Splendid's | Schauspiel Leipzig

es ist die letzte nacht, die sie haben …

Genets Stück setzt ein, wenn das Ding eigentlich schon gelaufen ist. Die Geisel tot, Lösegeld nicht in Sicht und die Polizei kurz davor, das Luxushotel zu stürmen, in dem sich die Bande La Rafale verschanzt hat. Es bleibt nicht mehr viel Zeit und schon gar kein Ausweg für die sieben Ganoven, es bleibt nur die Hoffnung auf ein wenig Ruhm, auf dass die "Bourgeois" am nächsten Tage beim Petit Dejeuner mit leisem Schaudern die Schlagzeilen über die Wahnsinnstat der Gangster lesen mögen.

Gespiegelt, gebrochen, verdoppelt - Live Video in Splendid's © Rolf Arnold
Gespiegelt, gebrochen, verdoppelt – Live Video in Splendid’s © Rolf Arnold

In Claudia Bauers Inszenierung legen die Herren erst einmal reichlich Unterwelt-Charme an – weiße Hemden, Schminke, Lackschuhe und: Handfeuerwaffen – dann steigen sie ein ins Grand Hotel, in dem die Millionenprinzessin auf ihre Kidnapper wartet. Bzw. in den LKW-Containergroßen Sperrholzkasten, mit dem Andreas Auerbach die Hinterbühne ausfüllt und den er ganz nah an die ersten Zuschauerreihen heranreichen lässt.

Als wunderbar überzeichneter Stummfilm wird alsdann auf die Außenwand projiziert, was im Plüsch und Goldrahmen-Ambiente des Hotelzimmers an „Heldentaten“ passiert. Zwischen Heldenpose und Feigheit, Gewalt und Misstrauen, Brutalität und Homoerotik entwickelt sich unter vollem Einsatz von Licht (Veit Gries) und Video (Kai Schadeberg), Nebel, Musik und rotierender Drehbühne ein abgefahrener Trip. Fenster und Türen, Spiegel und die schauspielergeführte Kamera durchbrechen den abgeschlossenen Raum, spiegeln, doppeln, vergrößern oder brechen den Blick und gewähren immer neue Ein-Sichten auf Bravo, Riton, Jean, Bob und den Rest der Bande, die sich ganz schnell als Zweckgemeinschaft entpuppt und sich in dem Maße selbst zu zerfleischen beginnt, in dem allen klar wird, dass aus dieser Kiste keiner heil rauskommt. Und nun? Sich ergeben oder Showdown bis zur letzten Kugel?

Die überzeugende Ästhetik hält die Inszenierung bis zum großen Finale. Und dass der Spannungsbogen nach dem klasse Ein-Stieg dann doch ab und an arg durchhängt, liegt ganz sicher nicht an den splendid & sexy Schauspielern – allen voran Sebastian Tessenow, Andreas Keller, Mathis Reinhardt und Dirk Lange – die sich genauso diabolisch wie komisch in Heldenposen schmeißen, einander an die Gurgel gehen und ans Messer liefern oder sich vor Angst winselnd am Boden winden.

Ich habe nie gespielt.

Das Stück hat Genet 1948 geschrieben und dann selbst wieder verworfen. Es wurde erst in den 1980ern wiederentdeckt und schon bei der Uraufführung 1994 an der Schaubühne murrte ein Kritiker, dass es wohl besser unentdeckt geblieben wäre. Zu dünn streckenweise das Her-und Hin der Banden-Handlung, dem die Leipziger Regie außer der reizvollen und trefflich eingefangenen Atmosphäre nicht allzuviel hinzuzusetzen weiß, was den Abend an Fallhöhe, an Relevanz gewinnen ließe. Die schönen Bilder laufen sich leer, der opulente Video-Einsatz fängt beinah an zu nerven – bis …

… ja, bis dann im letzten Drittel die ganze verfahrene Kiste endlich birst, der ehemalige Bandenchef bitterböse-perfide zum Geisel-Double gemacht wird und – in einer großartigen Szene – neben den harten Kerls mit weichem Kerne auch der Tod den letzten Tango tanzt und die Story vollends ins Surreale kippt.
Wunderbar! Kritikerin versöhnt. Mädchenabend mit Kultpotential auf der Hinterbühne ;)!


» Splendid’s  – Heute Abend 19:3o Uhr. Und dann wieder am 15. und 29. Mai und am 7. Juni 2015.

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