Ode | Deutsches Theater Berlin

wer gegen wen? eine ode an die freiheit der kunst

Irgendwann an diesem Uraufführungsabend kniet der weiße Mann Manuel Harder als weißer männlicher Schauspieler Orlando als nicht-weiße Putzfrau mit Migrationshintergrund auf der Bühne und wischt diese mit jedem Scheuerlappenschwung nicht etwa sauberer, sondern schmutziger. Dabei muss er sich permanent verteidigen: gegen die Front der „Darf der das denn?“-Frager, die sich natürlich selbst sofort mit „Nein!“ antworten. Denn die Zeiten sind vorbei, als ein weißer Schauspieler für eine Frau, noch dazu für eine, die sozial unter ihm steht, sprechen konnte, sie spielen „durfte„. Ein schönes Bild für den Versuch, den dreckigen, widersprüchlichen Teil der Kunst zurück in die political korrekte Bühnensterilität zu bringen.

Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair
Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair

Damit sind wir mittendrin in Thomas Melles klug-bissigen und zielgenau-bösartigem Thesenstreit-Theatertext „Ode“, in dem es um nichts weniger als um die Freiheit der Kunst geht, die von allen Seiten in die Zange genommen wird: Von rechts wie von links, böswillig, aber auch mit gutem Willen (man denke nur an die Debatte um die Leipziger » atlas-Inszenierung von Philipp Preuss, die die wichtige Teilhabe-Frage bärendienstlich gegen die Gestaltungsfreiheit der Kunst in Stellung brachte.

Wenn die Ode die Antwort ist, was war dann die Frage?

„Ode“ ist eine Versuchsanordnung auf zwei Zeitebenen. Zunächst ist da die Aktionskünstlerin Fratzer, die mit mehrfacher Provokation herauszufinden versucht, wie viele Widersprüche die Gesellschaft auszuhalten bereit ist. Zum einen ist ihr Kunstwerk Ode an die alten Männer buchstäblich Nichts und insofern eine soziale Skulptur, die die Vernissage-Gesellschaft noch zu bewundern bereit ist. Ihr Statement dazu allerdings nicht. Denn darin dankt sie den Nazis für die Ermordung ihres Großvaters, die diesen davon abhielt, seiner Familie weiter Gewalt anzutun. Das geht zu weit und lässt Fratzer existentiell scheitern. Sie geht in den Freitod. Jahre später will der Schauspieler und Regisseur Orlando ihre Geschichte auf die Bühne bringen, womit auch er – weil nicht sein kann, was nicht sein darf – letztendlich scheitern muss.

Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair
Hochenergetisch: Katrin Wichmann in Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair

Regisseurin Lilja Rupprecht hat für ihre Uraufführung am Deutschen Theater Berlin ihre Spieler – drei vom Deutschen, zwei vom Rambazamba-Theater – und den Musiker Philipp Rohmer in schiefmaschig-bunte, entfernt an Teletubbies erinnernde Selfmade-Häkelstrampler gesteckt und mit Thomas Melles Gedanken, ein paar Farbeimern und Tomaten bewaffnet im steril-weißen Bühnenhalbrund (Anne Ehrlich) ausgesetzt. In eine Bühnenwelt, in der jedes missliebige Argument als Hassrede gemeldet wird und deren zurückfedernde Wände es unmöglich machen, der eigenen Blase zu entkommen.

Hassrede.
Hassrede gemeldet!

Mit vielen eigenen Aktionskunsteinfällen, mit Farbe, Kraft und Esprit versucht das Ensemble – und das allermeist erfolgreich – der szenen-unwilligen Wörterflut beizukommen. Da erscheinen per Video bzw. Pinselstrich wilde Assoziationen auf den bald nicht mehr weißen Wänden,  liefert Philip Rohmers tolle, diskursive Beats vom Bühnenrand, stürzt man sich immer wieder einzeln oder en Masse in mal mehr, mal weniger sinnfällige Choreografien. Da schrubbt Manuel Harder wie oben beschrieben die Bühne, zetert, windet sich, resigniert, lehnt sich doch wieder auf. Da wird Kippenberges Kein-Hakenkreuz-Bild zitiert und der Volks-Rock’n’Roller Andreas Gabalier angestimmt. Katrin Wichmann streitet als Fratzer hochenergetisch für die Freiheit der Zumutung. Natali Seelig versucht sich äußerst slapstickkomisch eine Polaroidkamera umzuhängen und Juliana Götze und Jonas Sippel vom Rambazamba-Theater machen sich mäandernd den Raum zu eigen und malen sich selbst an die Wände. Es lacht der Tod und der Rassismus schwadroniert im Abendkleid. Aus den sprichwörtlichen Tomaten auf den Augen werden blutig vergossene Krokodilstränen und der Spieler selbst wird zum Bad-Bad-Painting.

Wenn wer von Nazis ausmerzen spricht, kapert der dann ‚böses‘ Vokabular für die gute Sache? Inwiefern entsteht die (Minderheiten)-Identität erst über die (rassistische, diskriminierende) Zuschreibung der anderen? Und wem nutzt das? Soll man eine Wunschrealität behaupten, statt mit der umzugehen, die nun mal da ist? Wer darf was auf der Bühne? In der Öffentlichkeit? Wer darf für wen sprechen? Was ist überhaupt noch spielbar? Und immer immanent die noch viel interessantere Frage: Wer entscheidet das?

Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair
Kein Entkommen aus der Blase: Ode. Deutsches Theater Berlin © Arno Declair

An den besten Stellen verhandelt „Ode“ das offen, herrlich überspitzt, böse und unkorrekt, im besten Sinne widerhakig, dann wieder ist der Text doch ein wenig zu diskursagitatorisch unterwegs und traut den selbst aufgerissenen Unsicherheiten nicht über den Weg. So wird das trotzige, wortgewaltige und bei Alexander Khuon und Natali Seelig wunderbar körperstarke Schlussplädoyer für die Freiheit der Kunst zumindest in Teilen zur selbstbestätigenden Rampenagitation in der Spieler-Zuschauer-Verabredungsblase. Ein Abend, der szenisch nicht immer überzeugt, dafür aber in seinem funkelnden Thesenwettstreit und mit schmerzlich treffenden Wortpfeilen ganz ungemein aufrüttelnd, klug, fordernd und verdammt relevant ist.

Der Schock erreicht uns über Bande.

Am Schluss sitzen die Nationalisten, Moralisten, Identitären und deutschen Alternativen – in Melles Text heißen sie „die Wehr“ – mit Deutschland-Fahne beflaggt und zufrieden lächelnd auf der Treppe im offenen Bühnenrücken: den Rest haben die da vorne schon selber erledigt. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen.


» Ode
Thomas Melle. Regie Lilja Rupprecht. Bühne Anne Ehrlich. Kostüme Christina Schmitt. Musik Philipp Rohmer. Video Moritz Grewenig. Choreografie Jana Rath. Licht Kristina Jedelsky. Dramaturgie: Juliane Koepp. Mit Katrin Wichmann,  Manuel Harder, Alexander Khuon, Natali Seelig, Juliana Götze, Jonas Sippel und Philipp Rohmer (Live-Musik).
Uraufführung am 20. Dezember 2019 | 2 Stunden, keine Pause

Wieder am 17. März 2020

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