sinnlicher genuss mit weiterdenkstoff: mein staat als freund und geliebte an der oper halle

Wer sich dafür interessiert, wie Oper neu gedacht und neu gemacht werden kann, der kommt derzeit an der Oper Halle nicht vorbei. So gab es am letzten Freitag die Premiere einer Uraufführung zu erleben, als Zugaben außerdem die Abschaffung des Applauses und die Kreation einer neuen Nationalhymne.

© Falk Wenzel
© Falk Wenzel

Von dem etwas sperrigen Titel „Mein Staat als Freund und Geliebte“ sollte man sich nicht abhalten lassen, diesen Abend zu besuchen. Der Komponist Johannes Kreidler, zugleich für Konzeption und Regie verantwortlich, hat einen Opernabend geschaffen, der nur wenig mit einer klassischen Oper zu tun hat.

Zwei Hauptakteure stehen auf der Bühne: ein Performer und Pianist (stefanpaul) und der Chor. Eine durchgehende Handlung weist diese Oper nicht auf, auffällig ist eine Konzentration auf das Medium Film. Gezeigt werden immer wieder Ausschnitte aus (Hollywood-)Filmen, die neu synchronisiert wurden. Diese neuen Texte werden dabei teilweise vom Chor live gesprochen. Dass dabei ein wirkliches Synchronsprechen entsteht, ist schon eine technische Meisterleistung. Von der Staatskapelle unter der Leitung von Christopher Sprenger hört man etliche Zitate von Filmmusiken, aber auch viel Klassisches, vor allem, aber nicht nur, aus dem Bereich der Oper. Musikliebhaber haben dabei sicher vieles erkannt.

Der Abend dreht sich um das Verhältnis des Individuums zum Staat. In einem Filmausschnitt wird Kleopatra zum Staat, der geliebt werden will und muss, in einem anderen füttern zwei Jungen ein Pferd mit dem Namen Leviathan, damit es wieder zu Kräften kommt. Eine wichtige Rolle spielt die Zahl 150. Der Performer zählt bis zu dieser Zahl, um dann festzustellen, dass 150 die Maximalzahl von Bekannten und Freunden ist, die ein einzelner Mensch hat.

Bei höheren Zahlen beginnt der Bereich des Unpersönlichen – oder eben der des Staates. Ein Sinnbild für das Staatsvolk auf der Bühne ist natürlich der Chor, der an diesem Abend immer in Bewegung ist. Die Sängerinnen und Sänger stehen, laufen, sitzen, liegen, schwärmen ins Publikum aus, um dort Blumen zu überreichen, werden vom Performer einzeln umarmt oder von ihm mit einem langen Telefonkabel gefesselt.

© Falk Wenzel
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Um die Möglichkeiten der Oper Halle bestmöglich auszunutzen, sind auch Tänzerinnen und Tänzer des Halleschen Balletts dabei und erweitern den Genuss, den dieser Abend allein schon für die Sinne bietet, um eine weitere Facette. Und der Humor kommt auch nicht zu kurz. So gibt es viele Lacher im Publikum, als „Einigkeit und Recht und Freiheit“ nach der Melodie des Weill-Songs von Mackie Messer gesungen wird, danach dann natürlich der Brecht-Text nach der Melodie des Deutschlandliedes. Jeder mag selbst entscheiden, welche Variante besser als Nationalhymne passt.

© Falk Wenzel
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Als schließlich nach ziemlich genau 90 Minuten stefanpaul das Ende dieses Feuerwerks an Ideen verkündet, will der Applaus einsetzen. Hier schreitet der Performer ein. Applaus wäre eine Unsitte und könne die Wirkung eines Kunstwerkes zerstören. Beifall würde zum Fallbeil. Wenn dem Künstler für seine Leistung gedankt werden solle, so möge man ihn ordentlich bezahlen. Beifalls- (und auch Missfallens-)Kundgebungen unmittelbar nach dem Ende eines Theaterabends wären nicht angebracht, denn wer könne sich schon anmaßen, spontan die Leistung der Künstler, die wochen- oder monatelang an einer Inszenierung gearbeitet haben, einzuschätzen. Tatsächlich leert sich der Saal ohne weiteres Klatschen!

Viel Beifall gibt es aber dann doch noch, als auf der Premierenparty den beteiligten Künstler vom Intendanten Florian Lutz und dem Dramaturgen der Produktion Michael von zur Mühlen Blumen überreicht werden.


 » mein staat als freund und geliebte
Musikalische Leitung Christopher Sprenger. Komposition, Konzept und Regie Johannes Kreidler.
Bühne und Kostüme Christoph Ernst. Tenor Christian Voigt. Pianist-Performer stefanpaul. Chor und Extrachor der Oper Halle, Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Rossa, Staatskapelle Halle.

Next shows: 6., 12. 26. und 30 Mai sowie 16. und 22. Juni

 

 

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