die vorhölle der endstation – claudia bauer holt uns heim ins heim

Steril und weiß ist die letzte Station im Leben der Figuren in Katja Brunners Stück Geister sind auch nur Menschen. Eine große Rotunde steht auf der Bühne der Leipziger Diskothek. Ein Endzeit-Karussell, auf dem die fünf Altersheiminsassen ihre allerletzten Runden drehen. Später wird es mal rot, mal blau, mal grün eingefärbt. HEIMelig ist es nie.

geister sind auch nur menschen © Rolf Arnold
Unterm Pastellröckchen lauert der Verfall © Rolf Arnold

Wie nah der Zustand der entmündigten, zusammengesperrten Alten dem kleiner Kinder kommt, macht Claudia Bauer gleich in der ersten Szene deutlich – wie Kindergeburtstagsgäste stehen sie vor ihrem Heim – eins wie das andere unter schwarzer Perücke mit großer weißer Schleife, unterscheidbar nur durch die verschiedenfarbigen pastelligen Kleidchen. Und passend zur Kostümierung erzählen sie im Chor mit erstauntem, naivem Ton vom Alter, in das sie gefallen sind wie eine Wespe in den Honigtopf. Davon, wie lange man sich etwas vormacht. Davon, wie sich Entscheidungen auswirken, die man traf, als man mitten im Leben stand.

Kennen Sie jemanden in der Nachbarschaft? Nur jemanden?

Zur eigentlichen Geburtstagstafel mit Pfefferminztee und Kuchen hat nur Zutritt, wer sich ent-verkleidet. Einer nach dem anderen tauschen sie die Kleider gegen ziemlich famose Alte-Körper-Kostüme und lange Grauhaarteile, die den Schrecken des körperlichen Verfalls genauso illustrieren wie die große Verletzlichkeit der alten Seelen. Und nehmen Platz am Tisch des jüngsten Gerichts.

Wem gehört denn dieser Körper hier? Den hat wohl jemand liegenlassen …

Suspekt beäugen die noch Be-kleideten ihre faltigen Kameraden. Die Aggression gegen den alten Körper ist die Angst vor dem eigenen Verfall. Und natürlich trägt auch jede Figur an einer (Leidens)geschichte.

Da ist die Frau, die nur noch mittels der Unbeherrschbarkeit ihres Schließmuskels kommunizieren kann. Der Alte, der der Pferdeschwanzschwester an die Wäsche will. Jener im Rollstuhl, dem man zu oft das Bier verwehrt und zum Rauchen – was soll denn das jetzt noch schaden? – durch x Türen ins Freie schickt. Die Frau, die ihre Erinnerungen verliert – büschelweise, genau wie das Haar. Und die, die sich mit Kuchen genauso lustvoll vollstopft wie mit den anwesenden Herren.

geister sind auch nur menschen © Rolf Arnold
Geisterpartys sind besser als ihr Ruf © Rolf Arnold

Diese Karikaturenhaftigkeit der „Alten“ verhindert dabei klug bloßes Mitleid und möglichen Ekel und lässt immer wieder die Menschen hinter diesen Geistern durchscheinen – schmerzlich und ernst, witzig und skurril zugleich. Überzeugend gespielt ist das – wie Katharina Schmidt mit schrägster Lache ihren übergriffigen Opa auf Krankenschwestern gehen lässt. Oder Florian Steffens, der in einer echt zu Herzen gehenden Szene immer wieder dieselbe Stelle aus Star Wars III immer verzweifelter mitspricht …

Dich darin üben du musst loszulassen. Alle Dinge von denen du fürchtest sie zu verlieren.

… bis das ungerührte Pflegefachpersonal (Timo Fakhravar), das nachts fies die Rollatoren tieferstellt und schließlich zum blau-glitzernden, sexy Conferencier de la Mort mutiert, den Fernseher einzieht. Und vor allem: Sophie Hottinger, die „ihre“ demente Alte mit einer schrecklich schönen Ungläubigkeit und Unbehausheit über die Bühne schickt – in der stillen Angst, sich selbst schon verloren zu haben.

Wo ist denn jemand, der mich kennt?

Jeder ist allein in seiner ihrer Haut, auch wenn sie wieder und wieder versuchen mit immer denselben, mit ihren Geschichten zum anderen durchzudringen und sich zur letzten crazy Party, zum letzten Tango, zur letzten Zigarette auch tatsächlich zusammenfinden.

Ich war noch nie ein sonderlich begabtes Heimkind

Katja Brunners Text ist direkt, die Worte, der Rhythmus aber so absichtsvoll ungelenk, wie die Figuren, die ihn sprechen, während sie mit viel zu schweren Füssen über die Bühne stolpern. Und so voll Poesie und treffendem Witz und einem weiten Raum zwischen den Zeilen. Regie und Ensemble schaffen es, aus dieser schrägen Horrorshow herumgeisternder, latent ekliger Alter immer wieder liebenswerte Zerbrechlichkeit und trutzigen Lebenswillen hervorleuchten zu lassen. Menschen sind’s. Natürlich. Chapeau!

Und wir sind ab jetzt ganz besonders nett zu unseren Kindern, denn schließlich sind die es, die unser Heim aussuchen …


 » geister sind auch nur menschen
Von Katja Brunner. Regie Claudia Bauer.
Mit Andreas Dyszewski, Timo Fakhravar, Sophie Hottinger, Julia Preuß, Katharina Schmidt und Florian Steffens

Nächste Vorstellungen: 25. März und 13. / 19. und 28. April, Schauspiel Leipzig Diskothek

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