die kabale der scheinheiligen. das leben des herrn moliere an der volksbühne

Im September beginnt an der Berliner Volksbühne die 25. und zugleich letzte Spielzeit der Intendanz von Frank Castorf. Es gibt wohl nur wenige Intendanten, die ein Theater so lange geleitet haben (der Leipziger Karl Kayser gehört übrigens dazu). Der bevorstehende Wechsel an der Volksbühne hat vielerorts zu Unruhe geführt, auch an der Volksbühne selbst, wo große Teile der Belegschaft nach dem ersten Zusammentreffen mit dem kommenden Intendanten Chris Dercon einen offenen Brief geschrieben haben. Natürlich weiß niemand, was Dercon bringen wird, aber Zweifel sollten erlaubt sein, ob es für den Kulturstaatssekretär Tim Renner dereinst ein Ruhmesblatt sein wird, die Ära Castorf beendet zu haben.

Erst in reichlich einem Jahr wird sich zeigen, ob in die Volksbühne die „global verbreitete Konsenskultur mit einheitlichen Darstellungs- und Verkaufsmustern“ einziehen wird, wie im offenen Brief vermutet wird. Aber wie man hört, hat Chris Dercon andere Pläne und hat schon mal Reinhard Schleef als Vorbild bezeichnet. Bitte jetzt nicht fragen, wer verdammt nochmal Reinhard Schleef ist. Das weiß wahrscheinlich auch Einar Schleef nicht, der nun schon seit 15 Jahren auf dem Sangerhäuser Friedhof ruht.

Frank Castorf kann die Stuation mit einem Lächeln beobachten, er ist vor einigen Tagen 65 geworden und muss niemandem mehr etwas beweisen. Ich sehe zugleich nichts mehr von der Müdigkeit, die man ihm vor einigen Jahren von Kritikerseite gern vorgeworfen hat. Großartige Inszenierungen reihen sich aneinander, Einladungen zum Theatertreffen mit „Baal“ (2015) und „Reise ans Ende der Nacht“ (2014, beides am Münchener Residenztheater), die (mögliche) Vollendung des Dostojewski-Zyklus mit den „Brüdern Karamasow“ (Koproduktion mit den Wiener Festwochen), Gastauftritte in Stuttgart („Tschewengur“) und Hamburg („Pastor Ephraim Magnus“) und zuletzt sei sein Bayreuther „Ring“ genannt.

Castorf ist also nicht auf seine Heimspiele am Rosa-Luxemburg-Platz angewiesen, was ihn natürlich nicht davon abhält, hier immer wieder großartige Abende auf die Bühne zu bringen. Die letzte Premiere Ende Mai war „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn Moliere“, basierend auf dem Stück bzw. der Prosafassung von Michail Bulgakow. Vordergründig beschreibt Bulgakow das Leben des großen Theatermannes Moliere, u.a. seine Auseinandersetzungen mit Ludwig XIV. Diese Dinge stehen aber aber auch als Gleichnis für das Verhältnis Bulgakow – Stalin. Und Castorf packt noch weitere Ebenen hinein, vor allem Texte aus Fassbinders Film „Warnung vor einer heiligen Nutte“. So  mit ausreichend Material versorgt, schafft der Regisseur locker das Limit, das allmählich für ihn der Normalfall ist: die Dauer von 5 Stunden.

Gespielt wird im Bühnenbild von Alexandar Denič. Auf der Bühne dominiert ein großer Thespiskarren, Ludwig XIV. residiert in einem Zelt und natürlich gibt es auch wieder die reichlich genutzte Videoleinwand. Es ist diesmal kein verschachtelt-komplizierter Bühnenaufbau, der Unmengen an Requisiten nutzt und dabei viele separate Räume entstehen lässt, wie man es bei Deničs Bühnenbildern in München und Stuttgart sehen konnte. Doch wieder entstehen im Laufe des Abends beeindruckende Bilder.

Der Abend beginnt im Dunkeln, Sophie Rois spielt Bulgakow und als dann das Licht angeht, sehen wir sie im Gespräch mit Georg Friedrich, der den restlichen Abend den Sonnenkönig spielt, hier zu Beginn aber Stalin ist, wenn auch mit Goldkette und Basecap etwas ungewöhnlich gekleidet. Die Idee, nicht nur einen Text auf die Bühne zu bringen, sondern auch den dazugehörigen Autor vorzustellen, ist nicht neu und kam auch schon bei „Kaputt“ und „Tschwewengur“ vor.

Nach dem Abgang von Sophie Rois (die lange Zeit nicht wiederkehrt) beginnt der Abend des Alexander Scheer, der in erster Linie Moliere spielt, aber auch Fassbinder ist und  irgendwie auch das alter ego Castorfs. Denn natürlich lässt es sich der Regisseur nicht nehmen, in einem Stück über das Leben eines berühmten Theatermannes ab und an die eigene Vergangenheit zu zitieren. Da wird Henry Hübchen erwähnt oder darauf verwiesen, daß Castorf – so wie Moliere – an der Tragödie scheiterte, „nach nur 25 Jahren“. Bei Bulgakow gibt es eine Szene, in der Moliere 48 Jahre alt ist, Scheer ist deutlich jünger und deshalb kein Volksbühnen-Schauspieler der ersten Stunde, doch seine Entwicklung in den letzten Jahren ist bewundernswert. Neben Scheer, Rois und Friedrich beeindrucken auch die anderen Beteiligten, u.a. Lars Rudolph als Erzbischof oder Daniel Zillmann und Patrick Güldenberg als Angehörige von Molieres Theatertruppe.

Was wäre eine Castorf-Inszenierung ohne die Momente, die auch für den Zuschauer anstrengend werden. An diesem Abend sind es vielleicht die Stellen, an denen Texte aus Dramen von Corneille und Racine deklamiert werden – hier (aber natürlich nicht nur hier) dürfen die französischen Schauspieler (Jeanne Balibar und Jean-Damien Barbin) glänzen.
Man kann vermuten, dass dieser Abend ein Vorgeschmack auf die letzte Spielzeit ist, noch so manches Mal werden die großartigen Volksbühnen-Schauspieler glänzen dürfen und in den Zuschauern das wehmütige Gefühl erzeugen, dass das nun bald ein Ende haben wird, zumindest am Rosa-Luxemburg-Platz. Gunnar Decker schreibt dazu im „neuen deutschland“: Die große Castorf-Abschiedstour hat begonnen. Maßlos-strapaziös, aber auch grausam-schön.“ Dieser Einschätzung ist nichts hinzuzufügen.

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