nikolaus habjan – das gesicht der diesjährigen euro-scene

Viel Neues gab es auf der 26. euro-scene zu sehen. Waren im letzten Jahr viele Künstler zum wiederholten Male eingeladen worden, Künstler, die das Festival seit 1991 mitgeprägt hatten, gab es in diesem Jahr gab es viele neue Gesichter. Eines davon war besonders auffällig – das des jungen Nikolaus Habjan, dem eine Werkschau mit vier Stücken gewidmet war.

Nikolaus Habjan Foto: Marija-M. Kanizaj © euro-scene Leipzig 2016
Der Herr der Puppen Nikolaus Habjan Foto: Marija-M. Kanizaj © euro-scene Leipzig 2016

Schwer beeindruckt war ich dabei vom Eröffnungsabend, über dessen Inhalt » hier schon berichtet wurde. Nicht ganz mit dieser Qualität mithalten konnten dann „Schlag sie tot“ und „Das Missverständnis“. Beide Vorstellungen zeigten aber trotzdem solides und gelungenes Puppentheater für Erwachsene.

Denn das ist die Spezialität von Nikolaus Habjan: Selbstgebaute, körpergroße Klappmaulpuppen spielen die Hauptrolle in seinen Stücken. Wie es solche Puppen nun einmal an sich haben, fehlt ihnen jegliche Mimik. Darum ist es verblüffend, wie die Puppen in der Vorstellung des Zuschauers zu leben beginnen. Man deutet die Haltung des Körpers und des Kopfes, das Öffnen und Schließen des Mundes, das Verhältnis von Puppenspieler zur Puppe usw. An manchen Stellen war ich mir fast sicher, dass jetzt die Puppe selber spricht, und ich mich wunderte, warum der Mensch hinter ihr denn den Mund auf und zu macht.

Barbara Palffy, Wien © euro-scene Leipzig 2016
Kreisler’sche Bösartigkeiten: Habjans „Schlag sie tot“  / Foto: Barbara Palffy, Wien © euro-scene Leipzig 2016

Neben den technischen Möglichkeiten, die das Puppenspiel bietet, ist auch der Inhalt des Stückes entscheidend, um einen tollen Theaterabend entstehen zu lassen. „Schlag sie tot“ ist die erste Inszenierung Habjans, die er im Alter von 20 Jahren gemacht hat. Die schwarze Komödie spielt in einem Altersheim und wird von Liedern Georg Kreislers musikalisch untermalt. Die Texte des Stücks entstanden durch Beobachtungen im Wiener Alltag, sind also zum großen Teil Originalton. Wenn man das weiß, bleibt einem ab und an das Lachen im Halse stecken, insgesamt wirkt der Abend aber doch eher wie Kabarett.

www.lupispuma.com / Schauspielhaus Graz © euro-scene Leipzig 2016
Camus verpuppt „Das Missverständnis“ / Foto: www.lupispuma.com / Schauspielhaus Graz © euro-scene Leipzig 2016

Beim „Missverständis“ nach Albert Camus, einer Arbeit am Wiener Volkstheater, gibt es kaum komödiantische Möglichkeiten, um das Publikum zu gewinnen. Umso mehr geht es hier darum, die einzelnen Figuren durch Besonderheiten in der Darstellung zu Charakteren zu machen. Wer als Zuschauer genau hinschaut, kann diese Besonderheiten entdecken und sich seine eigenen Gedanken dazu machen. Viel Beifall für diesen Abend auf der großen Bühne des Schauspielhauses, ganz klarer Favorit bleibt aber für mich der „Zawrel“, auch wenn man hier entgegenhalten könnte, dass es vor allem die Thematik ist, die den Zuschauer in den Bann zieht.

Offensichtlich ist, dass die Beschäftigung mit der ergreifenden Biographie Friedrich Zawrels den Künstler Nikolaus Habjan in seiner Entwicklung vorangebracht hat. In diesem Stück steht er allein auf der Bühne und spielt mehrere Rollen: Friedrich Zawrel selbst, als alten Mann und als Kind, Wärter und Ärzte vom Spiegelberg und eben jenen alten Dr. Heinrich Gross, den Nazi-Arzt mit mörderischer Vergangenheit, der es nicht nur geschafft hat, in Österreich einer Strafe zu entgehen, sondern dort sogar noch Karriere gemacht hat.

Habjan Zawrel. Foto: Barbara Palffy, Wien © euro-scene Leipzig 2016
Da hat doch eben die Puppe gesprochen! „Zawrel“ von und mit Nikolaus Habjan / Foto: Barbara Palffy, Wien © euro-scene Leipzig 2016

Vielfältig die Darstellungsweisen des Puppen- und Schauspielers: Da sind die Klappmaulpuppen, da wird aber auch lediglich mit einer Gesichtsmaske gearbeitet oder z.B. in der Rolle eines interviewführenden Journalisten ganz ohne Maske. Dazu kommen scheinbare Kleinigkeiten bei der Nutzung von Requisiten, die immense Wirkung zeigen. So wird am Ende ein Photo Friedrich Zawrels gezeigt  – und man staunt, dass der dasselbe Hemd trägt wie die ihn verkörpernde Puppe auf der Bühne. Abstoßend wirkt ein anderes Detail: Man sieht auf der Bühne, wie ein Kind eine Injektion bekommt und dann nach draußen gebracht wird. Kurz darauf wird ein in Formalin schwimmendes Hirn wieder hereingefahren. Mehr braucht es nicht, um jedem im Saal klarzumachen, was mit den im Rahmen der Euthanasie ermordeten Menschen passierte.

Den Hintergrund der Bühne bildet ein großer weißer Wandbehang, der zum einen eine Krankenhausatmosphäre entstehen lässt, zum anderen aber auch als Videoleinwand genutzt wird. Da sieht man dann den Jubel der Österreicher beim Anschluss ans Reich (eine Szene, in der bei einer Vorstellung einige Leute mit dem Ruf „Propaganda“ den Saal verlassen haben) oder die Kamera schwenkt über eine Sammlung histologischer Präpartae menschlicher Gehirne.

Außer den eigentlichen Vorstellungen gab es dann noch das Künstlerportrait mit dem Titel „Ich pfeife auf die Oper“. Die Veranstaltung fand im Foyer des Schauspielhauses statt, das sich dazu in einer Wiener Kaffeehaus verwandelt hatte. Man kann sicher darüber streiten, ob bei einem Festival für zeitgenössisches Theater unbedingt Kaffee und Sachertorte serviert werden muss, ansonsten bot diese Veranstaltung aber Gelegenheit, Nikolaius Habjan etwas näher kennenzulernen.

Das Gespräch führte Martina Bako, der an dieser Stelle nicht nur dafür, sondern auch für sehr viele andere Pubikumsgespräche, die sie bei der euro-scene im Laufe der Jahre geführt hat, sehr herzlich gedankt sei. So erfuhr man also einiges über Puppenbau und –spiel oder über die tatkräftige Unterstützung, die der Künstler durch seine Eltern erhält. Man konnte aber auch hören, wie ernst Puppenspiel werden kann: So gab es nach einem Stück über Michael Jackson Morddrohungen von dessen Fans, während nach „Zawrel“ die FPÖ Drohungen über das Internet verbreitete. So anzuecken und dadurch zu merken, dass man relevante Themen verhandelt, ist sicher nicht das Schlechteste, was einem jungen Künstler passieren kann. Es dürfte Nikolaus Habjan auf seinem Weg voranbringen., so dass man einer wohl schon geplanten erneuten Einladung zur euro-scene mit Spannung entgegensehen kann.


» Nikolaus Habjan – Künstlerwebsite
» Der Herr der Puppen – Ein Portrait in der ZEIT

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