theateropernfreude – blaubart und fassbinders bremer freiheit in halle

Unser Autor Thomas Pannicke fährt seit Neuem 'ständig' nach Halle. In die Oper. Und erzählt was von tollem frischen Wind. Erst neulich war er wieder dort auf der Zuschauerkonferenz (denn offensichtlich war manchen Saalestädtern der Wind zu frisch) und in Herzog Blaubarts Burg. Statt verärgerten Zuschauern hat er dort Fassbinder getroffen. Aber der Reihe nach ...

Seit Herbst 2016 gibt es an der  Oper Halle ein neues, junges Leitungsteam, reihesiebenmitte hat schon gelegentlich über die dortigen Entwicklungen berichtet. In den letzten Wochen geriet die Oper in den Fokus der Medien, die Mitteldeutsche Zeitung berichtete über einen angeblichen Zuschauerschwund und warf der Opernleitung Ignoranz und Arroganz vor.

Der Leipziger Theaterfreund fühlte sich da ein bisschen an die Situation nach dem Start des Leipziger Centraltheaters erinnert. Ähnlich wie damals suchte man nun auch in Halle den direkten Kontakt zum Publikum und lud zu einer Podiumsdiskussion ein. Und viele Interessierte kamen, das Haus war sehr gut gefüllt. Auf der Bühne: Reinhard Bärenz vom MDR als Moderator, Intendant Florian Lutz, sein Stellvertreter Veit Güssow und Chefdramaturg Michael von zur Mühlen, dazu Sara Burkhardt von der Burg Giebichenstein und Hasko Weber vom DNT Weimar. Nach einigen einleitenden Worten aus dem Podium wurde das Gespräch sehr schnell zum Publikum hin geöffnet. Neben einiger konstruktiver Kritik an einzelnen Neuerungen und auch an bestimmten Inszenierungen überwog an diesem Abend die Zustimmung, viele der anwesenden Besucher waren mit der künstlerischen Ausrichtung des Hauses einverstanden, freuten sich über den frischen Wind an der Oper Halle und wünschten der Opernleitung Durchhaltevermögen.

© Detlef Kurth
© Detlef Kurth

Für den Schauspielfreund, der bisher nur sehr selten Opern besucht hat, war es sehr aufschlussreich, sowohl während der Podiumsdiskussion als auch bei anschließenden Gesprächen im Operncafé die Meinungen von Opernfreunden zu hören. Die denken und fühlen in manchen Punkten ganz anders, als man es von Schauspielbesuchern kennt. Unter diesem Aspekt war es von vornherein ein gewagtes Experiment, einen Abend in den Spielplan zu nehmen, der Oper und Schauspiel verbinden sollte. Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“ ist mit einer Spieldauer von etwa einer Stunde nicht abendfüllend, deshalb kam man auf die Idee, zusätzlich noch ein Schauspiel zu zeigen.

Die Wahl fiel auf „Bremer Freiheit“ von R. W. Fassbinder. Regie führte Thirza Bruncken, die in der letzten Saison am Leipziger Schauspiel „Drei sind wir“ ins Szene gesetzt hat. Sie kommt aus dem Schauspiel und hat nun ihre erste Oper inszeniert. Blaubart ist die Geschichte eines Frauenmörders (auch wenn der Mord bei Bartók nicht eindeutig gezeigt wird), die „Bremer Freiheit“ wurde praktisch als Gegenstück dazu gewählt, denn da geht es um die Serienmörderin Geesche Gottfried, die zu Beginn des 19. Jahrhundert Ehemänner, Kinder, Eltern und Freunde ermordete.

Die verschiedenen Rollen aus Fassbinders Stück werden nun auf sechs Personen aufgeteilt: Schauspielerin und Schauspieler, die als Ritter und Burgfräulein auftreten, Sängerin und Sänger in Kostümen, die etwa in die Zeit der historischen Gesche Gottfried passen, sowie noch einmal Schauspielerin und Schauspieler in Kostümen, die aus der Zeit der Entstehung des Stücks stammen könnten. Die Rollen werden nicht fest zugeordnet, sondern munter durchgewechselt, ohne Rücksicht auf Geschlecht oder Alter. Gespielt wird in einer Burg, die aber zunächst kaum an Blaubarts düstere Festung erinnert, sondern eher an ein fröhliches Märchenschloss, die Wände rosa, die Dächer türkis.

© Detlef Kurth
© Detlef Kurth

Die Schauspieler tragen künstlich vergrößerte Lippen, was ihrer Mimik etwas merkwürdig Steifes gibt: Überhaupt wirkt alles sehr artifiziell, sei es die bunte Mischung der Kostüme aus verschiedenen Epochen, unerwartete Tanzeinlagen oder – dann später im Opernteil – Slapstick a la Dinner for one. Schauspiel und Oper sind durch die Pause zwar klar getrennt, aber da das gleiche Ensemble im gleichen Bühnenbild spielt, werden beide Stücke doch eng verzahnt. Tatsächlich spielen Sänger und Sängerin im Schauspielteil mit, im Gegenzug ist eine der Schauspieleinnen auch Sängerin und darf einen Teil der Partie der Judith im Blaubart singen.

Die anderen Schauspieler sind im Opernteil auch auf der Bühne und treiben allerhand Schabernack. Die Inszenierung lebt vor allem von Andeutungen, Verweisen, Zitaten, aus denen sich jeder Zuschauer seine Geschichte basteln kann. Wenn sich z.B. die Drehbühne zu drehen beginnt, erhält man Einblick ins Innere der Burg – ein Badezimmer ist dort zu sehen. Im Nachgespräch wird erklärt, dass dies der Nachbau des Badezimmers aus dem Fall Höxter ist. Doch auch, wenn man das nicht erkennt – der Horror hinter der heilen Fassade ist unterschwellig zu spüren.

© Detlef Kurth
© Detlef Kurth

Insgesamt eine Inszenierung, die das Publikum fordert. Leider wollen sich an diesem Sonntagnachmittag, an dem draußen die Sonne scheint, nicht viele Leute darauf einlassen und nach der Pause sind es noch weniger, obwohl doch dann das kommt, was der Opernfreund eigentlich erwartet. Immerhin: Unter den Besuchern des Nachgesprächs überwiegen die positiven Meinungen. Es ist wie so oft bei Theater, das nicht nur bloße Textreproduktion sein will: Wer sich darauf einlässt und die vielfältigen Anregungen zum Nachdenken nutzt, der geht am Ende mit Gewinn nach Hause.

Dass der Opernfreund mit dem Gesang und der Musik der Staatskapelle Halle bestens und auf höchstem Niveau unterhalten wird, lässt die Inszenierung sowohl für den Liebhaber des Schauspiels als auch der Oper gelingen. Dass so mancher Musiktheaterkritiker mit dem Abend wenig anfangen konnte, muss nicht unbedingt an der Inszenierung liegen. Ein wenig Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand zu schauen, gehört manchmal auch dazu.


» Herzog Blaubarts Burg & Bremer Freiheit
Oper Halle. Regie Thirza Bruncken. Mit Anke Berndt, Felicitas Breest, Susanne Bredehöft, Thorsten Heidel, Mirco Reseg, Gerd Vogel, Judith Anke Berndt und der Staatskapelle Halle.

Nächste Chance: Samstag, 27. Mai und – dann schon zum letzten Mal – am Mittwoch, 31. Mai.

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