entweder bin ich irre oder leb, wo träume sind – weimar feiert die shakespearetage

In Weimar tagte die Shakespeare-Gesellschaft im gleich mehrfachen Jubiläumsjahr. Unser Autor Thomas Pannicke - selbst langjähriges Mitglied des Vereins, der sich gerade Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh zum Ehrenpräsidenten bestellte - war dabei und hat unter anderem eine inspirierende Was ihr wollt Inzenierung im Nationaltheater gesehen.

Alljährlich im April tagt die Deutsche Shakespeare-Gesellschaft. In Weimar gab es in diesem Jahr gleich zwei Gründe zum Feiern: den 450. Geburtstag des Dichters und das 150jährige Bestehen der Gesellschaft. 1864 war die Gründung der Gesellschaft von einer Aufführung der acht Historiendramen über die Rosenkriege begleitet. Als Reminiszenz gastierte nun 150 Jahre später die Bremer Shakespeare Company  mit einer Kurzfassung von sieben Historiendramen an einem Abend.  Neben diesem Gastspiel präsentierte das Deutsche Nationaltheater Weimar einen Shakespeare – den ersten unter der Intendanz von Hasko Weber. Im Rahmen der Shakespeare-Tage gab es die Premiere von Was ihr wollt. Regie führte Alice Buddeberg – eine junge Regisseurin, die aber schon Erfahrung mit Shakespeare hat.

Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg
Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg

Die grundlegende Idee der Inszenierung war das Streichen der Rolle des Sebastian. Im Shakespeare-Text ist Sebastian als Bruder Violas derjenige, der das Happy-End ermöglicht. Viola verliebt sich in den Fürsten Orsino, während sich die von Orsino angebetete Gräfin Olivia in die als Mann verkleidete Viola verliebt. Das Auftauchen Sebastians am Ende ermöglicht erst die Pärchenbildung. Dieses nur scheinbar glückliche Ende kann es natürlich nicht geben, wenn Sebastian fehlt.
Auch die Weimarer Viola flüchtet sich in Männerkleider – aber eben in die Rolle ihres Bruders. Viola und Sebastian von einer Schauspielerin spielen zu lassen, das gab es natürlich schon, so in Roger Vontobels Bochumer Fassung.  Hier aber gibt es nur noch Viola, die sich so weit in die Rolle Sebastians flüchtet, dass sie am Ende wohl selbst nicht mehr weiß, wer sie nun eigentlich ist.

Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg
Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg

Deutlich wird Violas Fremdheit in Illyrien schon durch die Maske – alle Illyrer sind weiß geschminkt. Und zwei Sätze sind es, die für die Regisseurin die Grundlage für das Verständnis der Rolle Violas sind: „Entweder bin ich irre oder leb, wo Träume sind.“ und  „Ach ich bin alle Schwestern, alle Brüder, die ich hab.“ Die Besonderheit oder sagen wir ruhig Verrücktheit des Traumlands Illyrien wirkt letztlich auch auf Viola, die unvermittelt in diese fremde Welt geworfen wird. Um sich zu schützen, flüchtet sie in die Rolle ihres Bruders und endet als gespaltene Persönlichkeit. Die auf sich selbst fixierten Bewohner Illyriens, die zwar vorgeben zu lieben, den Partner aber nur zur Verwirklichung ihrer Eigenliebe brauchen, können ihr nicht helfen. In der Schlussszene setzt sich Viola das Messer an die Brust – schneidet sie sich förmlich ihr Herz heraus?

Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg
Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg

Eine gelungene Shakespeare-Komödie zeichnet sich wohl dadurch aus, dass sie Komik und Tragik vereint. Vom tragischen Ende war gerade die Rede, die Komik kommt aber nicht zu kurz – und dass, obwohl auch die Rolle des Narren gestrichen ist. Mit wie viel Spielfreude aber die restlichen Figuren – Toby Rülp, Andrew Leichenwang, Malvolio und Maria – agieren,  ist überaus sehenswert. So wirkt Tobias Schormann als Maria in Frauenkleidern sehr androgyn, Sir Toby darf auf einem Kinderfahrrad allerhand Slapstick produzieren und die Szene, in der Malvolio den fingierten Brief findet ist, sowieso ein Fest für jeden Schauspieler. Interessant ist das Bühnenbild, das den Rang des Weimarer Theaters in Sperrholz nachbildet und damit das Geschehen auf der Bühne auch formal zum Spiegel der Wirklichkeit werden lässt.

Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg
Was ihr wollt. Nationaltheater Weimar. © Kerstin Schomburg

Eine „Was ihr wollt“-Inszenierung also, der es gelingt, neue Sichtweisen auf das schon so oft gesehene Stück zu eröffnen. Nur so ist es möglich, dass Shakespeare auch für die heutige Zeit aktuell und wichtig bleibt. Sich für Letzteres einzusetzen sollte eigentlich Anliegen der Shakespeare-Gesellschaft sein. Aber natürlich gab es – wie zumeist – heftige Debatten über die Inszenierung. Die „Shakespeare-Puristen“ kritisieren gern jeden Eingriff und jede Kürzung. Vielleicht sollten sie mit dem Textbuch in der Hand zu Hause bleiben und das Theater denen überlassen, die bereit sind, Shakespeare immer wieder neu zu entdecken und sich auf unterschiedlichste Regiehandschriften einzulassen. Wie lähmend die sogenannte Werktreue sein kann, weiß man in Leipzig zur Genüge.


» William Shakespeare – Was ihr wollt
Regie: Alice Buddeberg. Nationaltheater Weimar.
Nächste Vorstellungen: 10., 24. und 30. Mai, jeweils 19:30 Uhr und am 15. Juni um 16 Uhr.

 

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