Die Verwirrungen des Zöglings Törless & Maria Stuart | Schauspiel Leipzig

wer glaubt denn hier noch an die seele?
zwei (de)maskierungen in hannover

Dieses Theaterwochenende in Hannover bot reichlich Masken und Demaskierungen: Unsere zukünftige Hausregisseurin Claudia Bauer macht aus den Verwirrungen des Zöglings Törless eine abgründige Maskerade und in Dušan David Pařízeks Maria Stuart ist es neben den tollen Schauspielern vor allem das An- und Ablegen von Maske und Kostüm, das Bände spricht.

Wenn man eines können muss im Leben, dann sich selbst Befriedigung zu geben

Die höheren Söhne schlurfen ins Eliteinternat: Auf den Gesichtern blasse Masken, auf den Köpfen unschuldiges blondes Jungenhaar und an den zu großen Körpern kurzhosige Schuluniformen.

Der Zufall spielt drei der Jungen einen Mitschüler in die Hände: Weil sie dessen Diebstahl decken, muss er ihnen ganz zu Willen sein. Was als Experiment beginnt, ufert schnell aus.

Reiting, der Täter und Militarist, Ideologe Beineberg, Opfer Basini und der Mitläufer Törless: Aus der gritzegrauen Hölle aus Pauken, Pubertät, pädagogisch fragwürdigem Lehrpersonal und heimlichen Ausflügen zur Dorfhure schälen sich die Prototypen, mit denen Robert Musil in seinem 1906 erschienenen Roman das faschistische Machtsystem so modellhaft wie erschreckend zerlegt.

Machtlust, Leistungsdruck, homoerotische Fantasien, sadistische Neigung und kalte Neugier ergeben eine unheimliche Gemengelage, für die Claudia Bauer mit ihren Maskengesichtern, den ihre Künstlichkeit betonenden Requisiten aus Pappe und Watte und den Geräuschen aus dem Off ein beklemmendes Setting schafft. Dieses wird mehr und mehr gebrochen durch Blicke tief hinein in die Figuren, die in Close-Ups via Video serviert werden – aus dem Versteck unter der Bühne, wo im Verborgenen (und gleichzeitig am Sichtbarsten) alle bösen Fantasien, alle Ängste lauern und das bald zum Folterkeller wird.

Die Verwirrungen des Zöglings Törless © Karl-Bernd Karwasz
Die Verwirrungen des Zöglings Törless © Karl-Bernd Karwasz

Die an sich schlüssige Verfremdung gerät auf den ganzen Abend gesehen aber doch ein wenig zu technisch-schablonenhaft. Manches ist auch schlicht zuviel: Die Masken und Kostüme sind klasse – eineinander sehr ähnlich, unterscheiden sie sich gerade eben genug, um eine Austauschbarkeit anzudeuten, aber nicht zu erzwingen. Warum bekommen die Figuren dazu noch eine charakteristische Geste, eine Körperhaltung mit, deren Wiederholung oft ins Nervig-Zappelige abrutscht? Manches, wie die großartige Szene zwischen Törless (Jonas Steglich) und Basini (Mathias Spaan), gewinnt ihre albtraumhafte Kraft im direkten Spiel – und wird im Nachgang zu sehr auserzählt.

Alles in allem aber ist es ein starker Abend. Die verwackelt aufgenommenen Folterszenen lassen der eigenen Fantasie ungemütlich viel Spielraum. Die jungen Schauspieler sind, über der Bühne manchesmal zu eingeengt von Choreografie und Technik, vor der Kamera berückend intensiv; Johanna Bantzer gibt dem Abend zwischen Hure und Lehrerin Halt und roten Faden und im Kopf hallt nach dem Schlussapplaus noch lang Hagen Oechels dreckiges „Törlessssss!“ nach. Genau wie die Frage, was Macht mit den Menschen so macht. Und wann es denn abhanden kam, das Mitgefühl? Wenn es denn jemals da war …


» Die Verwirrungen des Zöglings Törless
Cumberlandsche Galerie, Schauspiel Hannover. Wieder am 27. März und am 2. und 29. April

Claudia Bauer inszeniert aktuell » Splendid’s am Schauspiel Leipzig. Premiere ist am 18. April.


Keine ehrliche Haut nirgends

Ist der Törless ein Paradebeispiel sadistischen Machtmissbrauchs um seiner selbst Willen und deshalb so erschreckend, hat die Maskerade in Maria Stuart zumindest ein gewichtiges Ziel: geht es doch um nicht weniger als um die Krone von England!

Der Kragen platzt (noch) nicht. Beatrice Frey und Markus John in MARIA STUART © Karl-Bernd Karwasz
Der Kragen platzt (noch) nicht. Beatrice Frey und Markus John in MARIA STUART © Karl-Bernd Karwasz

Und wie Regisseur Dušan David Pařízek Schillers Königinnendrama in Hannover erzählt, ist so einfach wie famos. Mit Elisabeth, Maria, Leicester und Mortimer stehen nur vier der 19 Charaktere auf der gezimmerten Bühne, die mal Kerker, mal Queens Chamber, am Ende Marias Schafottplatz ist. Das gibt der Inszenierung eine überzeugende Klarheit und Prägnanz: Jedes einzelne Wort ist hier Mittel zum Zweck, nicht einer macht den Mund auf, ohne zum eigenen Vorteil zu lügen. Die Macht und Ohnmachts-Konstellationen treten so aufs Schönste hervor und verweisen so unschuldig wie exemplarisch auf das heutige politische Parkett.

Diese zwei Stunden Schiller stellen intelligente Fragen – etwa die nach der Rolle der Frau in Machtpositionen und sind durch (manchmal ein wenig bemühte, aber) immer sinnfällige Soli des Schauspieler-Quartettes äußerst unterhaltsam. Der zwischen Kraftprotzerei, Verschlagenheit und Peinlichkeit wunderbar ambivalente Leicester Markus Johns begrüßt am Beginn so jovial wie klüngelnd das Publikum und stimmt später Sweet Dreams an, Queen Elisabeth (Beatrice Frey) kommt ob des Verrates literally das Kotzen und am Ende prostet das damit etwas überforderte Publikum mit vom gemeuchelten Mortimer (herrlich falsch: Henning Hartmann) verteilten Gratis-Becks Maria zu, bevor diese auf dem Weg ins Jenseits mit einer Axt höchstselbst die Bühnenwand durchbricht.

Links und rechts neben der Bühne werden die Königinnen von ihren – im Wortsinne – Masken(!)bildnern zu dem gemacht, was sie sind. Oder zu dem, was sie zu sein vorgeben. Und auch das ist ein schönes, wenn auch sicher kein neues Bild. Ebenso, wie sich hier Beziehungen durch Aus- und Ankleiden subtil manifestieren.

Sarah Franke ist Maria Stuart © Karl-Bernd Karwasz
Sarah Franke ist Maria Stuart © Karl-Bernd Karwasz

Das erstaunlichste an diesem Abend aber ist, dass einem der Schiller-Text schon nach den ersten Sätzen Sarah Frankes als Maria Stuart plötzlich tatsächlich etwas angeht, über den Bildungskanon hinaus eine Bedeutung gewinnt und ja, fesselt und berührt. Worte von 1800, aber die Herzen im Heute. So geht das. Und da kann man sicherlich nicht nur die aktuelle Leipziger Inszenierung als reclam-heftig-rezitierendes Gegenbeispiel anführen.


» Maria Stuart am Schauspiel Hannover
Wieder am: 25. und 28. März und am 6. und 19. April

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