wir, kinder des optimismus – ‚candide‘ im sommertheater der cammerspiele

Candide geht's mehr als einmal an den Kragen
Candide (rechts) geht’s an den Kragen © Anne Schädel aka Anne Am Abzug.

Auch die Cammerspiele machen seit Mittwoch sommertheaterfröhlich mobil. Und zwar unter anderem gegen Leibniz. Denn das zugrundeliegende Schelmenstück „Candide“, das ein gewisser Voltaire unter Pseudonym veröffentlichte, führt den Leibniz’schen Zweck-Optimismus – nach dem die unsere die beste aller möglichen Welten sei und das allein, weil Gott sie schuf – ad absurdum. Und wunderbar absurd wird’s auch in der Bühnenfassung von Rico Dietzmeyer und Sina Neueder. Demzufolge heißt es hier „Candide. Oder die letzte aller möglichen Welten“. Also seid aufs herzlichste:

Willkommen in Saxonia!

Hier – in der besten aller möglichen Welten – ist Candide – von unklarer Abstammung aber mit um so größeren Ambitionen – hinter der Schwester des Barons her, während der Haus- und Hofphilosoph lieber der Kammerfrau nachstellt, als die Staatsgeschäfte optimistisch zu untermauern, die wiederum mit dem zum Diener degradierten Cacambo von Eldorado techtelmechtelt –  es wird so fröhlich wie überaus sinnfrei intrigiert, bis ein Krieg Saxonia in Stücke schlägt und Candide mit einen sehr unfreiwilligen Diener Cacambo hinaus in die Welt, auf die Suche nach (dem) Eldorado, schickt.

Langer Reise kurzer (Un)Sinn: Eldorado wird gefunden, genossen und wieder verlassen und die Endstation ist dann doch nur wieder Saxonia – wenn auch ein verwandeltes, in dem nun statt der staatlich verordneten Zuversicht der schnöde Mammon regiert und nur der wer ist, der (ausreichend Kapital) hat. Ab da kommt einem das Ganze beinahe schon zu bekannt vor.

Man muss nur wissen, vor wem man rutscht © Anne Schädel aka <a href="https://www.facebook.com/AnneAmAbzug/" target="_blank">Anne Am Abzug</a>.
Aber er weiß schon vor wem man besser rutscht © Anne Schädel

Die sieben Schauspieler machen das zu einem Spiel-Freuden-Fest auf doppelten Bretterboden. Einen oder eine herauszuheben, ist schier unmöglich – sie überbieten sich gegenseitig in herrlichster Wortakrobatik, exaltiert-komischer Mimik und aberwitzigen Verrenkungen – jeder turnt hier sein eigenes, auf seine Rolle maßgeschneidertes ministry of silly walks. Das ist im wahrsten Wortsinn übercandidelt – aber immer gekonnt auf den Punkt. Und demzufolge sehr komisch. Immer wieder denkt der Sommertheatergenießer im besten aller möglichen Sinne ans ehedem fahrende Schauspielervolk auf kühn zusammengezimmertern Holzbühnen und rutscht so manches Mal glattweg überspielt von soviel Verve ein wenig tiefer in den Stuhl in der ersten Reihe.

Dein Wohlstand ist auch nur ein Stand.
Wie Stillstand.

Da klingt er, der doppelte Boden, immer wieder hohl nach allzu bekannten Phrasen; da sind denk-würdige Seitenhiebe auf die heutigen Saxonen … ähm … Sachsen; da wird so manchem die deutsche, weil kalte Schulter gezeigt; da sind die Krägen und Schleppen der höheren Bürger nur aus Papier – kurz: da ist der Beweis, dass Spiellust und Spaß und Sommerabend nicht gleichbedeutend mit hat nichts weiter zu bedeuten sein müssen.

Und damit sind die tollen Cammerpieler (in den ebenso tollen wie cleveren Kostümen von Henrike Katharina Fischer und live schmissig begleitet vom » Leipziger Musiker LOT) mitnichten das letzte aller möglichen, sondern ganz nah am besten aller möglichen Sommertheater. A n g u c k e n !


» Candide oder Die letzte aller möglichen Welten
Das Sommertheater der Cammerspiele frei nach Voltaire

Mit: Lola Dockhorn, Anuschka Jokisch, Philipp Nerlich, Eric Schellenberger, Christian Strobl, Marie Wolff & Karsten Zahn. Leitung: Rico Dietzmeyer und Dorothea Wagner. Ausstattung: Lisa-Maria Totzke. Kostüme: Henrike Katharina Fischer. Musik: Lothar Hansen LOT

Wieder am: 27.-30. Juli, 3. – 6. und 12. und 13. August in der galerie KUB (Kantstr. 18)

Die schönen Fotos stammen übrigens von der Fotografin Anna Schädel, mehr davon gibt es auf der » Facebookseite der Cammerspieler und was Anna sonst noch fotografiert, seht ihr ebenda bei » Anne am Abzug.

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