Jugend ohne Gott | Schaubühne Berlin

tief im dunklen (deutschen) wald

Kurze Hosen, blinde Flecken, tückisches Dickicht und Jörg Hartmann als Lehrer auf schwer passierbaren Um- und Abwegen: An der Schaubühne Berlin zeigt Thomas Ostermeier Ödön von Horvaths Jugend ohne Gott als gleichzeitig heutiges und doch aus der Zeit gefallenes Gesellschaftsbild.

Jörg Hartmann als Lehrer in "Jugend ohne Gott" an der Schaubühne Berlin @ Arno Declair
Jörg Hartmann als Lehrer in „Jugend ohne Gott“ an der Schaubühne Berlin @ Arno Declair

Eine leere Bühne erwartet die Zuschauer in der Berliner Schaubühne, am hinteren Ende derselben ein dichter Wald, dessen Unterholz einiges an Wurzelstolperfallen und Irrwegen erahnen lässt (Bühne: Jan Pappelbaum). Leichter Nebel zieht an den kahlen Stämmen entlang, graubraundüster ist die Stimmung, drohend, aber irgendwie auch faszinierend.

Jörg Hartmann steigt sinnbildlich direkt aus dem heutigen Alltag hinein in die Kunst und das Jahr 1937: in casual-existentialistenschwarzen Probenklamotten klettert er aus dem Publikum auf die Bühne und schon bei den ersten Sätzen bleibt einem kurz die Spucke weg. Der Frage Was verdanke ich Adolf Hitler? folgt ohne Nachdenkpause die Antwort: Alles.

Während er uns die Vorzüge des Führers und die Pflichten des treuen Volksgenossen in erschreckend heutigem Sprachduktus auseinandersetzt, wird der Schauspieler nach und nach zum Lehrer aus Horvaths Stück. Das Ensemble übt derweil Familienaufstellung vorm deutschen Dickicht. Immer wieder neu rücken sie zueinander hin und voneinander weg, schieben Tische, Stühle, Pulte, bringen Kostüme, helfen ihrem Kollegen-Lehrer Hartmann ins stoffliche Zeitkolorit. Auch später ist diese Menschenmaschinerie immer in Bewegung. Bedeutungsschwanger, mit einer kraftvollen Ruhe und wissend lächelnd schaffen sie eine trügerische Idylle in der Sepia-Foto-Anmutung alter Lang-ist’s-her-Familienalben.

Man stolperte über die Frau und schlitterte in den Weltkrieg hinein

In Horvaths Parabel über Schuld, den menschenverachtenden Common Sense der Nazis und eine verlorene Jugend reicht es aus, auch Afrikaner für Menschen zu halten (und das laut zu äußern), um sich den volksgenossenschaftlichen Unmut oder Schlimmeres zuzuziehen. Unser Lehrer, der beileibe kein Widerständler ist, hat nach diesem Fauxpas nicht mehr allzuviel Freude an seinen Hände-an-der-Hosennaht-Schülern (und deren Eltern). Als er mit seinem Jungstrupp zur vormilitärischen Ausbildung ins Zeltlager fährt, kommt es dort zur offenen Konfrontation zwischen Ideologietreuen und Abweichlern. Am Ende ist einer der Jungen tot, zwei andere stehen vor Gericht, der Lehrer muss damit leben, sich durch Nichtstun mitschuldig gemacht zu haben und doch ist alles anders, als man gerade noch dachte.

Ich muss einen Fisch fangen!

Anfangs spielt die Inszenierung schön mit ihren Figuren. Da ist der innerlich gespaltene Lehrer, der selbst erzählt und agiert, dessen Gedanken aber auch von Kollegen an der Rampe ins Mikrofon gesprochen werden und der sich auch selbst beobachten darf, wenn die anderen stumm Szenen spielen, die er gerade beschreibt. Jörg Hartmann spielt ihn zurückgenommen, aber dennoch äußerst präsent und immer sehr heutig. Er ist der rote Faden von Stück und Abend, das Beispiel, an dem durchexerziert wird, ob und wie man in einer (Gedanken)Diktatur Stellung beziehen kann und muss und was geschieht, wenn man es nicht tut. Fast scheinen die anderen seine Geschöpfe zu sein, die reelle Gefahr, in der die Figur schwebt, ein Spiel – allerdings bei vollem Einsatz.

Jugend ohne Gott" an der Schaubühne Berlin @ Arno Declair
„Jugend ohne Gott“ im Wald an der Schaubühne Berlin @ Arno Declair

Je weiter wir uns allerdings im dichten deutschen Wald verirren, desto naturalistischer geht es auf der Bühne zu. Es wird nur noch bebildert, wo der Blick hätte geweitet werden können und vereindeutigt, wo inhaltlich und ästhetisch ein offensiveres Spiel mit Ambivalenzen möglich gewesen wäre. Und so wird das anfangs klug verfremdete, heimtückische Gesellschaftspanorama mehr und mehr zu einer 1:1 umgesetzten Who-was-it-Crime-Story.

Im Gedächtnis bleibt aber allemal sehr sehenswertes Schauspielertheater – hier besonders Moritz Gottwald, der als ‚fischiger‘ T mit einer völlig leidenschaftsloser Neugier und eiskalter Nonchalance überzeugt und Bernardo Arias Porras, der nicht nur seinen Julius Cäsar zu einem äußerst charmanten schrägen Vogel macht. Und es bleibt eine bedrohliche deutsche Ungemütlichkeit, die unserem Heute viel näher ist, als man das gemeinhin wahr haben will.


» Jugend ohne Gott
Von Ödön von Horváth. Regie Thomas Ostermeier. Bühne Jan Pappelbaum. Kostüme Angelika Götz. Video Sébastien Dupouey. Musik Nils Ostendorf. Dramaturgie Florian Borchmeyer. Licht  Erich Schneider. Mit Jörg Hartmann, Laurenz Laufenberg, Alina Stiegler, Moritz Gottwald, Bernardo Arias Porras, Lukas Turtur, Veronika Bachfischerund Damir Avdic.

Wieder am 27., 28.  und 29. Februar 2020

 

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