sommertheater 2018 – cammerspiele: ich bin das tier

Wer beim Sommertheater nicht auf leichte Unterhaltung durch eine Komödie aus ist, der ist bei den Connewitzer Cammerspielen genau richtig. Wie schon seit einigen Jahren wird die Galerie KUB in der Kantstraße bespielt. Die Cammerspiele haben sich in diesem Jahr William Goldings Roman „Herr der Fliegen“ vorgenommen, den sie unter dem Titel „Ich bin das Tier“ auf die Bühne gebracht haben (Regie: Antje Cordes und Tim Kahn).

Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Maximilian Teucher
Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Maximilian Teucher

Los geht es nicht wie üblich im Hof der Galerie, sondern im Innenraum. Herein stürmt eine wilde Truppe in Ganzkörperkostümen, die aussehen, als hätten die Schauspieler sich mit Unmengen von Gras, Moos und Flechten behängt. Einige Minuten lang wird mal einzeln, mal im Chor ein Text aus der Offenbarung des Johannes gesprochen, in dem ein furchterregendes Untier beschrieben wird.

Dann sitzt man wieder wie gewohnt im Innenhof und schaut zu, wie den Waldmenschkostümen die Truppe von Jungs entsteigt, die Golding nach einem Flugzeugabsturz im Zusammenhang mit einem Atomkrieg auf einer unbewohnten Insel landen bzw. stranden lässt. Für Abenteuerromantik ist aber kein Platz, kein Sandstrand und kein Dschungel, sondern ein gepflasterter Hinterhof, aufgeschüttete Kohle und ein Autowrack. Das symbolträchtige Muschelhorn, das die Jungs zu Versammlungen rufen soll, ist eine verbeulte Trompete, das Feuer, das die Jungs entfachen, wird mit Hilfe von Rechentechnik und Bildschirmen aus dem letzten Jahrhundert simuliert.

Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Camilo Osorio Suarez
Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Camilo Osorio Suarez

Doch auch moderne Technik kommt zum Einsatz, zwei große Bildschirme zeigen die Gesichter der Jungs im Großformat, die Kameras schwenken aber auch ins Publikum, das mit einbezogen wird und die kleinen Jungs darstellt, die für die Älteren so unwichtig sind, dass sie es noch nicht einmal schaffen, sie zu zählen, und beim ersten Feuer, das höher auflodert als gedacht, einer von ihnen umkommt.

Sehr schnell verlieren die Jungs also ihre Unschuld. Dabei hatte es doch noch so gut angefangen, richtig demokratisch war es zugegangen, als Ralph (Tom Lux) zum Anführer gewählt wurde, der bei der Wahl knapp unterlegende Jack (Karoline Günst) und seine Chorknaben (Damian Reuter als Roger) wurden zu Jägern ernannt. Doch die Rivalität zwischen Ralph und Jack läßt die Gruppe nicht zur Ruhe kommen. Die Angst der Kleinen vor einem wilden Tier wird schließlich noch dadurch verstärkt, daß Ralph und Jack auf einem Felsen etwas Unerklärliches entdecken. Passend dazu wird das „Schlaflied“ der Ärzte gesungen.

Ralph versucht, die sich allmählich auflösende Gemeinschaft der Jungs zu retten, mit einer Rede, wie man sie heutzutage von mancher Politikerin und manchem Politiker hören könnte. „Gewählt ist gewählt – das ist das Gute an der Demokratie.“ meint er schließlich, zugleich einsehend, dass er für die diversen Probleme keine umsetzbare Lösung hat. Dabei sind sie doch Europäer, und Europäer können immer alles am besten. So heißt es hier jedenfalls, bei Golding waren es noch die Engländer. Jack und seine Jäger erlegen dann tatsächlich ein Schwein und locken mit dem gebratenen Fleisch den Großteil der Jungs auf ihre Seite.

Die Jungs bemalen sich ihre Gesichter, die Szene wird im Dunkeln gespielt und ist nur per Bildschirm zu sehen, entfaltet aber durch die Musik und die fluoreszierenden Farben eine erstaunliche Wirkung. Das angebliche Untier will man mit dem aufgespießten Schweinekopf als Opfergabe besänftigen. Simon, ein stiller und zurückhaltender Junge (Nicolaj Gnirrs), entdeckt als einziger, dass es mit dem Untier gar nichts Geheimnisvolles auf sich hat, im Angesicht des Schweinekopfes, des Herrn der Fliegen, wird ihm klar, dass das Böse nicht irgendwo am anderen Ende der Insel haust, sondern in den Jungs, in den Menschen selber. Als hätte es dafür noch eines Beweises bedurft, wird Simon während des Festes von den Jungs, die sich durch Bemalung und Gesang in eine Art Trance versetzt haben, getötet.

Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Camilo Osorio Suarez
Ich bin das Tier. Cammerspiele Leipzig. Foto: Camilo Osorio Suarez

Auch Ralph und seine letzten Verbündeten (Henriette Seier als Piggy, Elisa Ludwig als Samneric) sind daran beteiligt und am nächsten Morgen entsetzt über ihr eigenes Verhalten. Piggy, Ralphs engster Begleiter, geht schließlich zu Jack, um seine gestohlene Brille zurückzufordern. Diese Szene spielt über den Köpfen der Zuschauer auf dem Dach. Daß Piggy am Ende das nächste Gewaltopfer wird, bekommt man kaum mit. Danach beginnen bei Golding Jack und sein Stamm den letzten Abtrünnigen – Ralph – zu jagen und setzen dabei die Insel in Brand. Goldings Ende wirkt etwas aufgesetzt: Plötzlich landet ein Schiff, ein Offizier betritt die Insel und wird zur Rettung, nicht nur für Ralph, sondern auch für die anderen. Hier gelingt den Cammerspielen ein amüsanter Effekt, denn wie in Brechts Dreigroschenoper wird die Ankunft des Retters als eine Art reitender Bote angekündigt, da man dem Publikum nicht den Tod der Jungs vorführen wolle.

Von solch kleinen Änderungen abgesehen, ist es ein Abend, der sich sehr eng an Goldings Vorlage hält und damit zugleich vor Augen führt, wie aktuell dessen Werk auch über 60 Jahre nach seiner Entstehung ist. Von der Gefährdung durch einen neuen Weltkrieg bis zur Machtergreifung durch Personen und Gruppierungen, die nur nach dem Recht des Stärkeren handeln, scheint heute wieder alles möglich oder ist sogar schon traurige Realität. Mit solchen Gedanken dürfte mancher Besucher nach Hause gegangen sein, nachdem der Premierenabend vor ausverkauftem „Haus“ zu Recht mit viel Beifall bedacht wurde.


» Ich bin das Tier
Nach Goldings „Herr der Fliegen“. Sommertheater der Cammerspiele Leipzig
Regie Antje Cordes und Tim Kahn. Bühne Felix Lindner & Lorenz Stöger. Kostüme Carlotta Schuhmann. Musik Gerrit Netzlaff. Video Alexander Bach.  Dramaturgie Lukas Schmelmer. Assistenz  Lindsay Ansell. Mit Nicolaj Gnirss, Karoline Günst, Elisa Ludwig, Tom Lux, Damian Reuter und Henriette Seier

Noch bis 11. August täglichg um 19:30 Uhr in der Galerie KUB / Kanstraße 18.

 

2 Comments

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  1. 1
    miss laine

    Da hast du recht. Aber wir sind hier ja auch nicht bei nachtkritik ;).
    Und es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten, von einem Theaterabend zu erzählen und deshalb auch ganz verschiedene Texte hier im Blog.

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