Kay Voges' "Das 1. Evangelium" | Volksbühne Berlin

making of: jesus christus

Schon während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, steigt Christoph Jöde - weihrauchschwenkend und mit einer Schlingensief-Gedächtnis-Perücke auf dem Kopf sozusagen als lebendiges Doppelzitat - durch die Stuhlreihen. Dabei reinigt er die Volksbühne nicht für einen andächtigen Gottesdienst, sondern für einen babylonischen Bildersturm. Kay Voges hat "Das 1. Evangelium" von Stuttgart nach Berlin gebracht, und hier passender Weise in die Volksbühne, dem Heiligtum unter den hauptstädtischen Theatern.

 

Das 1. Evangelium © Julian Roeder
Das 1. Evangelium © Julian Roeder

Die Bühne weckt dann auch gleich Erinnerungen an den Volksbühnen-Allvater Frank Castorf. So übervoll wie verwinkelt, meistens theaterneblig, mit zwei alten Autos auf der Vorbühne und Leuchtschriften auf den bespielbaren Dächern. Alexander Scheer! Faust! flüstert’s im verwinkelten, vollen Zuschauergedächtnis. Dabei sind die verschiedenen Räume hier streng im Rund gebaut. Stationen, die einen immerwährenden Kreislauf bilden: The neverending story of jesus.

Da wäre die Bar Paradise, in der Salome (Berit Jentzsch) persönlich kellnert, Judas (Manolo Bertling) zu schein-heiligen Trinkspielen anstiftet und auf deren Tresen später eine blutige (Wieder)geburt stattfindet. Daneben ein steriles Krankenzimmer, in dem ab und an einsam und einäuig eine Krankenschwester mit Kalaschnikow im Anschlag (Paula Kober) steht.

Des weiteren ein Tempel für Pontius Pilatus. Ein Hinterhof mit Telefon an der Hauswand, der aussieht, wie von einem Wim-Wenders-Filmset geklaut, ein Schrein mit Kerzen … Dazwischen Technik und Scheinwerfer, ein abgerockter Regie-Wohnwagen und allgegenwärtige Kameras: Wir sind an einem B-Movie-Set, an dem Regisseur Fred (Paul Grill) – vom eigenen Team unverstanden und viel zu low-budgetiert – versucht, seine Jesus-Geschichte zu erzählen.

Im Zweifel für den Zweifel

Regisseur Voges und sein großartiger Videokünstler Voxi Bärenklau rücken der tradierten Christus-Ikonographie ihrerseits mit einer ekstatischen, überfordernden Bildfülle zu Leibe. Bilder, die sich vervielfachen, wiederholen, überschreiben: Liefern die Kameras zunächst in Echtzeit das Bühnengeschehen, werden später mehr und mehr die verschiedene Zeitebenen der Inszenierung ineinander geschrieben.

Und die Bilder sind überall: In der Bühnenmitte flimmern sie über einen übergroßen Lampenschirm, links und rechts auf der Bühne sind große Screens, noch in der Bar hängt ein Fernseher und auch die Bühnenrückwand selbst dient als Projektionsfläche. Geburt, Tod, Superman, Irrenhaus, Johannes-der-Täufer, Maria Magdalena: Szenen im ständigen Wechsel. Bilder, Bilder Bilder – hinter denen das Sujet selbst verschwindet – wie Gottes Sohn hinter den jahrhundertelangen Be-, Zu- und Überschreibungen.

Nicht umdrehen!
Jesus kennt den Weg!

Das Filmsetting selbst ist nicht nur für ein paar verdammt lustige Kalauer gut. Es schafft natürlich eine Distanz zum Dargestellten und nimmt die Schwächen der Produktion auch gleich selbst auf die Schippe („Lass es uns mit Kunst probieren!„) und lässt als Spiel im Spiel hübsche Parallelen und einige erkenntnisfördernde Doppeldeutigkeiten zu.

Da ist Janine Kreß die als Maria mit einer ganz großen Innerlichkeit das Jesuskind zur Welt bringt, hernach mit ebenso großer Grandezza die Gottesmutter mimt und in den ‚Drehpausen‘ ganz profan die Mutter des Regisseurs ist – mit wunderbarer Alltäglichkeit und all den Zweifeln und der Verletzlichkeit einer (etwas) älteren Schauspielerin. Da ist der Produzent des Filmes, der gleichzeitig als Gottvater auftritt. Oder Gottvater, der gleichzeitig den Film produziert? Auf jeden Fall Holger Stockhaus mit gewohnt-gekonntem Wortslapstick – vom Jesuswitz über herrlich verquere, philosophische Dialoge mit dem Film-Schöpfer bis zur Pontius-Pilates-Übung.

Und da ist die wunderbare Julischka Eichel, die von ergreifender Zartheit bis großer Bestimmtheit, von gefühltem tiefsten Wissen bis zum fressenden Zweifel als Jesus und als Filmstar überwältigend die volle Bandbreite abliefert.

That’s me in the corner
That’s me in the spotlight, loosing my religion

An anderer Stelle wiederum malen Voges und Ensemble dann doch allzu Vorhersehbares ins Bildertableau und greifen ein bisschen zu bemüht in Godard-Pasolini-Tocotronic-REM-Zitatenkiste. Dann landet der Zweifel an der Ikone auf direktem Wege wieder ebenda: in der Ikonographie.

Vielleicht ist das ja dem Kreisen um die große Leerstelle immanent, aber es fehlt dem ansonsten klugen, Lesarten und Sehgewohnheiten hinterfragenden Abend auch etwas, das ihn im Innersten zusammenhält. Was bleibt, wenn man die Bilderflut mal einen Moment abstellt. Eine Art nicht verhandelbare, existentielle Dringlichkeit. Oder zumindest die Behauptung derselben. Eine Art Glauben? Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.


» Das erste Evangelium
Regie Kay Voges. Video: Voxi Bärenklau. Bühne: Michael Sieberock-Serafimowitsch. Kostüme: Mona Ulrich. Musik: Paul Wallfisch. Live camera: Tobias Dusche, Daniel Keller. Mit: Manolo Bertling, Julischka Eichel, Sebastian Graf, Paul Grill, Berit Jentzsch, Christoph Jöde, Paula Kober, Janine Kreß, Rahel Ohm, Sylvana Seddig, Holger Stockhaus sowie Henning Flüsloh, Maximilian Gehrlinger, Noelle Haeseling, Felix Mayr, Moritz Carl Winklmayr and Christopher Vantis.

Wieder am: 8. und 9. Dezember sowie am 6. Januar 2019

 

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