Lear/Die Politiker | Sebastian Hartmann, DT Berlin

halt den mund, gott! hartmann mit lear und lotz am deutschen theater

Die Bühne des Deutschen Theaters ist in ein alles gleichmachendes, die Konturen weichzeichnendes Weiß getaucht. In der Mitte steht, wie die sprichwörtliche, quichot'sche Mühle ein übergroßes Windrad. Allein, die Flügel, die hier aus Leuchtröhren bestehen, drehen sich nicht einmal mehr. Der Kampf ist verloren, bevor er überhaupt anfängt und Lears Königreich ein Geisterreich der Untoten. Oder zumindest die Palliativstation der alten Herrscher.

Lear / Poltiker © Arno Declair
Lear / Poltiker © Arno Declair

All that we see or seem.
Is but a dream within a dream

Sinnbildlich passt dieses Verwaschene ganz gut zu diesem Abend, der nicht viel vom Lear übrig lässt und sich dafür an allen Vätern – und damit durchaus auch am Vater unser – abarbeitet. Und an der Welt, die jene uns hinterließen. Denn dieser kluge und sehr aktuelle Ansatz verschwimmt, verfranst leider immer wieder, wie die Konturen der Spieler im nebligen, weißen Raum.

Ein bisschen Lear gibt es zu Beginn, das Setting gewissermaßen, aller Übel Anfang – nämlich die Eingangsszene, in der der König zwecks Aufteilung des Erbes den Liebesbeweis von seinen Töchtern fordert und die Jüngste, die sich dem verweigert, verstößt. Hier spricht Linda Pöppel alle Rollen ganz allein. Trotzig, mit leisen Brüchen, mal ein wenig schnoddrig und trocken und mit feinen Nuancen erweckt sie die Shakespear’sche Familien- und Generationen-Aufstellung kurz zum Leben.

Die beiden Könige (Michael Gerber und Markwart Müller-Elmau), bzw. Lear und Gloucester, je nach Betrachtungsweise, sind dem Siechtum anheimgegeben, in fahrbare Krankenhausbetten verfrachtet und zur Sprachlosigkeit verdammt. Unfreiwillig, denn sie wollen noch etwas sagen, würgen statt Worten aber meist nur unverständliche Laute heraus. Sie werden mal herumgeschoben wie im Wege stehendes Mobiliar, mal hingebungsvoll erwürgt, mal gestreichelt, mal aus dem Bett gestoßen, mal bei der Hand genommen.

Lear / Poltiker © Arno Declair
Das Macht der alten weißen Männer © Arno Declair

All that we see … Ansonsten bleibt von Shakespeares Königsdrama nicht viel: vom Narren die Schuhe an Peter René Lüdickes Füßen; vom Streit der Söhne Gloucesters einige beiläufige Fechtszenen im Hintergrund; vom irren Tom bei Manuel Harder eine zugleich schutzlose und freimachende Nacktheit. Letzterem gelingen in seiner monologischen Vaterbefragung starke, sehr intime, traurigschöne Momente. Birgit Unterweger hingegen scheint an diesem Abend nicht nur im Wortsinn gegen die Wände der Bühne, sondern auch gegen jene unsichtbaren der Inszenierung anzurennen. Wie gewohnt sehr körperlich und kraftvoll ist ihr Spiel, in seiner oft wortlosen Körperlichkeit aber wirkt es in diesem Bühnensetting immer wieder verloren, die Spielerin alleingelassen. Natali Seelig behauptet sich mit allerlei Texten von Gaddafi bis Greta Thunberg und Peter René Lüdicke darf in einer kurzen Szene wunderbar und zutiefst kindlich ein Stück Holz bestaunen, bevor selbiges von Sohn zu Vater statt von Vater zu Sohn weitergegeben wird.

Der Spieler hat sich in seinem Spiel gefangen.

Da sind Szenen die aufgehen, Momente, die funktionieren. Aber viele der – an jedem Abend wieder neu zu kombinierenden – Versatzstücke aber wollen nicht so recht ineinander greifen, die Figuren kommen einander nicht wirklich nahe. Vieles bleibt Behauptung und zu viel hat man einfach schon zu oft gesehen. Es laufen (bei den Lichtverhältnissen allerdings nur leidlich erkennbare) Videos von allerlei Katastrophen, einzelne Worte werden ausgespuckt. Wenn Frauen über die Bühne rennen, auf derselben verzweifeln, verstörend Sylvia Plath vortragen oder was auch immer, haben sie bittschön schön zu sein, hochhackige Schuhe und sexy Kleider zu tragen bzw. auszuziehen. (Und das geht nicht an die Spielerinnen und nur eingeschränkt ans Kostüm, sondern meint einen spezifischen und schon sehr männlichen Regie-Blick auf die Frauenrollen im Allgemeinen). Selbst die Musik von Samuel Wies, der in Dresden in Schuld und Sühne den Abend wirklich auf betörend-sinnliche und kristallklare Art klanglich zusammenhielt, klingt hier irgendwie wie irgendwas von Apparat.

Nicht erst, nach dem die Tochter nackt auf den debilen Vater im Krankenbett klettert, fragt man sich auch, ob dieses umgekehrten Missbrauchs und des allgemeinen Zustandes der Welt: sind die Sünden der Väter nicht doch auch Ausrede sind für die (Untätigkeit der) Kinder? Oder vielmehr: Stimmt hier überhaupt die Blickrichtung? Das Zurück statt dem Nach vorn?

Ich habe keine Ahnung, was ich hier tue,
also ergeben sich Möglichkeiten

Um 180 Grad aber dreht sich der Abend, wenn die Geister nach zwei Stunden abtreten dürfen. Dann nämlich erst entert Cordelia Wege die Bühne, die nun in goldenes Licht getaucht ist, setzt sich an die Rampe und schickt Wolfram Lotz neuesten Text Die Politiker in einer sprachlichen Tour-de-Force mit überragender Virtuosität in den Saal. In atemberaubender Geschwindigkeit und allein mit der Sprache macht sie das, lässt uns die Worte um die Ohren fliegen wie Geschützfeuer und schafft es dennoch, sich dabei immer auch zu Lotz‘ Worten zu verhalten.

Lear / Poltiker © Arno Declair
Die Politiker, die Politiker, die Politiker – über alles strahlend: Cordelia Wege © Arno Declair

Ein Bewusstseinsstrom ist das, entstanden offensichtlich des Nachts am Schreibtisch, dessen Einsamkeit nur kurz vom Besuch einer Katze durchbrochen wird. Zugleich persönlich und von allgemeiner Gültigkeit, im reim-dich-oder-ich-fress-dich-Style und hochpoetisch, klug und albern, erleuchtend, banal und immer überaus unterhaltsam. Ohne Punkt und Komma fragt Lotz nach unserer eigenen Verantwortlichkeit und der von denen da oben und verwischt diese Grenzen in der nächsten Zeile gleich wieder mit Wumms und Verve. Er schweift ab, streift die eigene Biographie auf dem Weg zur gemeinsamen Geschichte, kommentiert  mit schöner (Selbst)Ironie und schafft so eine überreiche und überfordernde, herrliche Sprachkomposition.

Allein  dafür muss man eigentlich noch mal rein und vielleicht auch um zu sehen, was die Spieler aus dem aus vielen losen Verabredungen bestehenden Abend über die Zeit noch finden werden – und uns finden lassen.


» Lear nach William Shakespeare und: „Die Politiker“ von Wolfram Lotz
Regie / Bühne Sebastian Hartmann. Kostüme Adriana Braga Peretzki. Licht Rainer Casper. Live-Musik Samuel Wiese. Chorleitung Christine Groß. Dramaturgie Claus Caesar. Mit Elias Arens, Michael Gerber, Manuel Harder, Peter René Lüdicke, Markwart Müller-Elmau, Linda Pöppel, Natali Seelig, Birgit Unterweger und Cordelia Wege.

Wieder am 8.,13. 24. und 27. September 2019, Deutsches Theater Berlin

 

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