In der Spielkartenstadt Altenburg wird man schon am Bahnhof von einem lebensgroßen » Pik Buben empfangen. Neben dem herrschaftlichen Schloss mit Spielkartenmuseum hat das Städtchen aber auch ein wirklich hübsches Theater zu bieten, das Herzog Ernst I. anno 1871 bauen ließ.
Das „Neue herzogliche Hoftheater“ fasst ca. 500 Zuschauer und ist auch von innen mit Leuchtern und Spiegeln in der Bar, den geschwungene Balkon-Etagen und Malereien im Saal wunderschön. 1993 generalüberholt, fusionierte man das Haus zwei Jahre später mit dem Theater Gera zur „Theater & Philharmonie Thüringen“. Fünfzehn Schauspieler sind hier fest im Ensemble, dazu kommen zehn Sänger, ein Opernstudio, ein Ballett mit 22 Tänzern und ein Puppentheater.
Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten.
Hier lässt also Regisseur Alders Kästners Moral-Propagandisten Fabian auf einer großen glitzernden Showtreppe vor der Hunde gehen. Eine Stairway to Hell sozusagen, auf der man sich – wie im ‚echten‘ Leben – gefälligst und möglichst gefällig zu präsentieren hat. Im Sumpf der Unsitte und Unmoral der goldenen Zwanziger versinkt das Personal, egal wie oft es die Stufen erklimmt: Fabian, Dr. phil., Propagandist und vor allem Pessimist, sein Freund Labude, der die Menschen bessern zu können glaubt und einen sinnlosen Freitod stirbt, Cornelia, mit der ein kleines privates Glück so greifbar scheint – alle verweifeln am Verfall der Sitten, mehr aber noch an „der Trägheit der Herzen“.
Komm, wir lassen uns erschießen
Ein tolles Ensemble ist hier am Werke und karikiert in skurrilen Kostüm und Spiel die Welt, wenn auch ein bisschen zu sehr die von damals und ein bisschen zu wenig die von heute. Die Leipziger Studentin Lara Waldow gibt ganz souverän neben der jungen Karriere-Frau Cornelia auch Fabians-Agentur-Kollegen, den das ‚auf den Knien rutschen‘ per Kostüm zur einzig möglichen Körperhaltung geworden ist und hat einen wunderbaren kleinen Auftritt als Show-Act mit Ghettoblaster im Kabarett der Talentlosen. Manuel Struffolino hingegen lässt seinen Fabian so authentisch-resigniert und ungebrochen unter die Räder kommen, dass er fast zu gut zur Vorlage passt und damit ein Stück weit der Kästnerschen Satire auf den Leim geht.
Den Abend zusammen hält aber Anne Diemer als herrlich diabolische Conferencierge Caligula – beobachtend, umgarnend, Leid und Enttäuschung eiskalten Blutes präsentierend wie eine große Cabaret-Show: ein dämonisches Spiel mit Hoffnungen und Wünschen, mit Gier und Verrat – während die Bühne sich immer weiter und weiter zu immer neuen Schauplätzen und skurrilen Gestalten dreht und uns immer wieder auch Blicke hinter den glitzernden Vorhang und in die düsteren Katakomben des Showbetriebs gewährt.
Durch seine Showmasterin, das Spiel des grotesken Nebenfiguren-Kabinetts, vor allem aber auch durch Johannes Schleiermacher an den Instrumenten bekommt der Abend kurz vor’m Kitsch immer gerade noch die Kurve zu schön-schrägen, teils gespenstischen Brüchen. Und überhaupt einen feinen Drive. Und ist sehr unterhaltsam.
» Fabian
Regie: Fabian Alder. Es spielen: Manuel Struffolino, Anne Diemer, Thorsten Dara, Lara Waldow, Mechthild Scrobanita, Ulrich Milde und Philipp Reinheimer. Musik: Johannes Schleiermacher.
Wieder am: 15. April in Altenburg und am Theater in Gera am 6. / 8. (nachmittags) / 14. und 27. Mai