Beethoven/Ravel | Leipziger Ballett

zwischen zeitloser eleganz und heutiger dringlichkeit

Aus der Zeit gefallene Anmut, doppelbödig-frischbunte Tutus plus eine ganz andere Art der tänzerischen Körperbefragung - unterschiedlicher hätten die drei Teile kaum sein können, die das Leipziger Ballett anlässlich des 25. Jubiläums der Städtepartnerschaft Leipzig-Houston zu einem so feinen wie klugen Abend zusammen tanzte.

 

Siebte Sinfonie © Ida Zenna
Siebte Sinfonie © Ida Zenna

Rhythmisch-lebensfroh und natürlich tänzerisch vollendet beginnt es mit der von Uwe Scholz‘ 1991 für das Stuttgarter Ballett erarbeiteten Choreographie zu Beethovens 7. Sinfonie. Tänzer und Tänzerinnen sind sportlich-eng bedresst. Schon im ersten Bild, das dem Publikum die edlen Rückseiten der Tänzer präsentiert, zeichnet sich unter den Trikots jeder Muskel ab. In der Choreographie lösen sich dann aus der großen Formation kleinere Gruppen oder einzelne Paare heraus, um wenig später wieder mit den anderen zu verschmelzen. Die Bewegungen der Tänzer und Tänzerinnen wiederholen sich akkurat und in Variationen – ganz so wie die Motive in der Beethoven’schen Musik. Fast wie lebendige Puppen heben, drehen, führen die Herren ihre Damen. Warum, erschließt sich aber nicht wirklich. Licht und Bühne setzen eher zarte Akzente. Eine ästhetische Freude für Auge und Ohr ist das schon, für unseren Geschmack hätte das aber durchaus noch ein paar mehr Kontraste vertragen können.

 

Tutu © Ida Zenna
Tutu © Ida Zenna

Wesentlich kontrastreicher der zweite Teil von Stanton Welsh aus der amerikanische Partnerstadt. Einem prägenden Ballett-Utensil, dem Tutu, hat sich der Choreograph inhaltlich angenommen und frisch und ausdrucksstark kommen die Tänzer daher. Zu Ravels abwechselnd ruhigen und turbulenten, im dritten Teil beinahe zirkushaften Klavierkonzert in G-Dur drehen sich die Damen in metallisch-reflektierenden, blauen, roten und grünen Tutus fast wie mechanische Tänzerinnen. So vielschichtig wie das Röckchen an sich ist auch die tänzerische Befragung desselben. Was macht so ein Kleidungsstück mit der Trägerin? Für sich allein und im Gegensatz zu den Herren, die ganz in Linie so etwas wie stilisierte Badehosen tragen? Klug ist das und sehr beschwingt und immer mit einem kleinen Augenzwinkern gearbeitet. Auch Bühne und Licht setzen hier farbstarke Kontrapunkte – mal werden Farblichtbahnen zu einem riesenhaften Ausrufezeichen, mal erscheint ein Licht-Weg auf dem Bühnenboden, dann wieder wird der zu einer grünen Wiese und am Ende scheinen sich die Tänzer und Tänzerinnen langsam in der dunklen Tiefe der Bühne aufzulösen.

 

Geschöpfe © Ida Zenna
Geschöpfe © Ida Zenna

Haben wir bislang klassisch und beschwingt-vielschichtigen Tanz genossen, so befragt der dritte Teil, den Mario Schröder beisteuert, die beiden ersten aus einer anderen Perspektive heraus noch einmal neu. Musikalisch schließt sich der Kreis wieder hin zu Beethoven, dessen Geschöpfe des Promotheus und die 3. Symphonie seiner Mondscheinsonate und dem Naiven Walzer der usbekischen Komponistin Elena Kats-Chernin gegenüberstehen. Inhaltlich gelingt es, die von Scholz und Stanton gesponnenen Fäden aufzunehmen und sie neu zu verweben: Schröder steckt seine Tänzer und Tänzerinnen nämlich in Fatsuit-Kostüme und macht so den Körper selbst zum Thema, das er sehr spielerisch, aber eben auch kritisch befragt. An Rubens fühlt man sich erinnert, an vielarmige Krebse, an den Soli an das Faust-II-Geschöpf Homunkulus. Die Tänzer stehen als ureigene Geschöpfe des Tanzes auf der Bühne – die Körperpartien ausgeleuchtet von einer Batterie Scheinwerfer, die ihrerseits am schwarzen Bühnenhorizont ein Lichtballett aufführen.

Sind die ewig lächelnden Gesichter die Masken der Tänzer im ersten der drei Teile, sind hier die Körper selbst die Kostüme. Nach und nach lösen sich die Fatsuits von den Tänzerkörpern – wie in einer Häutung. Stück für Stück kommt der natürlich athletische Körper wieder zum Vorschein. Wie vorher, aber doch anders, um eine Facette, eine Geschichte reicher. Das ist von großer Musikalität und starkem Ausdruck, anrührend und zart, aber auch voller Komik. Und für Ballettzuschauerauge sicher ungewohnt, vielleicht sogar verstörend. Es als Groteske abzutun, aber greift zu kurz. Vielmehr stehen hier Körperbilder und Erwartungs-Haltungen im unbarmherzigen Scheinwerferlicht. Mario Schröder holt den Ballettabend mit einem kräftig-fröhlichen Denkanstoss mitten ins Heute.


» Beethoven/Ravel
3-teiliger Ballettabend von Uwe Scholz, Stanton Welch AM und Mario Schröder | Musik von Ludwig van Beethoven, Maurice Ravel, Igor Strawinsky, Elena Kats-Chernin
Musikalische Leitung: Moritz Gnann. Dramaturgie: Nele Winter.

Siebente Symphonie: Ballett von Uwe Scholz. Musik von Ludwig van Beethoven. Choreografie, Bühne, Kostüme: Uwe Scholz. Licht: Uwe Scholz
Tu Tu: Ballett von Stanton Welch. Musik von Maurice Ravel. Choreografie: Stanton Welch. Kostüme: Holly Hynes. Licht: Lisa J. Pinkham. Goldenes Paar: Madoka Ishikawa / Juliano Toscano. Rotes Paar: Karina González / Ian Casady. Blaue Dame: Anna Jo. Blauer Herr: Alessandro Repellini.
Geschöpfe: Ballett von Mario Schröder. Musik von Ludwig van Beethoven, Igor Strawinsky, Elena Kats-Chernin. Choreografie: Mario Schröder. Bühne, Kostüme: Paul Zoller.

Leipziger Ballett, Gewandhausorchester, Klavier Wolfgang Manz

Premiere 27. Okt. 2018, Opernhaus
Aufführungen 31. Okt. / 09. Nov. 2018 / 19. & 23. Mai 2019

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