die freiheit, die ich meine – letzter vorhang für den dessauer götz

Der Clemens Meyer hat uns mit seinem Theater-Provinz-text neugierig gemacht und so sind wir zur letzten Götz von Berlichingen Vorstellung selbst nach Dessau gereist ... und wurden nicht enttäuscht.

Seit 1794 gibt es in Dessau ein festes Schauspielensemble und so gerechnet geht hier gerade die 220. Spielzeit zu Ende, eine Spielzeit, in der gerade eben so die Schließung zweier Sparten abgewendet, die Einsparungen aber nur etwas reduziert und nicht verhindert werden konnten. Die letzte Spielzeit der sechsjährigen Intendanz von André Bücker, der so vehement wie kreativ gegen den kulturellen Ausverkauf kämpfte und gleichzeitig gewann und verlor. Denn nun lenkt Johannes Weigand ab Herbst die Geschicke des Hauses. Der weiß sicher aus Wuppertal (dort war er Opernintendant), wie Sparen geht …

Viel Gutes hörte man in den letzten sechs Jahren vom Dessauer Theater, viel Zusammenhalt war zu spüren in Ensemble und Publikum bei der letzten Vorstellung des Götz von Berlichingen am Samstag Abend mit offenen Türen, Trommeln, wehenden Fahnen, Standing Ovations, Dank und Tränen. Ringsherum ein wahrer Theaterfestmarathon von Samstag neun in der Früh bis Sonntag drei Uhr nachmittags mit Schauspiel, Lesungen, Konzerten, Regengüssen, Performance, Tanz, Bier, Würstchen (die leider nur bis neun Uhr abends), Kanonen, Frühsport und Katerfrühstück samt Rollmops.

Stirb, Götz, du hast dich überlebt!

Goethes Götz – ein Stück, wie gemacht als Abschiedsinszenierung des unbeugsamen Intendanten – Mich ergeben! Auf Gnad & Ungnad! Mit wem redet Ihr?. Und so ist er auch gesetzt, dieser Götz, ein junger Revoluzzer im – Ihr könnt mich am Arsche lecken! –  aussichtlosen Kampf gegen den Zynismus der Macht in diesem Schluss-Streich, der noch einmal mit voller Kraft voraus und allen Ressourcen mobilisierte.

Felix Defèr als Götz, im Rücken der Chor. © Claudia Heysel
Felix Defèr als Götz, im Rücken der Chor. © Claudia Heysel

» Clemens Meyer schrieb es hier (und sein Text war auch der Grund, nach Dessau zu reisen) und dem können wir nur zustimmen: Ein packender Götz, ein kraftvolles Fest des Schau-Spieles auf leergefegter Bühne, ein starkes Ensemble, beeindruckende Bilder, ein fulminanter Chor. Die Geschichte dabei fesselnd und im besten Sinne konventionell erzählt und in Zeit und Raum befeuert von unzähligen Assoziationen, Texten, Zitaten, die nachdenken machen.

Man betrügt sich oder den anderen. Meistens beide.

Goethe verflochten mit Luxemburg, Rammstein, Müller, Pussy Riot, ein paar Hippies, der RAF, Luther, den Toten Hosen (Steh auf!), Camus, Locke, Milton, Rilke und und und … Und wirklich nie wirkt das aufgesetzt, im Gegenteil, eben so, als müsste es gerade genau so sein. All das zusammen macht ein Riesen-Tableau auf und auf dem steht sie dann, die große Frage, was denn Freiheit nun eigentlich ist. Für Götz, für eine Nation, für die Kunst, für den Einzelnen, für die anderen.

Dank an Clemens für den Tipp – ohne dich hätten wir diesen Götz sicherlich verpasst! Auf den unvermeidlichen Theaterstoffbeuteln schreiben die Dessauer Theatermenschen „MACHT THEATER“. Wir hoffen, dass sie das weiter so tun, auf das es wieder Macht und etwas zu sagen hat, das Theater. Unsere Tasche werden wir ab jetzt bestimmt oft spazieren tragen.

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