damit bei den älteren Herren mindestens auf Unverständnis, wenn nicht auf offene Feindschaft.

Zwar haben sich auch in der Provinz die Uhren weitergedreht: Die Leibeigenschaft ist abgeschafft, die Modernisierung des Gutes macht äußerste Mühe und der Vater hat die junge Haushälterin mit seinem Kind ins Herrenhaus geholt. Dennoch prallen Welten aufeinander und das einmal mehr, als die jungen Männer die schöne Witwe Anna Sergejewna und ihre Schwester Katja kennen lernen. Denn während Arkadij sich leichterhand und nicht ungern wieder einem bürgerlichen (Liebes)Leben ergibt, glaubt Bazarow an nichts weniger als an die Liebe und kann sich ihr doch nicht entziehen und geht letztlich an der gefühlten Sinnlosigkeit des Daseins zugrunde.

Väter und Söhne © Silke Winkler
Väter und Söhne © Silke Winkler

Sascha Hawemann und Ensemble machen aus Turgenjews Generationenstück einen grellbunten, tragikomischen Verlorenheitsreigen. Man dreht sich, mal zu Schostakowitschs Jazz-Walzerklängen, mal – und ebenso passend – zu E-Gitarrenriffs und Iggy Pops Lust for Life. Und auch die Bühnen-Welt von Wolf Gutjahr besteht aus Versatzstücken. Stetig und langsam rotiert das Klavier in der Mitte, immer wieder wird Mobiliar per Lastenwagen weggeräumt und sogar der Samowar kommt auf Rädern daher. Keine Wurzeln  mehr, nirgends, spricht das ständige Kommen und Gehen. Und die zig Koffer erzählen von einer Heimatlosigkeit in der Zeit. Bald rollt eine Art Laube mal hier hin, mal da hin, die ein bisschen ausschaut, wie die ganze Dortmunder Kirschgarten-Bühne auf Rollen.

Kurze Fahrten, weite Fahrten. Sie enden alle am selben Ort: Im Nirgendwo

Und nicht nur der Kirschgarten wird hier als weiteres großes, russisches Zeitenwendepanorama zitiert, das Nach Moskau, nach Moskau der Drei Schwestern klingt genauso an wie brutale Schönheit des Dortmunder Liliom-Rummelplatzes, die Kraft und Energie des Hannoverschen Iggys und die Lichterketten aus tausendundeinem traurigschönen Lebensbühnenzirkus.

Vielleicht braucht der Abend deshalb ein bisschen, um zu sich, um zu einem eigenen Brennpunkt zu finden. Ein wenig zerfasert wirkt er anfangs, etwas arg überzeichnet und gehetzt die Spieler beim Versuch, die existentiellen Unsicherheiten ihrer Figuren zu (über)spielen.

Väter und Söhne © Silke Winkler
Väter und Söhne © Silke Winkler

Da fangen auch in der Gerade-noch-Idylle der Vorderbühne, wo der alte Diener wie ein Relikt längst vergangener Tage sitzt und auf der die anderen vom unaufhaltsamen Gegenwartskarussell verschnaufen, die Festlichter unheilvoll zu flackern an. Es senkt sich der Eiserne und vor selbigen tritt Julia Keiling. Aus der Turgenjewschen Katja wird die russische Revolutionärin und zukünftige Zarenattentäterin. Mit einer großartigen Präsenz, Power und Verletzlichkeit und nur mit einer Stehlampe bewaffnet erzählt sie von der Einsamkeit und der Kraft der Revolution, nimmt uns später eindringlich mit bis in die finsteren Folterkeller der Zaristen. Und ist nicht tatsächlich der Weg recht kurz von der zerfallenden Ordnung hin zur Revolution, vom Salonstreit zu Handgranaten?

Auch hinter dem Vorhang scheint der Abend jetzt sein Zentrum zu finden. Er fängt zu leuchten an, in so harten wie poetischen Szenen, wie zum Beispiel jener in der Katia Fellins Fenitschka zwischen dem lüsternen Alten und den sich überlegen wähnenden Jungen wie ein Spielball männlicher Gelüste hin und her geworfen wird. Oder wenn Martin Neuhaus wunderbar zärtlich-traurig als verwaister Vater seinem Sohn noch einmal Tee einschenkt, oder besser vergießt, wie Tränen, weil selbiger, genau wie seine Vaterliebe, kein Gefäß mehr findet. Überhaupt gibt Neuhaus den alten Bazarow ganz herrlich: kraftvoll, zupackend und voller Saft und doch zart beseelt in einer rührenden Unsicherheit.

Väter und Söhne © Silke Winkler
Väter und Söhne © Silke Winkler

Während Jennifer Sabel bei ihrer Anna Sergejewna die Facette zupackenden Landgutverwalterin wesentlich mehr zu liegen scheint, als die der an einer Art unerträglichen Leichtigkeit leidenden und irgendwie – zumindest für die Herren – undurchschaubaren Salonschönheit, ist Robert Höllers Bazarow noch viel deutlicher als im Roman ein Getriebener, Zerissener. Seine kühle Maske selbstverordneter Leidenschaftslosigkeit ist leicht zu durchschauen. Dieser Bazarow hier, der windet sich, der will leben und lieben und kann es doch nicht und scheitert endgültig und konsequent an der Frage: wofür?

Eine Frage, die sich die anderen Figuren nicht (mehr) stellen. Aber doch dringend müssten, genau wie wir heute: Wo wollen wir hin? Und was machen wir mit unserer Zeit? Und da ist Turgenjews russisches Nirgendwo plötzlich überall.


» Väter und Söhne
Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin.
Nach Iwan Turgenjew. Regie Sascha Hawemann. Bühnenbild Wolf Gutjahr. Kostüme Hildegard Altmeyer. Dramaturgie Jenny Flügge. Mit Janis Kuhnt, Robert Höller, Martin Brauer, Jochen Fahr, Martin Neuhaus, Katia Fellin, Jennifer Sabel, Julia Keiling und Klaus Bieligk.

Wieder am 11. Oktober / 10. November / 1. Dezember 2019 und 2. Januar 2020

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert