Jeder stirbt für sich allein/Die Leipziger Meuten | Schauspiel Leipzig

kalauer gegen den endsieg – petras kreuzt fallada und leipziger lokalgeschichte zum spaßigen widerstandspanorama

Das Hakenkreuz ist zum Hashtag mutiert und die Plakate - Think national! oder Rechts rules again - an den Wänden des Plattenbau-Häuserblocks, den Susanne Schuboth auf die Drehbühne gebaut hat, könnten gut und gern auch aus einer Brave New World stammen. Der Plattenbau selbst könnte wiederum auch in der DDR stehen - inklusive Stasispitzel im Hauseingang. Genauso funktionieren Kostüme und die restliche Ausstattung von Tintenfass und Silberbesteck bis Kassettenrekorder und Pferdebettwäsche - 1920er? 40er? Mitte 1980?: Sie verhindern bewusst eine eindeutige zeitliche Verortung.

© Rolf Arnold
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Das, was hier gespielt wird, ist dagegen sehr genau verortet: Eine Geschichte vom Widerstand in Deutschland Neunzehnpaarundvierzig. Oder besser: zwei Geschichten: Denn Hans Falladas letztem Roman Jeder stirbt für sich allein hat Regisseur Armin Petras die Leipziger Meuten zur Seite gestellt. Dem Berliner Arbeiterehepaar Quangel, das mittels Postkarten gegen Hitler anschreibt und dafür mit dem Leben bezahlt, jene Leipziger Jugendliche, die sich gegen Nazi-Ideologie und Gruppendruck verbünden und deshalb zum Teil drakonische Strafen verbüßen müssen.

Anders als sonst bei den sogenannten „Doppelbefragungen“ des Leipziger Schauspiels ist beides hier technisch ziemlich geschickt verzahnt. Die Jugendlichen sind Lehrlinge in Quangels Großtischlerei und Dienstmädchen beim Gerichtsrat; die Kripo fahndet hier nicht nur nach dem falladaschen Kartenschreiber – dem Klabautermann – sondern versucht zudem, der Meuten Herr zu werden. Umso mehr ist es schade, das die ebendiese Meuten meist doch nur hübsch choreographiertes Beiwerk bleiben. Weiß man nicht schon das eine oder andere über diese Kids, ist hier nicht viel zu holen. Dabei steckt gerade in dieser Geschichte so viel von persönlicher und politischer Motivation, vom Druck der Familie und des Systems, der Sehnsucht nach Freiheit und vom ganz alltäglichen Lebensgefühl in Nazideutschland. Und dazu die ganze, energetische Spielfreude des Schauspielstudios.

Den Hauptteil des dreistündigen Abends macht Falladas Roman aus, obwohl natürlich auch hier Handlungsstränge gekappt und Figuren weggelassen oder zusammengelegt wurden, was bei dem Umfang gar nicht anders möglich ist. Ob das vielleicht ein paar konsequentere Striche vertragen hätte, sei mal dahingestellt – auf jeden Fall gelingt ein recht lebhafter, naturalistischer Kosmos aus Aufsteigern und Denunzianten, Mitläufern und Sich-so-Durch-Wurschtlern, ja, und ein paar Aufrechten, die Petras geschickt in den Wohnblock-Puppenstuben ansiedelt, deren Innenleben – nichts bleibt unbeobachtet – auf zwei Monitore über der Bühne übertragen wird.

© Rolf Arnold
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Hinter den raschelnden Gardinen wird geheilhitlert, gehurt, gesoffen, gedroht, bespitzelt und denunziert, was das Zeug hält. Da werden die Quangels im zweiten Stock durch den Verlust des Sohnes vom unauffälligen Ehepaar zu Einzelkämpfern gegen ein allgegenwärtiges und scheinbar allmächtiges System. Julischka Eichels Anna kann man die ganze Tragik dieser so aussichtslosen wie notwendigen Kartenaktion allein an den Augen ablesen. Ihr Wandel von der verwaisten, verzweifelt an den volksempfangenden Kassettenrecordern des Sohnes schraubenden Mutter zur beinah fatalistischen Dissidentin ist oft nur im stummen  Video zu sehen. Aber selbst so mittelbar hat sie eine so starke Präsenz, dass die Regie davon fast schon etwas zu viel Gebrauch macht und die Gast- und Ausnahmeschauspielerin darüberhinaus nicht wirklich fordert.

Ich versterb so allein

Daneben folgt die Geschichte der Trudel, der Verlobten des gefallenen Sohnes, die Alina Heipe zwischen blindem Mut und trotziger Lebenslust fein austariert. Wir treffen kurz die Postfrau Eva Kluge (wunderbar zugleich in der und in Distanz zu ihrer Rolle mit einer (be)merkenswerten Szene: Nicole Widera) und jene der Jüdin Rosenthal (sehr anrührend und eigen: Bettina Schmidt), die mit einem Sprung aus dem Fenster tragisch endet. Etwas länger verweilen wir beim Enno Kluge: Bei Fallada ein kleiner, etwas schmieriger Hallodri und Arbeitsbummelant, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist – ist er bei Markus Lerch auch noch ein großer Einsamer, der Nähe sucht, eine tragikomische Figur, die trotz Bauernschläue und Fischelanz ins Räderwerk der Zeitläufte gerät.

Wer Deutschland liebt und Einigkeit, der trinkt auch mal ne Kleinigkeit

Darüberhinaus hat die Inszenierung dem Roman (und seinen diversen Verfilmungen) nichts wirklich Wesentliches hinzuzufügen. Vielmehr pendelt der Abend zu unentschlossen zwischen dem Ernst des psychologischen Spiels und einem wahren Kalauer- und Gagfeuerwerk hin und her. Natürlich ist Komik auch hier ein erlaubtes, wenn nicht sogar ein probates Mittel; die Kripo-Truppe von Felix Axel Preißler, Annett Sawallisch und Dirk Lange ist auch wirklich ziemlich cool, und ja, es ist von herrlich bösem Witz, wenn der Obergruppenführer das Beil schwingt und dabei lakonisch die nächste Enthauptung auf dem Tagesplan erwähnt, ehe er seinem Hasilein wieder ins Ohr säuselt (und keiner kann das besser als Andreas Keller). Andere Einfälle kommen dagegen schon ziemlich flach daher. Vor allem ist es aber das Zuviel und eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip, das ermüdend und beliebig wirkt und manchmal sogar verharmlosend.

© Rolf Arnold
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Gen Ende des ersten und vor allem im zweiten Teil gewinnt der Abend dann doch noch merklich an Dichte und Intensität und kumuliert in einer Schlüsselszene kurz vor Schluss: Via Videoscreen beobachten wir die Verhaftung Annas und während die sich halb trotzig, halb verloren in den festen Griffen der Staatsmacht windet, streicht ihr der Kommissar mit einer verstörenden Zärtlichkeit die verschwitzten Haare aus der Stirn. Eine tröstende Geste und zugleich eine von perfider Ambivalenz. Dieser Kommissar Escherisch ist schon bei Fallada eine der interessantesten, weil zwiespältigsten Figuren. In dem steckt alles drin – Täter und Opfer, Selbstbetrug und Erkenntnis, Selbstüberschätzung und kaputte Seele. Graustufen eben. Das Aushalten von Ungesagtem. Und wenn Felix Axel Preißler als eben jener Escherich aus seiner stereotypen Kripohengst-Nummer aussteigt und genau das zeigt, dann sieht man, was hier inhaltlich und spielerisch noch möglich gewesen wäre.


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Nach dem Roman von Hans Fallada, Spielfassung und Regie Armin Petras. Bühne Susanne Schuboth. Kostüme Karoline Bierner. Video Rebecca Riedel, Katharina Merten. Live-Video Judith Meister / Doreen Schuster. Musik Sebastian Vogel und Thomas Kürstner. Choreographie Denis Kuhnert. Dramaturgie Clara Probst. Licht Jörn Langkabel. Mit Julischka Eichel, Wenzel Banneyer, Andreas Keller, Felix Axel Preißler, Annett Sawallisch, Dirk Lange, Bettina Schmidt, Berndt Stübner, Markus Lerch, Alina-Katharin Heipe, Tilo Krügel, Michael Pempelforth, Tobias Amoriello, Ron Helbig, Julian Kluge, Philipp Staschull, Friedrich Steinlein, Paul Trempnau, Nicole Widera und Nina Wolf.

NEXT SHOWS: 26. Januar, sowie am 8. und 27. Februar 2019, Schauspiel Leipzig, Große Bühne

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