ohne trumpf gereizt? robert borgmanns iwanow am schauspiel köln

Im Vorweihnachtstrubel wär' es fast untergegangen, aber wir waren nicht nur in Dortmund, sondern auch in Köln im Theater. Hier wie dort ist das Schauspiel ausquartiert in eine Halle an der Peripherie. In Köln heißt das Depot und dort bat Robert Borgmann am 9. Dezember zu einem schier endlosen Tanz um das Nichts.

Iwanow Schauspiel Köln © David Baltzer
Gefangen vom Nichts: Marek Harloffs Iwanow am Schauspiel Köln © David Baltzer

Zunächst einmal ist nur etwas zu hören – Stimmen, Getrappel, Wind: die Geräusche einer Welt da draußen, die unsichtbar bleibt und zu der die Tschechowschen Figuren keine Verbindung haben. In den Drei Schwestern gibt es immerhin noch den Sehnsuchtsort Moskau, Iwanow (und mit ihm die ganze Gutsbesitzergesellschaft) bleibt dagegen ohne jeden Ausweg gefangen in der eigenen Leere, frustiert von der Sinnlosigkeit des Seins.

Words, don’t come easy to me
How can I find a way to make you see …

Läuft ja auch nicht so gut. Russland im Umbruch, Leibeigenschaft futsch, Iwanows Gut verschuldet. In der Gefühlskälte seiner veritablen Depression stirbt die Gattin – gerade noch jung und schön – traurig vor sich hin. Den daraus resultierenden Schuldgefühlen entflieht er Abend für Abend zum Nachbarn Lebedew, der seine eigene Verzweiflung mit lautem Amüsemang und sauren Gurken bekämpft. Aber auch das und die liebeshungrige junge Sascha können nicht zu Iwanow durchdringen.

Iwanow Schauspiel Köln © David Baltzer
Party mit Gurke. Guido Lambrechts Lebedew gibt ne Runde. © David Baltzer

Und während die Szenerie mittels Räumen auf Rollen zwischen den beiden Gütern hin- und herwechselt, wird der beste Regie-Schachzug deutlich. Robert Borgmann besetzt  beide Frauen Iwanows mit einer Schauspielerin. Sophia Burtscher macht als Iwanowna mit dunkler Stimme und Nick Caves melancholischen Songs Gänsehaut und buhlt als junge, lebenshungrig-trotzige Sascha um die Gunst des älteren Iwanow: Eine zauberhafte Szene, in der jener in die Arme der einen sinkt und sich gleich darauf erschrocken in denen der anderen wiederfindet. Kurz mal die Augen wischen – haben wir das geträumt?

In einer sehr installativen Umgebung, in der sich prima herumassoziieren lässt – ein Haufen Erde im weissen, kahlen Raum, an die Wand ist Komödie im Wortsinn geschmiert, eine verdörrte Wurzel – bewegen sich alle ständig umeinander – aber eigentlich bewegt sich nichts, nicht mal die Luft vorm Ventilator. Gefeiert wird der absolute Stillstand. Und das dauert. Runde um Runde dreht der eine auf dem Dreirad, der nächste tritt mit dem immer gleichen Gejammer über schlechte Karten (Im Spiel? Im Leben?) auf und ab, und Graf Lebedew (Guido Lambrecht) macht noch ein Glas saure Gurken auf und erzählt noch einen Witz.

Wir könnten ja auch spielen, dass diese Bretter hier die Welt bedeuten.

Immer wieder gibt das durchaus starke Bilder. Besonders in den Sascha/Iwanowna-Szenen transzendiert’s sehr fein und auch sonst vergibt sich das großartig aufgelegte Ensemble nichts. Niklas Kraft & Sven Michelson weben auf ihrer fahrbaren Musikinsel einen ebenso feinen wie latent unheilvollen Soundteppich und betreiben zwischendurch mit schrillen Dissonanzen die Szenenwechsel – woran liegt es also, dass der Funke nicht so recht überspringen will?

Wir müssen mal herunterkommen von unserer Kommentarebene!

Vielleicht hätte jene Kommentarebene ja auch erstmal eingezogen werden müssen. Oder zumindest um einiges früher, als ganz am Schluss, wenn Gerrit Jansens Lwow aus dem Rollenkorsett fällt und sehr wirkungsvoll ein (theaterreferentielles) Fass aufmacht. (Der Kollege von der nachtkritik meinte mit Blick auf den langen Abend und diesen Schluss treffend, hier würde der Schwanz mit dem Hund wedeln).

Am meisten aber fehlt es dem Abend an einer Mitte. Denn so sehr die Iwanowna schwindsüchtig ist; der Iwanow Marek Harloffs leidet an noch größerer Ver-Schwindsucht: keine Energie nirgends, nicht mal negative (die ja auch anziehen könnte und alles verschlingen). Dazu kommt dieser Raum, der mit seinen geraden, unendlich langen Zuschauerreihen jedwede Fokussierung des Blickes verweigert. Und so scheint alles auszufransen und je mehr es franst, desto anstrengender wird’s.

Gut möglich, dass es genauso gedacht war. Und dennoch: am Ende bleibt die tschechow-borgmann’sche Gesellschaft da auf der Bühne so fern – genau wie eben dieser Gesellschaft die nur hörbare Welt da draussen. Immerhin, WIR dürfen wieder raus da und rein in die Dezembernacht. Auf eine saure Gurke! (Und einen Wodka.)


» Iwanow am Schauspiel Köln
Regie Robert Borgmann. Musik Niklas Kraft & Sven Michelson. Mit: Marek Harloff, Sophia Burtscher, Wolfgang Pregler, Guido Lambrecht, Sabine Waibel, Gerrit Jansen, Katharina Schmalenberg, Seán McDonagh, Max Mayer und Lou Zöllkau

Wieder am Sonntag, 8.  (18 Uhr), 11., 20. und 22. (16 Uhr) und 24. Januar sowie am 18. Februar

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