gefangen in der aufziehpuppenstubenhölle – „drei sind wir“ in der diskothek

Wolfram Höll hat ein neues Gedicht fürs Theater geschrieben. Eine Ballade über ein Kind, das im Leben seiner Eltern schon eine Leerstelle ist, bevor es überhaupt auf die Welt kommt, weil eine seltene Form von Trisomie nicht einmal auf ein ganzes Jahr Leben hoffen lässt. Trotzdem geht man zu dritt nach Kanada, mietet ein Haus, sieht dem Nachwuchs beim Wachsen und später beim Nicht-Mehr-Wachsen zu, bekommt Besuch von Eltern, Bruder, Großmutter. Zeitliche Struktur gibt der kanadische Freund? Makler? an dessen Anrufen man das Vorüberziehen der Jahreszeiten und somit das unaufhaltsame Verrinnen der Zeit hin zum prognostizierten Ende festmachen kann.

doch wir sind drei
wir sind drei

Weiter gefasst ist es ein eigenwilliges, in Höll’scher Manier mit Sprache spielendes Stück über das Dasein, das Werden, das sein eigenes Verschwinden immer schon in sich trägt. Vielleicht auch ein Text über die Möglichkeit, das Schicksal anzunehmen. Oder die Unmöglichkeit?

Vier sind's nicht drei. Ist somit auch hier "eins zuviel" © Rolf Arnold
Vier sind’s nicht drei. Ist somit auch hier „eins zuviel“? © Rolf Arnold

Thirza Bruncken hat sich für ihre Uraufführung am Samstag am Schauspiel Leipzig für Letzteres entschieden und Hölls poetischen, eigentlich Assoziationsräume öffnenden Text zusammen mit wir sind drei plus eins = vier Schauspielern in die klaustrophobische Enge eines kahlen 70er Jahre Plattenbauzimmers gesperrt.

Hier ist sogar das einzige Fenster nur ein Spiegel. Die Decke droht auf die Köpfe zu fallen und die Figuren stellen über knapp anderthalb Stunden sehr wirkungsvoll-beklemmend ihre absolute Handlungs- und Lebensunfähigkeit aus. Das ist bisweilen in der vervierfachten, mechanischen Gestik echt quälend – Man kommt diesem Abend aber nicht so recht darauf, wo es denn nun eigentlich genau schmerzt und schon gar nicht, warum.

csm_drei_sind_wir_08_44c0d9e8f2

So wird die Tür ab und an geöffnet, selten zwar und auch dann nur einen Spalt, aber keiner geht hinaus. Warum? Dort kann es doch unmöglich schlimmer sein als hier drinnen. Wo man es sich nicht häuslich macht, sich nicht einrichtet (im neuen Heim à vendre). So, wie auch für das Kind das Sich-Einrichten im Leben nicht lohnt, oder vielmehr: für die Eltern nicht das im Elternsein. Denn die sind hier die eigentlich Lebensunfähigen.

wir sind
eins
zuviel eins

Diffusive Störgeräusche, permanentes Rauschen im Äther – Die Sätze scheinen sich dem Verstandenwerden entziehen zu wollen – manches Zentrale scheint auch weggelassen oder ist im Soundteppich untergegangen. Die Worte durchzucken die Schauspielerkörper wie Salven, die meist sparsamen Bewegungen sind die von Aufziehpuppen.

Die Beklemmung wird derart greifbar, dass Publikum und Schauspieler froh scheinen über die eingestreuten musikalischen Unterbrechungen, die vielleicht ein Stück life’s going on oder wir machen das Beste draus behaupten wollen, selbiges aber in ihrer ganzen Choreografie nur deutlicher ad absurdum führen.

Keine befreiende Bewegung nirgends. © Rolf Arnold
Keine befreiende Bewegung nirgends. © Rolf Arnold

Einen Hauch von I’ve got to break free oder da ist doch noch etwas! findet man aber dann doch noch und zwar im eindrücklichen Spiel von Bettina Schmidt und Sebastian Tessenow. Sie, Tanzschritte andeutend und immer wieder mit so anrührenden Gesten der Hilflosigkeit, er mit unterdrücktem, eben noch spürbarem Lebenswillen, echter Not und einer unterschwelligen Kraft, dass die beiden sich nicht so recht einfügen wollen in die Aufziehmenschen-Programmatik der Inszenierung. Auf dass es doch ein bisschen menscht hier.

zuviel
sind wir nicht

Hölls Worte sind gern sperrig und ein wenig kryptisch und nicht immer leicht zu verstehen: Wenn wohl auch kein Geniestreich wie Und dann, verwehrt sich Drei sind wir aber doch der Eindeutigkeit, die Bruncken hier anlegt. Letztere lässt uns allerdings in ihrer Konsequenz eines Theaters der Kälte und Grausamkeit (das meinen wir mehr wörtlich als theaterhistorisch) noch lange darüber nachdenken, was wir da eigentlich gesehen haben. Und vielleicht hätten sehen können. Und darüber, was das Kind wohl zu diesem Erwachsenen gesagt hätte.

Insofern also am Ende eindeutig: selber sehen gehen!


» Drei sind wir
UA. Von Wolfram Höll. Regie: Thirza Bruncken. Mit: Bettina Schmidt, Anna Keil, Julius Bornmann und Sebastian Tessenow
Nächste Vorstellungen: 2. und 12. März, jeweils 20 Uhr, Diskothek

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert