geächtet: sascha hawemann lässt in hannover die rassismen an-tanzen

Do you remember, the 21st night of September? singen Earth, Wind & Fire am Ende und Jonas Steglich alias Abe alias Hussein tanzt dazu in 70er-Schlaghose und mit dickem Afro-Bob durch das ehemals stylische, jetzt ziemlich kaputte Upper-Eastside-Appartement. Der Sascha-Hawemann-geschulte Zuschauer reibt sich nach 90 furiosen Theaterminuten ein wenig verwundert die Augen: Wo sonst verlorene Seelen durch aus der Zeit gefallene Hotels irren oder sich die Illusionen an den Endstationen dieser Welt treffen, rückt der Regisseur Ayad Akthars Erfolgsstück mit so klugem wie böse-doppelbödigem Trash zu Leibe.

Geächtet, getanzt © Karl-Bernd Karwasz
Kaputtgetanzt. Hagen Oechel und Jonas Steglich in „Geächtet“  © Karl-Bernd Karwasz

Und das ist auch genau die richtige Waffe bei diesem gerade oft gespieltem Text der Marke Dinnerparty-eskaliert-und-die-Teilnehmer-entlarven-sich-selbst, in dem sich alle zu gut an den 11th of september erinnern.

Da wäre Amir, erfolgreicher New Yorker Anwalt mit pakistanischen Wurzeln. Einer, ders geschafft hat, der den Muslim in sich abgelegt hat und sich für absolut integiert hält. Dafür aber ein bisschen zu oft Hasstiraden gegen den Islam hält. Seinen Neffen Abe, der eigentlich Hussein heißt und den Onkel zu überreden versucht, einem radikalen Iman zu helfen. Dann Emily, Amirs Frau, weiß, die als Malerin ausgerechnet eine Vorliebe für islamische Kunst entwickelt. Dazu dass Paar Isaac und Jory: Er jüdischer Galerist, der sich für Ems Bilder interessieren soll, sie schwarze Anwaltskollegin, die Amir schlussendlich beim Rennen um die Kanzleipartnerschaft aussticht.

Akthar sperrt dieses explosive Gemisch in ein hippes Designer-Appartement zu einem Dinner aus gegenseitigen Abhängigkeiten, hohen Erwartungen, tiefer Selbstverleugnung, gewürzt mit bei Bedarf sofort abrufbaren Vorurteilen und lässt die gepflegte Party noch vor dem Hauptgang eskalieren. So weit, so böse, so amüsant, meist aber eben auch so erwartbar wie die Anchovis im Fenchelsalat.

Geächtet, getanzt © Karl-Bernd Karwasz
It’s Showtime. Geächtet © Karl-Bernd Karwasz

Jude, Muslim, schwarz, weiss? It’s Showtime, honey!

Warum verlassen wir so schnell und gern die gemeinsame Verabredung: Mensch und machen Zuschreibungen wie Hautfarbe und Religion zur Waffe im Selbstbehauptungskampf? Und war das vor 9/11 anders? Dass scheint Regisseur Sascha Hawemann eher nicht zu glauben, denn er versetzt die unterkühlte 2000-und-Dinnerparty mal eben fröhlich back to the 70th. Im Diskobeat lässt er die Figuren antanzen und unterläuft dabei so ziemlich alle Vorgaben des Autors: Alle Spieler sind hier weiß, Johanna Bantzers Jory trägt einen blonden Afro, und wird per verlesener Regieanweisung ein blütenweißes Hemd angekündigt, trägt Amir garantiert ein schwarzes.

Alexander Wolf hat hinter das Upper-Eastside-Appartement im vorderen Bühnenteil einen zweiten Raum gesetzt: Eine Art Underworld mit rohen Betonwänden, die an einen abgefuckten Kellerclub erinnert. Dort haben dicke, weiße Männer in Nackt-Fatsuits mit bammelnden Pimmeln das Antanzen übernommen. Und Schlimmeres: Zu That’s the way aha aha I like it wird so lockerleicht wie bitterböse eine verstörende Vergewaltigungs-Pantomime performt, hernach zerstören sie popcornschmatzend Popkultur in Form von Warhols Tomatensuppendose und verteilen übergroße, Religions- und Ethnienzugehörigkeit illustrierende Puppenköpfe, in denen am Ende alle feststecken.

Was hier hinten unterschwellig dräut, bricht sich vorn im Geplänkel zwischen Babyartischocken und Die Sauce ist so geil!-Kommentaren zunächst noch verbal Bahn. Doch der Weg vom süffisanten Du isst doch Schwein? zu Du verfickter Drecksdschihadist! ist so kurz wie die Koteletten der Herren lang. Immer auf Highspeed spielt Hawemann furios mit der Fassade und dem dahinter, mit Zuschreibung und Vorurteil, mit Selbst- und Fremdbild; treibt die Allzueindeutigkeiten des Textes auf neue Spitzen und weiß dabei nicht zuletzt ganz famos zu unterhalten.

Geächtet © Karl-Bernd Karwasz
Geächtet © Karl-Bernd Karwasz

Was selbstredend an seinem famosen Ensemble liegt! Henning Hartman, Johanna Bantzer, Sarah Franke und Jonas Steglich nehmen die Einladung zur Überzeichnung sehr sehr sehr gerne an und machen aus Akthars etwas laborhaften Setting eine so trashige wie fies-komische Sitcom. Das energetische Epizentrum des Abends aber ist Honey Hagen Oechel. Der ist mit seinem Amir in jeder Sekunde auf Hundert – zwischen Abgeklärtheit und unbedingtem Anpassungswillen, Dann-bin-ich-halt-der-für-den-ihr-mich-eh-haltet-Trotz und Lust an der Provokation, zwischen Alles haben und Alles verlieren.

Immer mehr greift freilich das rabiate „Hinten“ ins gediegene „Vorn“. Schwappt die dunkle Parallelwelt ins unschuldig weiße (huch!) Appartement. Fröhlich tanzen die überwunden geglaubten Rassismen und die latente Gewalt munter ins ach so weltoffene Establishment. Am Ende werden sie uns ganz physisch von einem kräftigen Wind direkt ins Gesicht geblasen. Hui!


» Geächtet von Ayad Akhtar
Regie Sascha Hawemann. Bühne Alexander Wolf. Kostüme Ines Burisch. Dramaturgie Johannes Kirsten. Mit Jonas Steglich, Hagen Oechel, Henning Hartmann, Johanna Bantzer und Sarah Franke

Next shows: 21. Dezember und 7./16. und 30. Januar 2018

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