Atlas | Ab 25. April im Kino

was ist los mit dir, alter mann? roman kanonik im kino

Zur Zeit steht Roman Kanonik in Süßer Vogel Jugend und Disko auf der Leipziger Theaterbühne, ab morgen ist er auf der großen Leinwand zu sehen: in Atlas, dem Kinodebüt des jungen Filmemachers David Nawrath an der Seite von Rainer Bock, Albrecht Schuch, Thorsten Merten und Nina Gummich. Wir haben den Film zur Leipzig-Premiere gesehen.

Der titelgebende Atlas ist hier nicht der, in dem man zum wiederholten Male den Kaukasus sucht, sondern jener griechische Titan, der die Last der ganze Welt auf den Schultern trägt. So wie der Möbelpacker Walter (gespielt von Rainer Bock), der sich schon lange mehr auflädt, als gut für ihn ist. Die Spedition, in der Walter malocht, hat sich auf Entmietungen spezialisiert – in halblegaler Zusammenarbeit mit der Stadt und mit dem Wissen um die kriminellen Methoden der neuen Hauseigentümer, wenn sich irgendwo Widerstand regt.

Und der regt sich ausgerechnet bei der jungen Familie, in deren Vater (Albrecht Schuch) Walter seinen Sohn zu erkennen glaubt. Den Sohn, den er zuletzt sah, als der Kleine vier war. Dazu ist auch noch Moussa (Roman Kanonik) neu im Möbelpackerteam: Massig, laut, gerade auf Bewährung draußen und ein Freund schlagender Argumente ohne Rücksicht auf Verluste.

Atlas: WALTER (Rainer Bock) © 235 Film, Tobias von dem Borne
Atlas: WALTER (Rainer Bock) © 235 Film, Tobias von dem Borne

Ganz langsam entwickelt Nawrath seine Geschichte und seine Figuren. Was tut dieser Walter? Wie weit kommt er aus der jahrelang antrainierten Deckung, um seinem Sohn zu helfen? Nach und nach und sehr behutsam setzt Rainer Bock uns den ehemaligen Gewichtheber zusammen. Ein versteckter Schmerz da, die zu saubere Küche hier, der trostlose Blick aus dem Plattenbaufenster auf winterliche Baumgerippe: Kunstvoll-beiläufig sind die Puzzleteilchen verstreut, die ihn zu einem Kerl aus Fleisch und Blut werden lassen.

Genau umgekehrt legt Roman Kanonik seinen Moussa an. Als stereotypen Ghetto-Goldkettchen-Hau-drauf führt er sich von der ersten Sekunde an äußerst überzeugend ein. Ach, so einer, denkt man, das lebende Klischee. Aber dann lässt Kanonik sehr subtil und fast unmerklich die Fassade abblättern und macht aus der Allzu-Ein- eine schöne Mehrdeutigkeit: guck, auch hier ein Mensch mit einer Geschichte. Genau in der Mitte ihrer Wege treffen die beiden Gegenspieler in einer grandiosen Szene aufeinander, in der die Spannung mit Händen zu greifen ist und in der, ohne zu viel zu verraten, reichlich Blut und Wodka fließen.

Atlas: MOUSSA (Roman Kanonik) © 235 Film, Tobias von dem Borne
Atlas: MOUSSA (Roman Kanonik) © 235 Film, Tobias von dem Borne

Aber auch wenn in diesem Aufeinandertreffen die größte Energie liegt, im Kern ist es eine Vater-Sohn-Geschichte, die Nawrath hier mit großer Kraft und einem tollen Ensemble erzählt. Eine Geschichte von verkrachten Existenzen und vergebenen Chancen, für die das Mietmarkt-Sozialdrama eher Mittel zum Zweck ist und die sich gen Ende noch zu einem wahren Thriller aufschwingt. Schauspielerisch dicht wie ein Kammerspiel, mit Charakteren, die an einen Herbert erinnern, oder an die Nachtgestalten eines Clemens Meyer. Sehr sehenswert.


» Atlas
Film von David Nawrath. Mit Rainer Böck, Nina Gummich, Roman Kanonik, Thorsten Merten, Uwe Preuss, Albrecht Schuch u.a.
FSK 12 · Laufzeit 100 Min. · Kinostart 25. April 2019

Passage Kinos Leipzig
Donnerstag bis Sonntag jeweils 15:45 und 20:45 Uhr 
Montag 18 und 21 Uhr / Dienstag 18 und 20:45 Uhr

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