Dogville | Schauspiel Frankfurt

nicht(s) zu ändern – karin henkel verfilmt lars von trier in frankfurt

Die leidende Nicole Kidman zwischen nur mit Kreide auf den Boden gezeichneten Häusern - Lars von Trier hat sich mit Dogville ein Stück weit dem So-tun-als-ob-Kino verweigert und sich Theatermittel bedient. Am Frankfurter Schauspiel bricht Karin Henkel das gleich mehrfach.

Die Regisseurin spart nicht mit Ausstattung und setzt ein Puppenhaus auf die Bühne, dass den ganzen Kleinstadt-Horrorladen beherbergt – vom Gemeindehaus über Schule bis zum Stachelbeergarten-Gottesacker-Kreuzigungshügel-Erdhaufen im Vordergrund. Eine große Wand dreht sich um das Puppenheim, teilt in drinnen und draußen und gewährt durch unterschiedliche Türen, Fenster und Öffnungen verschiedene Blickwinkel ins Geschehen.

Dogville. Manuel Harder und Claude de Demo. © Birgit Hupfeld.
Dogville: Manuel Harder und Claude De Demo. © Birgit Hupfeld.
allzu gut ist liederlich

Bevor wir das zu sehen bekommen, erschreckt aber zu Beginn gleich das Triersche Ende. Claude De Demos Grace entscheidet sich als eiskalter Engel gegen die Gnade und für eine Rache, der niemand entkommt. Und auch wenn alle – voran Torben Kessler als Tom und Erzähler – direkt wieder auferstehen, um uns zu zeigen, wie es dazu kommen konnte – die Blutspuren des Massakers bleiben an Figuren und Bühne genauso kleben wie im Kopf des Zuschauers. So wirkt das Geschehen einmal mehr als psychologische Versuchsanordnung: Nur scheint hier nicht Tom am lebenden Objekt zu experimentieren, obwohl er die Fäden in der Hand zu halten glaubt, sondern Grace selbst, der man nach dem abgeklärten Massaker am Anfang die reine Güte und Unterwürfigkeit nicht mehr glauben kann.

Das Experiment will wissen, was geschieht, wenn einem ein anderer Mensch absolut ausgeliefert ist und welche Dynamik eine solche Macht in einer geschlossenen Gruppe bekommt. Und nein, natürlich bringt das auch auf dem Theater nicht das Gute im Menschen zum Vorschein. Die Dogviller sind hier von Beginn an eine seltsam-sektenmäßige Gemeinschaft mit zu gelben Klamotten, zu ungesunder Gesichtsfarbe und fiesen Nasen. Was nicht weiter verwunderlich ist an einem Ort, wo nicht einmal Stachelbeerbüsche wurzeln wollen und die Äpfel entweder faul oder wurmstichig sind.

Das ist sehr schön, oft schräg und gruppendynamisch inszeniert, gern hätte man aber mehr von den einzelnen Schauspielern gesehen. Heidi Ecks zu erkennen, dauert eine Weile, Kate Strong als böse Ma Ginger hätte ihre Szenen gern noch weiter ausspielen dürfen. Manuel Harder gelingt es, seinem Chuck mit sparsamen Mitteln eine Geschichte zu geben. Wenn sich der Dorfaußenseiter Grace offenbart, ist eine Intensität auf der Bühne zu spüren, die dem unterhaltsam anzusehendem Rest ein wenig abgeht. Chuck ist dann auch der erste, der Grace körperliche Gewalt antut. Nicht ohne zuvor ordentlich seine Jacke ausgezogen und sein Kaugummi auf die Balustrade geklebt zu haben. Für später. Das Grauen liegt hier im Gewöhnlichen, im Pragmatismus der kleinen Geste, in der Normalität der Menschen, die angesichts der Güte der Fremden die eigene Unzulänglichkeit nicht ertragen können.

they saw no reason to change anything

Allein das Grauen mag sich meist nicht so recht übertragen, dafür ist der Zuschauer viel zu weit weg vom Geschehen. Karin Henkel entscheidet sich nicht konsequent genug für eine eigene Erzählweise, für ein beklemmendes Kammerspiel ist die Bühne schlicht zu groß, der Raum zu weit. Spürbar wird es ganz am Ende, wenn Tom – aus naheliegenden Gründen unzufrieden mit dem Trierschen Schluss – die Geschichte einfach ändert: Grace wird überwältigt und in einen Holzsarg gesperrt, in dem sie auch die erste Applausrunde verbingen muss, ehe sie von ihren Mitspielern befreit wird. Davor singt Torben Kessler eine Version des Roberts Frost Gedichts Ein Lied von Feuer und Eis.

Some say the world will end in fire
Some say in ice.
From what I’ve tasted of desire,
I hold with those who favor fire.
But if it had to perish twice
I think I know enough of hate
To say that for destruction ice
Is also great
And would suffice.

Würde. Sie endet aber nicht. Es geht einfach und emotionslos immer so weiter. Darin liegt das eigentliche Grauen.


Dogville am Schauspiel Frankfurt. Regie: Karin Henkel.
Die kommenden beiden Termine sind bereits ausverkauft, für den 8. und 21. Mai gibt es noch Karten.

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