Glaube, Liebe, Hoffnung | Deutsches Theater Berlin

kommen’s, hier zieht es so grausam

Jürgen Kruse ist zurück und inszeniert in der Kammer des Deutschen Theaters einen Totentanz nach der Sperrstunde - irgendwo zwischen vorletztem und letztem Ort und mit allem Horvathschen Kleine-Menschen-Elend. Bsiweilen gerät das ein wenig zu unentschlossen und routiniert, in den besten Szenen aber ist es von theatermagischer Kraft. In der Mitte des düsteren Reigens dreht sich Linda Pöppels trotz besseren Wissens liebende, glaubende und hoffende und dabei ganz und gar betörende Elisabeth.

Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair
Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair

Als das Kind Kind war,
wusste es nicht, daß es Kind war,
alles war ihm beseelt,
und alle Seelen waren eins.
Peter Handke, Lied vom Kindsein

Ein Horvath, ja gerade dieser Horvath, scheint wie gemacht für den Regisseur der verlorenen Seelen, der seine Figuren so reich und widersprüchlich, so klar und gleichzeitig schemenhaft über seine ebenso überreichen Bühnen irrlichtern lässt. In Glaube, Liebe, Hoffnung verliert die Miederwarenverkäuferin Elisabeth im Teufelskreis der Paragraphen-Schikane zuerst ihre (juristische) Unschuld und gerät dann ausweglos auf die schiefe Bahn. Das Problem: Ohne Gewerbeschein darf man nicht arbeiten, aber ohne Arbeit gibt es kein Geld und ohne Geld kriegt man den Schein nicht. Aus Verzweiflung will sie ihren Leichnam noch zu Lebzeiten an die Forschung verkaufen, leiht sich stattdessen Geld, bezahlt aber damit erstmal eine alte Schuld, wird ertappt etc. pp. Mit dem Glauben geht sich das schon mal nicht aus, dazu schreit die unbarmherzige Welt noch Betrug! und Anzeige! und auch die Liebe in Gestalt des Schupo-Machos Alfons Klostermeyer erweist sich als allzu kurzes Traumgespinst.

Dabei richten Kruse und Ensemble hier natürlich kein sozialkritisches Drama an. Stattdessen bevölkern allerlei zwielichtige Nachtgestalten das Halbdunkel der Bühne und hauen patent-überdrehte Kasperletheater-Typen – allen voran Natali Seelig als Der Baron mit dem Trauerflor – an der Rampe prächtig auf den Putz. (Alb)traumwesen sind das allesamt, die ihre Widersprüche und Ungereimtheiten pflegen und ihre Spieler die gekonnte Distanz. Da fallen den Sprechenden mit den Worten die Zähne aus dem Mund und das eben noch so lebensnotwendige Geld lässt man, mal achtlos, mal aufreizend, immer wieder einfach aus der Tasche fallen. Und auch die Sprache wird einmal mehr lustvoll gegen den Strich gebürstet und darauf abgeklopft, was denn noch so drin steckt in den gewohnten Worten. Das ist manchmal albern und wenig erkenntnisreich, oft aber verfangen sich die kleinen verbalen Widerhaken im Zuschauerkopf eben doch und führen plötzlich irgendwo ganz anders hin. Freude macht das Hinterherhorchen allemal.

Krieg! … Ich noch ein Küsschen!?

Zwischen Wohlfahrtsamt zur Linken, dessen Tür sich nur selten öffnet, und Anatomischen Institut zur Rechten werfen sich die Spieler ihre Sätze zu, wird gestritten und geliebt, gelogen und gehofft. Der Raum dazwischen ist für Kruse-Kenner tatsächlich recht überschaubar. Dafür befindet er sich ständig im Umbau. Eine Litfasssäule, die für die Körperwelten-Ausstellung (sic!) wirbt, markiert das Draussen, Bett, Schrank und Tisch das drinnen, vorn hängen Damentrikotagen auf Leinen, auch Mobiles und eine Weltkugel fehlen nicht. Von dem Bühnenwänden grüßen derweil die Skelette derer, die es schon hinter sich haben und irgendwann fällt der Herr Jesus persönlich am Kreuz kopfüber aus dem Bühnenhimmel.

Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair
Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair

Eigentlich also alles da und dennoch erreicht dieser Abend nicht ganz die Dichte anderer Kruse-Arbeiten. Woran es liegt, ist schwer zu sagen. Vielleicht an einer gewissen Unentschlossenheit beim Zusammenfügen der einzelnen Teile zum großen Ganzen? Oder weil sich das Auge nicht tief genug im Bühnenirrgarten verlaufen kann? Die doppelten Böden nicht weit genug tragen? Weil die Spieler, die, das sei deutlich gesagt, allesamt zu überzeugen wissen, doch zu selten den Balanceakt auf dem Hochseil wagen, aufs Ganze gehen, unverfroren alles auf eine Karte setzen?

Das ist ein guter schlechter Mensch.

In den Szenen, die im Gedächtnis haften bleiben, passiert genau das. Linda Pöppel, die auf die männlich-gönnerhafte Frage Wie heißen’s denn mit dem Vornamen? in einem wunderbaren Ich-bin-alle-Frauen-Rollen-Figuren-Monolog mit Jesus bis Madonna, mit Hedda bis Richard Drei antwortet. Ihr beinahe hingehauchtes und doch überdeutliches Jaja, das diese ganze Figur spüren lässt zwischen weher Resignation und einem so warmherzigen, liebevoll-verstehenden Blick auf die Welt. Manuel Harder, der seinen Alfons am Ende so derart präsent, innerlich zerrissen bei äußerster äußerer Unbewegtheit Nichts tun, Liebste und Liebe verleugnen lässt. Und beide zusammen, die voller Wucht und Lust und Verzweiflung und Gewalt das Liebespaar geben – ein herrlich zwiespältiger Bühnenmoment, der überhell und heil und dabei so zerbrechlich wie brachial aus dem ganzen Dunkel strahlt.

Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair
Glaube, Liebe, Hoffnung © Arno Declair

She comes in colors ev’rywhere
She combs her hair
She’s like a rainbow
Coming, colors in the air
The Rolling Stones, She’s a Rainbow

Und so hat man sich doch wieder sehr gern hineinziehen lassen ins wundersame Kruseversum, auf das man sich einlassen muss, für das man alle Sinne braucht (hat es nicht gerade wieder nach Orangen gerochen?) und aus dem man sich immer irgendetwas mitnimmt: ein wages Gefühl, ein leises Lächeln, einen neuen Kalauer, einen traurigen Gedanken, ein lang nicht gehörtes Lied und – im besten Falle – eine neues Wundsein an der Welt.


» Glaube, Liebe, Hoffnung
Von Ödön von Horvath. Co-Regie Jürgen Kruse. Bühne Bernd Damovsky. Kostüme Sophie Leypold. Licht Thomas Langguth. Dramaturgie Juliane Koepp und Franziska Trinkaus. Mit Linda Pöppel, Manuel Harder, Caner Sunar, Jürgen Huth, Bernd Stempel, Natali Seelig, Alexandra Finder, Frank Büttner, Christian Hankammer, Julia Boxheimer, Sarah Lauks, Nina Philipp und Johann Otten.

Wieder am: 29. Januar und 18. Februar 2020, Deutsches Theater Berlin

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