Die Möglichkeit einer Insel | Berliner Ensemble

keiner ist eine insel – robert borgmanns bunt-giftiger hoeullebecq am be

Eine Insel ist möglich, heißt es irgendwann im Houellebecq'schen Text. Eine Insel der Liebe in unserem vergifteten Weltenwahnsinn. Robert Borgmann und Team treten den Gegenbeweis an und machen aus dem Roman in Berlin eine popartbunte wie tiefschwarze Obduktion unserer heutigen Gesellschaft und ihrer Zukunftsträume.

Ich verlasse ohne großes Bedauern ein Leben, das mir keine große Freude bereitet hat.

In zerrissenen Sachen und sichtlich immer schwächer werden, stirbt, oder vielleicht besser: verblasst Wolfgang Michael gleich am Ende seines Eingangs-Monologs – als der xte Klon des Protagonisten Daniel aus Houellebecqs Roman-Dystopie „Die Möglichkeit einer Insel“.  Sein Nachfolgermodell, Nummer x+1, ist da schon in Produktion.

Und da sind sie auch schon, die großen Fragen, die Robert Borgmann und Team da so popart-bunt wie toxisch auf die Bühne des BEs werfen: Ist auch geklontes Leben wirkliches Leben? Und das, womit es endet, ist das dann ein Tod? Was macht das Leben eigentlich aus? Was das Glück? Gibt es die Liebe? Kann man ohne einen Sinn leben? Wie halten wir’s mit den Alten, dem Altern, also der eigenen Vergänglichkeit? Ist das Mängelwesen Mensch am Ende ein Auslaufexemplar?

Im Zentrum von Buch und Theaterabend steht der erfolgreiche Komiker und ausgewiesene Zyniker Daniel (herzzerreißend traurig-komisch und dabei liebenswert-armselig Peter Moltzen mit übergroßen Clownsschuhen im Frank-Zander-Gedächtnisoutfit), dem wir beim Scheitern seiner beiden wichtigsten Liebes-Lebens-Beziehungen zuschauen. Immer ist das Alter das Problem. Erst findet SIE (wunderbar trocken und immer mit der richtigen Fallhöhe: Constanze Becker) sich selbst zu alt für IHN (und verlässt ihn aus reiner, selbstloser Rücksichtnahme, was sich so vermutlich auch nur ein alter weißer Mann ausdenken kann), dann ist ER zu alt für seine neue, junge Freundin.

Die Möglichkeit einer Insel © JR Berliner Ensemble
Die Möglichkeit einer Insel © JR Berliner Ensemble

Parallel dazu versuchen die Klone Daniels in ferner Zukunft einen irgendwie gearteten Erkenntnisgewinn aus dessen Lebensaufzeichnungen zu ziehen, ohne dabei diesem seltsamen Wesen Mensch wirklich auf die Schliche zu kommen. Denn es fehlt der Klonerie am Ur-Menschlichen: am Gefühl, der Emotion. Und dann gibt es da noch die Geheimgesellschaft, die letztendlich – wir haben das Ende unserer Kindheit erreicht! – an nichts Geringerem arbeitet als der totalen Optimierung des Menschen.

lass mir mal fliegen, Muddi!

Zunächst aber wird nach Herzenslust gegen die Mutter Natur wird Beschwerde geführt. Denn die, das müssen auch wir immer wieder schmerzhaft feststellen, erschuf den Menschen in recht suboptimaler Ausführung. Sina Martens richtet im Verbund mit Gerrit Jansen und Peter Moltzen ein herrlich schräges Zwischenspiel vor der Szene an. Die drei gelangen so unversehens wie virtous und mit jeder Menge Meta-Text(en) von eben jener menschlichen Mängelrüge über die Diskussion von Performances und Aktionskunst mitten im Kitsch: in einer Rauminstallation namens Love.

Die Möglichkeit einer Insel © JR Berliner Ensemble
Die Möglichkeit einer Insel © JR Berliner Ensemble

Rauminstallation und Spielraum ist auch die Bühne, für die erneut auch der Regisseur Robert Borgmann verantwortlich zeichnet. Eine rosa Zimmerecke steht da, an deren Zimmerwand – wie als Kronzeuge des Artenschutzes – ein übergroßer Plüschpanda hockt, den Moltzen später nach Herzenslust malträtieren darf. Drumherum heben und senken sich weiße Stoff-Bühnenwände und per Leuchtschriftzug die Ewigkeit, im Hintergrund hängt das Gemälde einer Küste – ein Ort des Ablegens vom alten und der Verlockungen der unbekannten, neuen Ufer. Vom Bühnenhimmel windet sich eine riesige Blütedolde. Keine Glockenblume ist das, sondern – wunderschön und hochgiftig – eindeutig Fingerhut. Anmut und drohender Tod in ein und demselben Objekt, welches zugleich an die Doppelhelix menschlicher DNA erinnert, der wiederum auch beides eingeschrieben ist.

Ein schlaues Bildervexierspiel richtet Borgmann hier an, mit doppelten Bedeutungen aufgeladen und von Brüchen durchsetzt, die sich auch durch das Spiel des tollen Ensembles ziehen. Aber beides hat es – vor allem nach der Pause – zunehmend schwerer gegen die gefühlt immer länger werdenden Textpassagen, die szenisch mehr und mehr eine bloße Bebilderung erfahren. Die langen Monologe führen dabei zwar oft zu gedanklicher, aber zu selten zu szenischer Schärfe und Konzentration. Und selbst die bei Hoeullebecq unvermeidliche, sehr weiße und sehr männlich erzählte Sexorgien-Szene wirkt eher überflüssig als berührend oder gar verstörend. Es gäbe zwei Arten von Künstlern, führt Gerrit Jansen im oben erwähnten Zwischenspiel aus. Entweder man sei Revolutionär oder Dekorateur. Und fast scheint es, als sei Robert Borgmann, sonst Bühnenrevolutionär mit den Mitteln der darstellenden und der bildenden Künste, hier ein wenig zu sehr dem Dekorativen verfallen.

Wenn Peter Moltzens Daniel, dieser Lebensgewinner und Liebesverlierer, dann aber ganz am Ende vom armen Würstchen mit einfach nicht ablegbaren Männerfantasien zum diabolisch lachenden und graberdeschaufelnden Gruselclown mutiert, da weiß dann man wieder, welche Kraft es ist, die diesen Abend zu einem sehens- und nachdenkenswerten macht.


» Die Möglichkeit einer Insel
Nach Michel Houellebecq. Regie und Bühne Robert Borgmann. Kostüme Bettina Werner. Musik Rashad Becker. Licht/Video Carsten Rüger. Video Bahadir Hamdemir. Dramaturgie Amely Joana Haag. Mit Constanze Becker, Gerrit Jansen, Jonathan Kempf, Sina Martens, Cynthia Micas, Wolfgang Michael und Peter Moltzen.

Next shows: 13. und 14. November sowie am 18. und 27. Dezember 2019
Berliner Ensemble

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