from outer space oder nach dem start ist vor dem start

Baldrian mag uns als Beruhigungsmittel dienen, für Katzen indess hat er anregende Wirkung. Und obwohl keine Katze mitspielt, ist Wolfgang Krause-Zwiebacks neue Produktion Leben auf der Baldrianrakete, die am Donnerstag Leipzig-Premiere feierte, eindeutig sehr (fantasie)anregend und keinesfalls einschläfernd.

Dafür sorgen der Meister als Captain Pitch Cock und seine Crew bestehend aus Gundolf Nandico als Ein-Mann-Orchester und DJ, einer Sopranistin, einer Tänzerin, einem Multitalent, einigen Puppen und dem eine Oper-braucht-einen-Star-Special-Guest Corinna Harfouch.

Die Kostüme kommen – ganz in weiß – als bezaubernde Mischung aus Raumanzug, Tanzdress, Fantasiegewand und Abendgarderobe daher. Wobei die Fräcke der Herren auch entfernt an Maikäfer erinnern und so insektenmäßig gut zum Raumschiff passen, das als leicht verzweigter Laufsteg in die Schaubühne gebaut ist und sich mit nach und nach angesteckten, schwingenden, langen Stangen fühlergleich in fremde Welten tastet.

Beziehungsweise in die eigene. Denn mehr als um die Reise selbst dreht sich diese Weltraum – Entschuldigung: Well Traum – Oper um das Leben auf dem Schiff während des Wartens auf den Start.  Traumhaft ertanzen sich die Besatzungsmitglieder ihren Platz an Bord, Jana Reiners toller Sopran sucht seltsam-wundersame Töne und Gundolf Nandico steuert zu jedem neuen Countdown wahlweise sphärische Klänge, Trompetensoli oder hämmernde B-B-Beats bei.

Klingt ein bißchen abgehoben? Immer schön im Thema bleiben. Geerdet wird das Ganze durch Krause-Zwiebacks assoziativ-witzige Texte und – last but not least – durch die großartige Corinna Harfouch, die als Diva Marlene nach einem überflüssig-kabartettistischem Telefonat mit Obama spektakulär onboarded und sich dann nicht recht entscheiden kann, ob es endlich los gehen soll oder ob’s daheim nicht auch ganz schön ist; die Gottfried Benn zitiert, nach den Zutaten für Buletten ala Muttern verlangt, und singt …

Einen sehr schönen Gottfried Benn im Übrigen, vom Vergehen der Zeit und der Vergänglichkeit der Schönheit:

Wenn erst die Rosen verinnen
aus Vasen oder vom Strauch
und ihr Entblättern beginnen,
fallen die Tränen auch

Traum von der Stunde Dauer,
Wechsel und Wiederbeginn,
Traum – vor der Tiefe der Trauer:
blättern die Rosen hin

Im letzten Oktober schon hatte das Stück in der Kunsthalle Bonn Premiere, die mit der Schaubühne Lindenfels koproduzierte. Der Bonner Generalanzeiger war damals enttäuscht über zu wenig Oper und zu wenig Pointe – dabei liegt die Stärke des Abends gerade darin, dass er so schön in der Schwebe hält, was er eigentlich sein will und sein Publikum damit ohne abzuheben auf eine inspirierende Flughöhe bringt. Geerdete Poesie mit viel Witz und Esprit … Sehenswert!


» Leben auf der Baldrianrakete
Schaubühne Lindenfels, noch einmal heute (14. Februar) und vom 19. bis 21.2., jeweils 20 Uhr

Bei MDR figaro ist ein amüsantes » Gespräch mit Krause-Zwieback und Corinna Harfouch zu hören: über Katzen, George Lucas, das Alter und die Paar-Arbeit an der Rakete.

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